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Der größte Mittelfeldstratege der neuzeit tritt ab

Andres Iniesta: Der stille Maestro verlässt die Bühne - eine Würdigung

  • Veröffentlicht: 09.10.2024
  • 23:31 Uhr
  • Luca Wolkstein

Seit 22 Jahren verzaubert Andres Iniesta mit seiner leichtfüßigen, unbeschwerten Art des Fußballspielens Fans, Mitspieler und Trainer - teils sogar die gegnerischen. Jetzt hat er mit 40 Jahren seine Karriere beendet, als einer, der alles erreicht hat.

"Das sind die Tränen des Jungen aus Fuentabilla, der davon geträumt hat, Fußballspieler zu werden. Und ich habe es geschafft, wir haben es geschafft", verkündete Iniesta am Dienstag mit zitternder Stimme vor diversen hochdekorierten Wegbegleitern in Barcelona. Wo auch sonst?

Denn auch wenn er das Fußballspielen in eben jenem 1800-Seelen-Dorf erlernte, hinterlässt er sein Vermächtnis beim mächtigen FC Barcelona, von dem er im Alter von zwölf Jahren entdeckt und umgehend verpflichtet wird. In La Masia perfektioniert Iniesta seine gottgegebenen Ausnahme-Fähigkeiten, dass selbst sein Idol Pep Guardiola ins Staunen gerät:

"Du wirst mich in Rente schicken. Aber Iniesta - der schickt uns alle in den Ruhestand", soll der heutige Erfolgscoach zu einem jungen Xavi gesagt haben.

Auf eine Weise sollte er Recht behalten.

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Andres Iniesta: Der Architekt hinter einem Meer aus Titeln

Denn er sollte eine Ära prägen, dieser Junge aus Fuentabilla, der inzwischen zu einem fast kahlköpfigen und schmächtigen Erwachsenen herangewachsen war - eine eher untypische Fußballer-Type.

Seinem Spielstil sollte das keinen Abbruch tun. An der Seite von Xavi, Sergio Busquets, Carles Puyol und natürlich Lionel Messi marschierte, wirbelte und wuselte Iniesta mit einem Selbstbewusstsein durch das Mittelfeld, als wäre er 1,95m groß mit Schwarzenegger-Statur. Mit einem unnachahmlichen Fußball-IQ stellte er den Dirigenten in Guardiolas Highspeed-Tiki-Taka-System, das nicht nur wunderschön anzusehen war, sondern als Taktikkonzept eine Ära prägen sollte.

Er sei der Mitspieler mit "der meisten Magie gewesen", adelte ihn einst kein Geringerer als Lionel Messi. Magie, die Iniesta immer im richtigen Moment kanalisieren konnte, wie etwa im Halbfinal-Rückspiel der Königsklasse 2009. Durch seinen Schlenzer vom Strafraumrand schaltete Barcelona den FC Chelsea aus - einige Wochen später hielten die "Blaugrana" den Henkelpott in den Händen.

Doch sein wichtigster Titel sollte im Jahr darauf folgen - ein Titel, der den sportlichen Erfolg in den Hintergrund zu rücken vermochte.

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Andres Iniesta: Weltmeister zu Ehren von Freund Dani Jarque

Dieser Titel sollte nämlich nicht ihm alleine gehören. 909 Millionen Zuschauer sahen im Jahr 2010, wie Andres Iniesta die spanische Nationalmannschaft mit einem Halbvolley in der 116. Minute zum WM-Titel schoss, der für viele Fußballer bedeutendste Augenblick in ihrem Leben. "In jenem Moment schien die Welt stillzustehen", erinnerte sich sein Teamkollege Iker Casillas damals. Doch nicht für Iniesta, der eben jenen zu teilen vermochte.

Die Jubelarien der Mitspieler und Fans zerschnitt der Mittelfeld-Diplomat mit einer Botschaft an seinen langjährigen Freund Dani Jarque, der im Alter von 26 Jahren an einem Herzversagen verstorben war. "Dani Jarque ist für immer bei uns", war auf dem Tanktop des Finaltorschützen zu lesen. Eine monumentale Geste in einem Augenblick, der nur ihm hätte gehören können. Doch Iniesta waren wie stets fußballerischer Hinsicht, auch zum Zeitpunkt seines größten Erfolges die anderen wichtiger als er selbst.

In seinem Buch "Andres Iniesta, Spiel meines Lebens" hatte er preisgegeben, nach dem Tod seines Freundes an Depressionen erkrankt zu sein. Seinen Vertrauten auf der größtmöglichen Bühne zu ehren, war sein Weg der Verarbeitung.

"Andres hat immer im Schatten gelebt", sagte Xavi, Mitkonstrukteur des WM- und Barcelona-Erfolgs, einst, "aber jeder in der Kabine hat gewusst, dass er das wahre Genie war. Er hat uns alle besser gemacht, ohne je nach Ruhm zu streben."

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Andres Iniesta: Einer fehlt

Von 2009 bis 2018 gewann Iniesta mit dem FC Barcelona ganze 32 Titel. La Liga, Copa del Rey, zwei Mal die Champions League, 2012 wird er als UEFA Player of the Season ausgezeichnet. Alles, was das Vereinsfußballer-Herz begehrt. Zum einzigen Weltmeistertitel für Spanien gesellten sich außerdem noch zwei Europameisterschaften in ein bis zum Bersten gefülltes Trophäenkabinett.

Doch eine ganz besondere verpasste Titelmagnet Andres Iniesta: Den goldenen Ball.

Denn für Lionel Messi, Gewinner des Ballon d'Or 2010, sollten noch viele weitere dieser Auszeichnungen folgen. Iniesta wurde als Marionettenspieler im Barca-Mittelfeld in den Folgejahren Opfer der Strahlkraft des jungen Argentiniers, der noch sechs weitere Male beim prestigeträchtigsten Fußballpreis der Welt absahnen sollte - dem Mittelfeld-Alleskönner blieb diese Ehre verwehrt.

Doch er wäre nicht der "stille Maestro", wenn er über diese weltweit kontrovers aufgefasste Entscheidung, ihn auszulassen, nie wieder ein negatives Sterbenswörtchen verloren hätte. Selbst bei der einzigen "Lücke" in seiner legendären Vita stellt er seine Ex-Kollegen über seine persönlichen. Bedürfnisse. "Das Foto mit Leo (Messi) und Xavi Preis genug war, dass drei Spieler aus dem gleichen Hause auf dem Podium waren". Das Kollektiv steht über dem Individuum - sicher einer der Erfolgsfaktoren für Iniestas Teams. Und so verabschiedet sich die Fußballwelt heute von einem atemberaubenden Magier, der nie das Rampenlicht suchte, es aufgrund seiner Genialität aber immer fand.

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