NBA-Kolumne
NBA-Kolumne: Das können die Los Angeles Clippers und James Harden nicht ernst meinen
- Aktualisiert: 16.11.2023
- 15:21 Uhr
- Ole Frerks
Die L.A. Clippers sind mit vier Niederlagen in Serie in ihre James-Harden-Ära gestartet. Problematischer als die Resultate selbst ist der Prozess dahinter – bis dato ist kein Plan erkennbar, wie die Clippers ihre vier Stars gemeinsam einsetzen wollen.
von Ole Frerks
Ist es schon an der Zeit für die Clippers, in Panik zu geraten?
Wenn nein, wie lange warten wir noch? Wie viele Niederlagen in Folge müssen es sein, wie viele Possessions wie diese, in denen ein Spieler den Ball hält und das restliche Team entweder steht oder schlafwandelt, damit bloß kein echter Vorteil kreiert werden kann?
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Es sind erst vier Spiele, die das Team mit James Harden im Lineup absolviert hat. Es bleibt noch Zeit und es war von Beginn an erwartbar, dass es ein Prozess sein würde. Es ist nicht ALLES schlecht – in jedem Spiel gibt es Momente, in denen das erhoffte Plus an Playmaking sichtbar wird.
Allein im ersten Viertel gegen Memphis legte Harden Ivica Zubac, Moussa Diabate und Paul George jeweils potenzielle Layups auf, die zu Fehlwürfen oder Ballverlusten führten – das dürfte nicht so bleiben. Harden wird die Tendenzen und Shooting Pockets seiner Teamkollegen besser kennen lernen, dann sieht auch die Offense insgesamt schnell etwas besser aus.
Aber, damit das klar ist: Die Gesamtresultate sehen aktuell unheimlich hässlich aus. Und die Liste an Problemen ist deutlich länger als die der Szenen, die Hoffnung machen. Unterm Stich ist James "The System" Harden momentan weder ein System noch ein System-Player, sondern ein Fremdkörper für die Clippers-Offense. Es hätte tatsächlich kaum schlimmer anfangen können.
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Clippers und Harden: Gibt es einen Plan?
Los Angeles hat bisher alle vier Spiele mit Harden verloren und ein Plus/Minus-Rating von -67, wenn der frühere MVP mit auf dem Court steht. Bei erst 125 Minuten Spielzeit ist das ein Wert, der nicht aussagekräftig sein muss, interessant ist aber, dass Hardens Plus/Minus bisher nur einmal in seiner Karriere negativ blieb, und zwar zu Beginn der Saison 20/21 in Houston, als er über acht Spiele de facto den Dienst verweigerte und einen Trade erzwingen wollte (damals -39 über 290 Minuten).
In L.A. will Harden etwas anderes. Die Clippers waren seit Monaten sein Wunschziel, er hatte zwar keine Gewissheit, aber mit Sicherheit eine Ahnung, dass es früher oder später klappen könnte. Er sprach über den Sommer mit den drei anderen Stars über die Möglichkeiten, es gab also eine gewisse Auseinandersetzung mit der Frage, wie man sich gemeinsam auf dem Court helfen könnte.
Es ist nur leider wenig davon zu sehen. Dass Harden ohne echtes Training Camp noch nicht vollständig fit ist, ist die eine Sache, problematischer wirkt die fehlende Spielidee, sowohl bei ihm als auch beim restlichen Team. Die Clippers waren ohne ihn eigentlich ja gut in die Saison gestartet, aktuell hat gefühlt aber jeder von ihnen auch individuell den Rhythmus verloren. Man will sich bloß nicht im Weg stehen, als Folge häufen sich die Fehler, die leeren Ballbesitze, das Kopfschütteln.
Clippers: Eine andere Starting Five wäre ein Anfang
Ein Problem hat Coach Tyronn Lue dabei schon identifiziert und damit angefangen, an einer Lösung zu arbeiten. Lineups mit Russell Westbrook und Harden sind zu redundant, also wird die gemeinsame Spielzeit reduziert – gegen Memphis standen beide bloß zehn Minuten zusammen auf dem Court, ansonsten trennte Lue die balldominanten Guards und heftete Star-Duos (Westbrook und Paul George, Harden und Kawhi Leonard) aneinander.
