FC Bayern sollte bei Harry Kane in Alarmbereitschaft sein – ein Kommentar

Von Justin Kraft

Finale, drei Tore, goldener Schuh – wer die Europameisterschaft in Deutschland nicht so eng verfolgt hat, dürfte zu dem Schluss kommen, dass Harry Kane keine allzu schlechte EM hinter sich hat. Immerhin erzielte er mehr als ein Drittel aller englischen Tore.

Zwei davon waren allerdings Elfmeter. Und darüber hinaus nahm Kane so gut wie gar nicht am Spiel der Three Lions teil. 22,7 Ballkontakte hatte der 30-Jährige im Schnitt auf 90 Minuten gerechnet. Nur Ollie Watkins und Anthony Gordon haben im englischen Kader weniger. Letzterer kommt allerdings auf nur zwei Minuten Spielzeit und Watkins auf 62. Beide fallen damit also aus einer seriösen Bewertung heraus.

An niemandem lief das englische Spiel so vorbei wie an Kane. Zumal der Bayern-Star als jemand bekannt ist, der sich gern am Kombinationsspiel beteiligt. Zunächst machten viele Gareth Southgate dafür verantwortlich, dass der Stürmer keine Aktionen hat. Je länger das Turnier aber dauerte, und je häufiger der Trainer seinen Kapitän frühzeitig auswechselte, desto klarer wurde: Kane hat Fitnessprobleme.

Schon bei den Bayern pausierte er am Saisonende, um rechtzeitig zur EM wieder fit zu werden. Aus diesem Plan wurde offenbar nichts. "Es tut gerade weh, Harry Kane zuzusehen", schrieb der "Mirror" nach der Niederlage im Finale gegen Spanien (1:2): "Kane war meilenweit von seiner Bestform entfernt."

Harry Kane: "Wird eine ganze Zeit lang wehtun"

Kane wird Ende des Monats 31. Kein Alter, in dem es unmöglich ist, auf höchstem Level zu performen. Gerade die vergangene Saison zeigte, dass der Engländer die Offensive des FCB tragen und bereichern kann.

Und doch wirkt der Top-Verdiener der Münchner nach einer langen Saison ausgebrannt. Die große Frage wird sein, wie groß das Risiko ist, dass sich diese für ihn persönlich desillusionierte Spielzeit als Knackpunkt in seiner Karriere erweist. Obwohl er für den FC Bayern überragend aufspielte, reichte es letztlich erneut nicht für einen Mannschaftstitel.

Dazu die bittere Niederlage bei der Euro. "Das wird eine ganze Zeit lang wehtun", sagte Kane vielsagend nach dem Finale gegen Spanien: "Es ist nicht leicht, in diese Endspiele zu kommen. Du musst es dir nehmen, wenn es so kommt, und wir haben es wieder nicht gemacht." Eine Situation, die mental an ihm nagen wirkt, die auch zu Selbstzweifeln führen kann.

Im Gespräch mit "Sports Illustrated Deutschland" sagte Kane im März diesen Jahres, dass es Zeiten in seiner Laufbahn gab, "in denen ich viel Widerstandsfähigkeit und Selbstvertrauen brauchte. Ich habe gelegentlich gezweifelt und es kommt in diesen Momenten darauf an, das durchzustehen und sich davon nicht runterziehen zu lassen".

FC Bayern muss sich um Kane kümmern

Umso wichtiger wird es sein, dass sich der FC Bayern jetzt gut um seinen wichtigsten Angreifer kümmert. Der Druck, der vor allem aus dem Heimatland auf ihn einprasselt, ist enorm. Noch größer dürfte der Druck sein, den sich Kane selbst macht.

Immerhin: Sein Verhältnis dazu scheint äußerst gesund zu sein. Für ihn sei es "von großer Bedeutung, mit anderen über seine Gefühle zu sprechen und sie wissen zu lassen, was mit einem los ist", sagte er im besagten Interview. Er habe Leute in seinem Umfeld, "mit denen ich sprechen konnte und auch ich selbst war offen dafür, auf andere zuzugehen. Das war wirklich wichtig für mich und das versuche ich weiterzugeben".

Die körperliche Komponente des Leistungssports ist die eine Seite der Medaille. Trotz der schwachen EM dürfte es hier kaum Zweifel geben, dass Kane zu alter Form und Stärke zurückkehren kann. Doch was macht all das, was bei der EM passiert ist, mental mit ihm? Bei der WM 2026 wird Kane fast 33 sein. Die Chancen, mit den Three Lions einen großen Titel zu holen, werden immer kleiner für ihn.

Sein stets offener Umgang mit mentalen Schwierigkeiten wird ihm auf dem Weg zurück gewiss helfen. Es liegt nun am FC Bayern, ihn dabei bestmöglich zu unterstützen. Vielleicht ist es für Kane dahingehend gut, dass er nicht mehr in der Heimat spielt.