EURO 2020 - Italiens EM-Held Gianluigi Donnarumma: Von "Dollarumma" zu Buffons legitimem Nachfolger
- Aktualisiert: 13.07.2021
- 13:37 Uhr
- ran.de / Kai Esser
Gianluigi Donnarumma ist seit Sonntag nicht nur Europameister, sondern auch Elfmetertöter und Spieler des Turniers. Mit seinen erst 22 Jahren hat er schon mehr erlebt als so mancher Spieler mit 35. Den schweren Stand, den er in seiner Heimat hat, kontert "Gigio" mit Leistung.
München/London - Italien ist Europameister 2020 - im Sommer 2021. Die "Squadra Azzurra" ist, da sind sich die Meisten einig, der verdiente Sieger dieses Turniers.
Diesen Titel haben die Italiener ihrer geschlossenen Mannschaftsleistung zu verdanken - und ihrem erstklassigen Torhüter. Gianluigi Donnarumma war nicht nur der beste Keeper des Turniers sondern sogar der beste Spieler insgesamt, zu diesem zeichnete die UEFA ihn auch am Sonntag-Abend aus.
Es ist der logische, vielleicht letzte Entwicklungsschritt in der - für seine 22 Jahre - schon langen Karriere des baumlangen Torhüters.
Debüt mit 16: Der Mailänder Hoffnungsträger
Rückblick auf Oktober 2015. Der einst so erfolgreiche AC Mailand verliert die Hälfte der ersten acht Ligaspiele, wird im heimischen Guiseppe-Meazza-Stadion vom SSC Neapel mit 0:4 gedemütigt. Im Tor steht damals noch Diego Lopez, der bei Real Madrid einst Iker Casillas aus dem Kasten verdrängte.
Trainer Gian Pero Ventura wird entlassen, Sinisa Mihajlovic übernimmt ab Spieltag neun - und stellt einen gewissen Gianluigi Donnarumma ins Tor. Mit 16 Jahren und neun Monaten wird er zum viertjüngsten Milan-Debütanten aller Zeiten - und patzt beim Spiel gegen Sassuolo auch gleich.
Nicht schlimm aus Sicht der "Rossoneri", Milan gewann diese wie auch die folgenden zwei Partien. Seitdem hat Donnarumma nur noch fünf Ligaspiele verpasst - bis heute. "Ich schaue nicht auf das Alter. Ich schaue, ob jemand gut oder nicht gut ist", so Mihajlovic seiner Zeit nach dem Sassuolo-Spiel.
Die Tifosi der Rot-Schwarzen sind begeistert von ihrem Wunderkind, der sich mit Mino Raiola einen berüchtigten Berater zur Seite holt. Das betrachten die ersten Fans bereits mit Sorge. Keine zwei Monate nach seinem Debüt meldet sich der Star-Berater bereits zu Wort.
"Er ist 170 Millionen wert", so Raiola in der spanischen Sportzeitung "AS". Zur Erinnerung: Diese Aussage stammt vom Dezember 2015, anderthalb Jahre vor dem 222-Millionen-Transfer von Neymar zu Paris St. Germain.
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Vertragsverhandlungen wie eine Schlammschlacht
Was die Milan-Fans befürchteten, trat im Jahr 2017 ein. Ein Jahr vor Ende des Vertrags bekennt sich Donnarumma erst zum AC Mailand (März), ehe sein Berater ihn als "Maradona der Torhüter" bezeichnet (Juni). Schließlich gibt Milan bekannt, dass Donnarumma den Vertrag nicht verlängern wolle. "Die Entscheidung ist bitter für uns. Wir hatten gehofft, dass er eine Säule ist, auf der wir unser Milan aufbauen können", bedauert Geschäftsführer Marco Fassone seinerzeit.
Raiola wirft Milan im Zuge der Verhandlungen sogar Mobbing vor: "Die Situation wurde zu gewalttätig und feindselig, deshalb gab es keinen Weg zurück." Harte Worte des Beraters, der sich mit der Geschäftsführung quasi bis zum heutigen Tag medial in den Haaren liegt.
Exakt 22 Tage später, am 11. Juli, vermelden die "Rossoneri" übrigens die Vertragsverlängerung von Donnarumma bis 2021, auf den Tag genau vier Jahre bevor er zum Elfmeter-Helden im EM-Finale werden sollte. Eine in Italien noch nie da gewesene Schlammschlacht zwischen Verein und Spieler, die mehrfach hin und her ging, findet ihr zwischenzeitliches Ende.
Kuriose Bedingung für die Verlängerung von "Gigio" war übrigens, dass Milan seinen Bruder Antonio verpflichtet. Obwohl der Ältere der Donnarummas keinerlei Verstärkung für der Klub darstellt und es bis zum Vertragsende im Juni 2021 nur auf drei Einsätze bringen sollte, wird ihm ein üppiges Gehalt bezahlt. Auf Wunsch des jüngeren Donnarumma, versteht sich.
