FC Bayern München: Serge Gnabry vor wichtigen Wochen - findet er nochmal zurück zu alter Form?
Aktualisiert: 28.11.2023
09:49 Uhr
Justin Kraft
Serge Gnabry ist zurück nach seinem Unterarmbruch. Seit einiger Zeit läuft es nicht mehr für ihn - beim FC Bayern München und im DFB-Team. Kann er nochmal der Alte werden?
Für Serge Gnabry war Länderspielpause die große Chance, sich wieder für größere Aufgaben zu empfehlen. Gelingen sollte ihm das aber nicht.
Die Saison 2023/24 ist nicht seine - und auch schon in der abgelaufenen Spielzeit hatte der Profi des FC Bayern München Probleme, seine Bestform zu finden. Seit Jahren gelingt ihm der letzte Schritt in die Weltklasse nicht.
Auch beim FC Bayern schienen die Zweifel im Sommer zu wachsen. Verlängerte man den Vertrag des Offensivspielers im Sommer 2022 noch mit saftiger Gehaltserhöhung bis 2026, kam seitdem nur wenig an Leistung zurück.
Die Gerüchte häuften sich, dass die Zusammenarbeit zwischen Gnabry und dem Rekordmeister deutlich vor Vertragsablauf enden könnte. Seitdem lieferte er keine nennenswerten Argumente dafür, dass es anders laufen sollte.
Doch was ist eigentlich das Problem? Und kann der 28-Jährige doch nochmal zurückschlagen?
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FC Bayern München: Was Serge Gnabry auszeichnete
Es hätte ein Wendepunkt sein können: In der 87. Minute rutschte Gnabry in Berlin nur knapp am Ausgleich vorbei. Nachdem der Rechtsfuß kurz zuvor eingewechselt wurde, hatte er die große Chance, zumindest das 3:3 zu erzielen und Deutschland gegen die Türkei vor der Niederlage zu bewahren.
Leroy Sane schickte Benjamin Henrichs, der schlug eine flache und scharfe Hereingabe ins Zentrum. Gnabry kam minimal an die Kugel, aber nicht mit genügend Nachdruck. Wenige Zentimeter, die letztendlich dafür sorgten, dass über diese Szene niemand mehr spricht.
Dabei war es eine, die an den alten Gnabry erinnerte. Flügelspieler, die stark in Eins-gegen-eins-Situationen sind, gibt es einige. Der Unterschied zur Weltklasse liegt in der Torgefahr. Ein Pfeil, den Gnabry eigentlich im Köcher hat.
Auch weil seine Karriere beim FC Arsenal nur schleppend in Gang kam, hatten ihn in Deutschland einst nur wenige auf dem Zettel. Sein Stern ging erstmals 2016 bei Olympia so richtig auf. Damals erzielte er sechs Tore in sechs Spielen, darunter sehr wichtige Treffer in der Gruppenphase gegen Mexiko (2:2) und Südkorea (3:3). Auch im Viertelfinale gegen Portugal (4:0) brachte er das deutsche Olympiateam mit dem 1:0 auf Kurs. Am Ende reichte es zur Silbermedaille.
In Bremen und Hoffenheim entwickelte er sich weiter, traf für Werder in 27 Bundesliga-Einsätzen elfmal (zwei Vorlagen) und war für die TSG anschließend in 22 Partien an 17 Toren direkt beteiligt (zehn Tore, sieben Vorlagen). Gnabry deutete an, dass er ein Unterschiedspieler sein kann. Weniger filigran, dafür athletisch, explosiv und mit einem besonderen Zug zum Tor. Immer den Zweikampf suchend, immer mit einer Wucht, die andere Flügelspieler so nicht haben.
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FC Bayern München: Serge Gnabry – die Quote täuscht!
Auch bei den Bayern lieferte er lange überragende Quoten. In 227 Pflichtspielen für den Rekordmeister kommt er aktuell auf 82 Tore und 51 Assists. Alle 105,47 Minuten sammelt er eine Torbeteiligung für die Münchner. Besser als Kingsley Coman (138 Minuten) und sogar besser als Leroy Sane (109,15 Minuten).