Das ist ein Anfang, reicht aber vermutlich nicht. Eher früher als später wird Lue einen der künftigen Hall of Famer von der Bank bringen müssen, andernfalls besteht die Gefahr, dass die Clippers jedes Spiel mit einem Handicap beginnen. Die aktuelle Starting Five verfügt über zu wenig Spacing und Bewegung abseits des Balles, einzig George ist ein williger und fähiger Movement-Shooter.
Norman Powell oder Terance Mann statt Westbrook oder Harden könnten die Dynamik verändern und Platz für insbesondere Leonard schaffen, was ja erstrebenswert wäre. Aktuell sind die Wege zum Korb zu, zumal die Clippers im Halbfeld oft unheimlich langsam agieren. L.A. hat seit Jahren (zu) wenige Abschlüsse am Ring, mit Harden auf dem Court sind es prozentual bisher sogar noch weniger.
(Und wenn es doch mal einen gibt, wird dieser nicht dadurch erleichtert, dass insbesondere, aber nicht nur von Westbrook gut ausgeholfen werden kann, wie Jaren Jackson Jr. es hier tut.)
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Clippers: Wer will wirklich Opfer bringen?
Jeder Clipper spricht seit dem Trade von den Opfern, die man bereit sein müsse, in dieser neuen Situation zu bringen. Es wird sich zeigen, ob die eigene Starter-Rolle zu diesen Opfern dazugezählt wird. Westbrook hat mehr Chemie mit Leonard und George, als Clipper stellt Russ sogar Screens, trotzdem ist er der wahrscheinlichere Kandidat für eine "Degradierung".
Ein Indiz dafür war das Ende des Grizzlies-Spiels: Obwohl Westbrook wesentlich besser spielte und einen großen Anteil daran hatte, dass die Clippers überhaupt wieder ins Spiel fanden, kam für die letzten zwei Minuten Harden für Westbrook zurück auf den Court. Aus Spacing-Gründen, aber auch deshalb, weil Lue dem Decision-Making Hardens am Ende von Spielen eher vertraut.
Und weil es nicht nur um sportliche Fragen geht, sondern auch um solche des Egos. Westbrook unterschrieb im Sommer für zwei Jahre und knapp acht Millionen Dollar in L.A. und hat vermutlich akzeptiert, dass er nicht mehr der Superstar vergangener Tage ist. Bei Harden steht dieser Schritt noch aus … was auch verständlich ist, immerhin spielte er auch bei den Sixers noch auf All-NBA-Niveau. Die Erwartungen an ihn sind in Los Angeles zurecht größer, sonst wäre auch der Trade in dieser Form nicht möglich gewesen.
Harden bei den Clippers: Teilweise grotesk
Harden muss nun aber auch liefern. Sein Passing ist dabei die Komponente, auf die sich die Clippers am ehesten verlassen können. Bisher 17 Assists und 10 Turnover sind ausbaufähig, aber es sollte wie erwähnt deutlich besser werden, sobald sich die Mitspieler an Harden gewöhnt haben (und andersherum). Auch ihm würde es helfen, einen weiteren Shooter auf dem Court zu haben.
Es ist auch davon auszugehen, dass Harden mit der Zeit eine bessere Balance findet zwischen eigenem Abschluss und Passing. In einigen Situationen neigte er bisher zum Over-Passing, hier wiederum übersieht er den völlig freien Powell, einen der wenigen Clipper, die in dieser Situation liebend gerne off the catch drauflöten würden:
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Die Uhr lief ab, aber Harden hatte hier im Prinzip drei Optionen – direkt zu werfen, den Pass zu spielen oder einen schwierigen bis unmöglichen Floater über Bismack Biyombo loszuwerden. Er wählte falsch. Nicht das einzige Mal in seinen ersten vier Clippers-Auftritten. Diese Sequenz ist bisher in Sachen Comedy-Faktor unübertroffen, aber es fehlte nicht an Kandidaten:
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James Harden: Wie viel Explosivität ist übrig?
Eine noch größere Frage ist Hardens eigenes Scoring Game. Seit Jahren schon hat er Probleme, bis zum Ring durchzukommen, in der neuen Saison wirkt das noch extremer. Sechs Abschlüsse hat Harden bisher laut "nba.com/stats" in Ringnähe genommen, er hat einen (!) davon getroffen.
Es fehlt ihm die Explosivität, die in seinen besten Jahren eine unterschätzte Komponente seines Scoring-Arsenals war. Selbst vergangene Saison wurden bei ihm noch 13,5 Drives pro Spiel verzeichnet, in L.A. sind es bisher sechs pro Spiel. Sollte sich dieser Trend bestätigen, wäre sein Fit bei den Clippers noch komplizierter als ohnehin schon angenommen.