Nicht nur Milan-Fans sind stocksauer - Donnarumma lässt Leistung sprechen
Wer die italienischen Tifosi kennt, der weiß, dass sie mit unglaublich vielen Emotionen an ihrem Verein hängen - und es gar nicht leiden können, wenn dieser verunglimpft wird. Beim Pokal-Spiel gegen Hellas Verona im Dezember 2017 wird Donnarumma ausgepfiffen, am Trainingsgelände in Mailand hängen Plakate, die Donnarumma dazu auffordern, abzuhauen. Der damals 18-Jährige ist untröstlich. Der Spitzname "Dollarumma" entwickelt sich.
Fans im ganzen Land solidarisieren sich mit den Mailänder Tifosi, vereinzelt wird Donnarumma sogar bei Länderspielen ausgepfiffen. So auch, und das ist die Brücke zur Europameisterschaft, beim 1:0-Sieg gegen Wales im letzten Gruppenspiel, als er ausgewechselt wird, um Salvatore Sirigu Einsatzminuten zu verschaffen.
Wobei hier auch die aktuelle Situation mit hinein spielen dürfte: Wieder endet Donnarummas Milan-Vertrag, eine Verlängerung scheint ausgeschlossen. Fans des stolzen Vereins sollen vor einem Spiel gegen Juventus Turin sogar gefordert haben, den Keeper aus dem Tor zu nehmen.
Dorthin wird er wohl nicht zurückkehren, eine Unterschrift bei Paris St. Germain soll kurz bevorstehen. Deshalb herrscht erneut dicke Luft zwischen vielen Tifosi und Donnarumma. Was manchmal nicht zu überhören ist.
"Niemand hätte jemals Buffon ausgepfiffen - nie!" Das schrieb die "Gazzetta dello Sport" nach der Gruppenphase zu den Ereignissen im Römer Olimpico. Bis 2021 tragen die Tifosi Donnarumma also diese unwürdige Vertragsfehde nach. Und das, obwohl Donnarumma zu diesem Zeitpunkt auf dem besten Weg ist, den Allzeit-Rekord von Legende Dino Zoff an Minuten ohne Gegentreffer im italienischen Trikot zu brechen. Das schafft er gegen Österreich letztlich auch.
Allerdings ist es nicht ganz richtig, was die größte Sportzeitung Italiens schreibt. Auch Gianluigi Buffon war nach seinem Wechsel von Parma zu Juventus Turin im Jahr 2001 ganz und gar nicht überall so beliebt wie heute. Doch er verdiente sich den Respekt, den er im Alter von Donnarumma, wie der 22-Jährige vor diesem Turnier, ebenfalls noch nicht hatte.
Damit die Fans den Groll auf "Gigio" vergessen, müsste er wohl mindestens in zwei Elfmeterschießen zum Helden werden und Italien zum Europameister machen. Gesagt, getan. Zwar kassiert Donnarumma in jedem Spiel vom Achtelfinale bis Finale einen Gegentreffer, doch gegen Spanien und England pariert er im Elfmeterschießen insgesamt drei Versuche.
Als er den letzten Elfmeter von Bukayo Saka im Finale gegen England entschärft, freut sich Donnarumma nicht. Stattdessen marschiert er mit einer Brust, die in diesem Moment breiter ist als der Stahl-Bogen über dem Wembley-Stadion, in Richtung Seitenlinie, als wolle er den Tifosi sagen: 'Na, reicht euch das jetzt, damit ihr mich akzeptiert?'
Der coolste Mann an diesem Abend heißt Gianluigi Donnarumma. Und auch der Beste, die UEFA zeichnet ihn als "Player of the Tournament" aus. Er ist der erste Keeper jemals, der diese Auszeichnung bei einer EURO erhält.
In der Weltklasse angekommen - Wechsel zu PSG nur noch Formsache
Spätestens mit diesem Turnier ist der einst so schüchterne junge Mann, der bei seinem Debüt für Milan patzte und weinte, als die Anhänger seines Jugendklubs ihn aufforderten zu gehen, in der Weltspitze der Torhüter angekommen. Mit Fug und Recht darf man ihn jetzt in einer Leistungsriege mit Manuel Neuer, Jan Oblak und Co. nennen.
Dass er dieses Level dauerhaft halten kann, wird Donnarumma also bald in Paris beweisen müssen. Wenn er denn darf. Denn PSG verlängerte erst vor kurzem mit Stammtorhüter Keylor Navas, der von Klubbesitzer Nasser Ghanim Al-Khelaifi als "bester Torhüter der Welt" bezeichnet wurde. Keiner von beiden Keeper wird sich freiwillig auf die Bank setzen, vor allem Donnarumma nicht, der als Held und bester Spieler der EURO 2020 kommt.
Bisher schaffte er es, jede Hürde in seiner vergleichsweise schon langen Karriere zu überwinden. Sogar die Höchstmögliche, nämlich die Tifosi im ganzen Land von sich zu überzeugen und sie auf seine Seite zu ziehen. Nicht mit Kampagnen oder Interviews, sondern mit Leistung.
Das schaffen nur die Größten, unter anderem Buffon. Zu dieser Größe wird Donnarumma auch heranwachsen.
Er ist auf dem besten Weg.
Kai Esser
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