Sein großes Problem ist allerdings die Konstanz. Gnabry hat zu viele Phasen, in denen er seine größte Qualität – die der Torgefahr – schlicht nicht aufs Feld bringt. Allein in der Bundesliga gab es seit seiner ersten Saison für die Bayern (2018/19) neun Phasen, in denen er mindestens vier Spiele am Stück ohne Torbeteiligung blieb. In der abgelaufenen Spielzeit gelang ihm zwischen dem 21. Spieltag und dem 29. Spieltag kein Tor und keine Torvorlage.
Auch Sane und Coman haben solche Phasen, geben dem Spiel abseits von Torbeteiligungen aber mehr. Beide beteiligen sich etwas mehr am Kombinationsspiel und sind vor allem die etwas stärkeren und aktiveren Dribbler. Während Sane laut "Opta"-Daten mit 8,1 Dribblings (52,1 Prozent Erfolgsquote) heraussticht, kommt Coman immerhin noch auf 5,7 (44,9 Prozent Erfolgsquote).
FC Bayern München: Keine Weiterentwicklung unter Thomas Tuchel? Das sagen die Zahlen
Keine Weiterentwicklung? Das sagen die Zahlen Thomas Tuchel wurde zuletzt häufig kritisiert. Insbesondere Lothar Matthäus und Dietmar Hamann avancierten zu Chefkritikern des FC Bayern – bis die Situation in Dortmund eskalierte. Ein Stichwort, das den Trainer so richtig auf die Palme zu bringen schien, war "Weiterentwicklung". Die habe unter ihm gefehlt, behaupteten Matthäus und Hamann.
Hatten die Kritiker Recht? Mittlerweile hat sich alles beruhigt und Tuchel hat wieder gute Laune. Die Münchner sind erfolgreich. Mit etwas Abstand zur Debatte lohnt es sich jedoch, auf die Zahlen zu schauen: Gibt es unter Tuchel eine Weiterentwicklung im Vergleich zur vergangenen Saison – oder hatten die Kritiker doch Recht?
Statistiken gesammelt ran hat Statistiken gesammelt – für die zwölf Pflichtspiele ab der Übernahme von Tuchel in der vergangenen Saison und für die 18 Partien in der aktuellen Spielzeit. Abgezogen wird das Supercup-Spiel gegen RB Leipzig. Außerdem fehlen die Pokalspiele in mancher Statistik, weil die jeweilige Quelle keine Daten zur Verfügung stellt.
Punkte, Tore und Gegentore Diese Daten sind frei verfügbar – und waren von Beginn an das große Argument gegen die Kritik der fehlenden Weiterentwicklung. Als Tuchel iübernahm, holte er bis zum Ende nur 1,67 Punkte pro Spiel. Sein Team schoss 1,83 Tore und kassierte 1,42 pro 90 Minuten. In dieser Spielzeit gibt es eine klare Verbesserung: 2,61 Punkte, 3,23 Tore und 0,94 Gegentore pro Spiel.
Expected Goals ("Opta"-Daten via "FBref", ohne Pokal) Diese Statistik misst, wie viele Tore und Gegentore anhand der jeweiligen Chancen wahrscheinlich gewesen wären. Dafür nutzt das Modell verschiedene Parameter. Anschließend wird der Abschluss mit sehr vielen anderen vergleichbaren Schüssen in der Datenbank verglichen und so eine Tor-Wahrscheinlichkeit errechnet.
Expected Goals (Ohne Pokal) Auch diese Statistik spricht klar für Tuchel. Erreichten die Bayern unter ihm in der vergangenen Saison noch 2,25 Expected Goals pro Spiel, stehen sie jetzt bei einem beeindruckenden Wert von 2,71. Gleichzeitig scheint man defensiv stabiler zu sein. 1,17 Gegentore waren im Saisonendspurt der abgelaufenen Spielzeit pro Partie wahrscheinlich, jetzt sind es 0,91.