Harden war über Jahre so ein starker Offensivspieler, weil er mit dem Ball in der Hand multidimensional war – einer der besten Passer der Liga, der von draußen dominieren, aber auch zum Ring kommen und vor allem tonnenweise Freiwürfe ziehen konnte. Seine heutige Version hat Teile dieser Dimensionen verloren, bisher aber zu wenig hinzugefügt, abgesehen von etwas häufigeren Abschlüssen aus der Mitteldistanz.
Die bizarre Weigerung
Was die Clippers von ihm brauchen, ist ein größerer Fokus auf Dinge, die er nicht mag. Catch-and-Shoot-Dreier etwa. Schon in den paar Spielen, die er bisher für sein neues Team absolviert hat, gab es etliche Szenen, in denen er gute, offene Abschlüsse verweigerte und stattdessen in schwierigere Abschlüsse hineindribbelte. Oder den Ball zum Kommentatorentisch warf, wie im Beispiel oben.
Harden traf in Philly vergangene Saison 41,5 Prozent seiner Catch-and-Shoot-Dreier, ein exzellenter Wert. Er nahm allerdings nur 1,8 pro Spiel, und das war schon ein Fortschritt (im Jahr davor: 1 pro Spiel). Es ist seit Jahren eine bizarre Weigerung, die dazu führt, dass einer der besten Schützen der NBA-Geschichte ohne Ball in der Hand nicht eng verteidigt werden muss. Zumal mittlerweile eben auch der Burst fehlt, um Closeouts konsequent zu attackieren.
Das Memphis-Spiel war in dieser Hinsicht ein kleiner Fortschritt: Harden nahm immerhin drei Dreier ohne vorangegangenes Dribbling. Neben Spielern wie George, Leonard und Westbrook müssen es aber eigentlich noch wesentlich mehr werden. Gerade dann, wenn Harden einen Pass entfernt von einer Isolation ist. Er müsste dafür nicht einmal groß arbeiten, sondern einfach nur werfen.
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Harden: Spacing nur in der Theorie
Stand jetzt steht Harden nämlich selbst ohne Bewegung oft frei – eben weil Verteidigungen wissen, wie er mit Catch-and-Shoot-Möglichkeiten umgeht. Lue nahm Westbrook am Ende des Memphis-Spiels aus Spacing-Gründen raus, aber der beste Grizzlies-Verteidiger Jackson fand dann trotzdem ein Matchup, von dem aus er aushelfen konnte: Harden.
Es warf erneut die Frage auf, wie die Clippers Harden am Ende von Spielen am besten einsetzen können, wenn der Ball eigentlich primär in Leonards Händen liegen sollte. Hier nimmt er immerhin den Wurf, den Leonard kreiert, wird dabei jedoch geblockt. Witzigerweise wäre ein Schritt mitsamt Dribbling zur Seite hier vielleicht ratsamer gewesen …
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Nur keine Panik!
Über den defensiven Eindruck sprechen wir dabei noch gar nicht. Das nächste Mal, dass Harden in Transition zurücksprintet, wird vermutlich das erste Mal sein. Aktuell ist die Team-Defense laut "Cleaning the Glass" um sensationelle 22,3 Punkte schlechter, wenn Harden auf dem Court steht – nicht zuletzt deshalb, weil Lineups mit ihm quasi keine Defensiv-Rebounds holen.
Es fehlt an allen Ecken und Enden, defensiv vor allem aber an Länge und auch Einsatz. Nun hat L.A. Harden natürlich nicht für seine Defense geholt. Selbst wenn er sich offensiv wie erhofft steigern sollte, wird das alles aber nicht viel wert sein, wenn die Team-Defense mit Harden auf dem Court so ein Trauerspiel bleibt (aktuell 128 erlaubte Punkte pro 100 Ballbesitze).
Es liegt, kurzum, noch sehr viel Arbeit vor allen Beteiligten. In Panik muss immerhin niemand geraten, aber eigentlich auch nur deshalb, weil die Clippers ihren Panik-Move ja schon getätigt haben. Die Clippers brauchten Harden (dachten sie zumindest), Harden braucht die Clippers. Es muss funktionieren, irgendwie. Was ist die Alternative?
Alle Beteiligten haben nun zumindest gesehen, wie es nicht funktioniert. Immerhin. Es wird sich zeigen, wie sie damit umgehen.