Abschlüsse ("Opta" via "FBref") Da Tore und Expected Goals signifikant mit Abschlüssen zusammenhängen, verwundert es nicht, dass das Tuchel-Team auch hier Fortschritte verzeichnet hat. 17,42 Abschlüsse pro Spiel standen 9,17 des Gegners gegenüber, nachdem der 50-Jährige übernommen hatte. In der aktuellen Saison sind es 19,06 zu 8,94.
Spielweise ("Opta" via "FBref", ohne Pokal) Interessant hingegen: Schaut man auf einige allgemeine Statistiken, die die grobe Spielweise eines Teams charakterisieren, ist zunächst mal wenig Veränderung zwischen den beiden Saisons zu erkennen. Der durchschnittliche Ballbesitzwert ist in etwa gleich (von 63,08 Prozent zu 62,44 Prozent).
Konstante Werte In beiden Datensätzen gab es genau ein Drittel an Spielen, in denen die Bayern unter 60 Prozent Ballbesitz hatten. Auch die Anzahl der abgefangenen Bälle (8,5 zu 7,83) und die Tacklings im Angriffsdrittel (2,36 zu 2,25) sind nahezu gleich.
Spielweise ("Opta" via "FBref", ohne Pokal) Selbst die Verteilung des Ballbesitzes auf dem Spielfeld ist ähnlich. 29,12 Prozent aller Ballkontakte verzeichneten die Bayern in der letzten Saison unter Tuchel im Abwehrdrittel, 45,64 Prozent im Mittelfeld und 25,42 Prozent im Angriffsdrittel. Und jetzt: 28,81 Prozent, 45,30 Prozent und 25,88 Prozent. Keine Weiterentwicklung also?
Spielweise ("Opta" via "FBref") Das Gegenteil könnte sogar der Fall sein. Denn die Zahlen könnten auch so interpretiert werden, dass Tuchel seine Idee schnell umsetzte. Dass die Bayern nun erfolgreicher sind, könnte am Faktor Sicherheit liegen. "Der Glaube wächst", erklärte der Trainer nach dem 1:0 in Köln. Die leicht gestiegene Passquote (85,55 zu 86,63 Prozent) spricht für die These.
Spielweise: Weniger "Harakiri" Tuchel setzt von Beginn an darauf, das Risiko zu minimieren und das Spiel der Münchner zu stabilisieren. Dass der Ansatz immer gleich blieb, könnte hier und da den Eindruck der fehlenden Weiterentwicklung verstärkt haben. In Köln spielten die Münchner nicht spektakulär, Tuchel aber lobte die Kontrolle und dass es kein "Harakiri" gab.
Spielweise: Weniger Hurra, mehr Kontrolle? Unter Flick und Nagelsmann spielten die Bayern häufig aufregender, weil offensiver in der Ausrichtung. Das sorgte für Action in beiden Strafräumen. Tuchel mag es ruhiger. "Wir waren sehr flüssig im Aufbauspiel, sehr variabel und trotzdem immer sehr diszipliniert auf unseren Positionen", lobte er in Köln. Weniger Hurra-Fußball und mehr Kontrolle?
Spielweise (understat.com, Bundesliga) Eine klare Veränderung im Laufe der Zeit gibt es dann aber doch noch beim Blick auf die Zahlen: Die Bayern pressen weniger aggressiv. Der Wert "PPDA" (Passes per defensive action) gibt an, wie viele Pässe ein Team in der gegnerischen Hälfte zulässt, ehe eine Defensivaktion erfolgt.
Höheres Pressing unter Flick und Nagelsmann Unter Flick und Nagelsmann lag dieser stets bei ungefähr acht Pässen im Schnitt – teilweise sogar darunter. Ein sehr niedriger Wert, der nur mit viel Pressingdruck möglich ist. Als Tuchel übernahm, veränderte er daran nur schrittweise etwas. Mit 8,46 Pässen lag er noch in Reichweite zu seinen Vorgängern.
Spielweise: Weniger hohes Pressing Mittlerweile erlauben die Bayern ihren Gegnern aber durchschnittlich 11,18 Zuspiele in deren Hälfte, ehe eine Defensivaktion erfolgt. Man steht häufiger etwas tiefer und dementsprechend geordnet, statt ständig vorne zu pressen. Und das macht sich auch offensiv bemerkbar.
Spielweise: Mehr Konter ("WhoScored", Bundesliga) In der gesamten vergangenen Saison erzielten die Bayern in der Bundesliga nur vier Kontertore. Nach zwölf Spieltagen sind es insgesamt sechs. Defensive stabiler, vorne situativ mehr Räume – Bayern eine Kontermannschaft? Der Mix macht es. Mit 109 hohen Ballgewinnen kommt der FCB immer noch auf den zweithöchsten Wert hinter Leverkusen (114).
Spielweise ("understat.com") Tuchel legt Wert auf Stabilität und Ruhe. Er will eine Mischung aus Tempo und Dynamik einerseits sowie Ruhe und Positionstreue andererseits finden. Das scheint immer besser zu funktionieren – und stärkt auch den Spielaufbau. Im Schnitt spielen die Münchner mittlerweile einen Pass mehr pro 90 Minuten in der eigenen Hälfte, ehe eine Defensivaktion des Gegners erfolgt.
FC Bayern München: Weiterentwicklung unter Tuchel? Zahlen bilden nie die komplette Wahrheit ab. In einem Sport wie Fußball, der durch extrem viele Zufälle geprägt wird, lässt sich keine objektive Aussage über "Weiterentwicklung" treffen. Die Bewertung bleibt immer subjektiv. Klar ist mit Blick auf Zahlen und den bisherigen Saisonverlauf aber, dass Tuchel sehr viele Argumente auf seiner Seite hat.
Gnabry geht seltener in Eins-gegen-eins-Situationen. In der vergangenen Saison kam er auf 2,9 Dribblings pro 90 Minuten (43,8 Prozent Erfolgsquote). Der Angreifer fühlt sich als Empfänger von Pässen hinter die Abwehrkette wohler. Kann er aus diesen Situationen aber nicht konstant Tore oder Vorlagen liefern, setzt ein Trainer lieber auf jene Spieler, die in der Entstehung der Angriffe mehr beitragen.
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FC Bayern München: Findet Serge Gnabry zu alter Stärke?
Dass er das besser kann, zeigte er in seiner Anfangszeit bei den Bayern. In der Triple-Saison 2019/20 erzielte Gnabry 23 Tore und kam auf 14 Vorlagen in 46 Einsätzen. Damals wurde er auf dem rechten Flügel nahezu perfekt eingebunden, konnte immer wieder das Spiel breit machen und dann mit Raum auf die Viererkette zugehen oder ohne Ball in die Schnittstellen starten.
Doch diesen Gnabry gab es schon länger nicht mehr zu sehen. Die Frage ist zudem, wie viel Notwendigkeit Thomas Tuchel verspürt, ihm die Aufmerksamkeit zu geben, die er bräuchte, um wieder zu alter Form zu finden. Mehrere Trainer vor ihm scheiterten bereits daran, Gnabry nutzte das Vertrauen nicht.
Zwar mag der Kader der Bayern insgesamt dünn sein, doch offensiv hat das Trainerteam zahlreiche Optionen. Solange Coman und Sane in guter Verfassung sind, Mathys Tel von der Bank Impulse geben kann und auch Harry Kane so knipst, wie er es aktuell macht, dürfte sich an Gnabrys Situation wenig ändern.
Und so liegt es nicht am Trainerteam, ihn wieder in die Spur zu bekommen. Wenn dieser Spieler, der bei Olympia 2016 einst ein großes Versprechen hinterließ, noch irgendwo in ihm steckt, muss der Nationalspieler sich selbst aus seinem Loch ziehen. Ein Spielertyp wie er, das steht außer Frage, kann jeder Topklub gut gebrauchen.
Doch dafür muss er mit 28 Jahren, in der entscheidenden Phase seiner Karriere also, endlich konstant das abliefern, was er in den letzten Jahren nur über Teile einer Saison andeuten konnte. Auch für das DFB-Team, dem ein Spieler wie Gnabry sehr fehlt, wäre das eine gute Nachricht vor der Europameisterschaft 2024.