Ein erfolgreiches Jahr endet
DFB-Erkenntnisse: Musiala und Wirtz? Nagelsmann muss 2025 ein großes Problem lösen
- Aktualisiert: 20.11.2024
- 15:37 Uhr
- Tobias Hlusiak
Die deutsche Nationalmannschaft verpasst in Ungarn zwar unglücklich den elften Sieg des Jahres. Trotzdem geht 2024 als ein erfolgreiches Jahr in die DFB-Geschichte ein. Es liefert jede Menge Erkenntnisse. ran hat sie aufgeschrieben.
Julian Nagelsmann hat die Nationalmannschaft wieder flott gemacht. Im Jahr 2024 sammelte der Bundestrainer mit seinem Team zehn Siege in 15 Spielen ein.
Mit dem ganz großen Titel klappte es bei der Heim-EM im Sommer zwar nicht, das Turnier taugt aber – wie das gesamte Jahr - als ideale Vorbereitung auf die nahe Zukunft, in der schon im übernächsten Sommer ein großes Ziel erreicht werden soll.
"Es ist ein guter Weg, ich bin unglaublich zufrieden. Wenn wir 2025 genau so angehen wie wir 2024 bestritten haben, werden wir 2026 deutlich präparierter sein als wir es 2024 waren", sagte Nagelsmann deswegen nach dem 1:1 (0:0) in Ungarn etwas kryptisch.
Diese Erkenntnisse bleiben hängen:
Die Lücke ist geschlossen
Was zum Ende des vergangenen Jahres noch wie eine Utopie anmutete, ist schon 365 Tage später Realität. Die deutsche Nationalmannschaft gehört wieder zur erweiterten Weltklasse. Die Lücke wurde geschlossen. Blenden lassen darf man sich von klaren Siegen gegen Nationen wie Bosnien und Herzegowina aber nicht, weiß auch der Bundestrainer.
"Näher dran sind wir schon", sagte Nagelsmann jüngst, schränkte aber ein: "Es werden bessere Gegner kommen als heute (Bosnien, Anm. d. Red.). Die Entwicklung sei aber "eine gute".
Die Mannschaft selbst erkennt den eigenen Steigerungsprozess im Verhalten der Kontrahenten: "So wie die sich nach einem Unentschieden gefreut haben, das spricht schon für uns", meinte Jamal Musiala nach dem Jahresabschluss in Budapest.
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Nagelsmann ist die Idealbesetzung für den Umbruch
Eine der wichtigsten Erkenntnisse des Jahres ist, dass man bei der Trainerwahl goldrichtig lag. Nagelsmann ist der perfekte Mann für den Job.
Er hat dem DFB-Team in etwas mehr als einem Jahr seit seiner Inthronisierung wieder ein angemessenes Gesicht gegeben – sowohl durch die Art von Fußball, die er spielen lässt, als auch durch starke Statements zu gesellschaftlich relevanten Themen.
Der 37-Jährige hat sich selbst und das Team klar positioniert. Die Fans danken es ihm, kommen wieder zahlreich zu den Spielen. Es herrscht Aufbruchstimmung.
Auch nach der EM und den Abschieden von Legenden wie Manuel Neuer, Thomas Müller, Toni Kroos und Ilkay Gündogan, die jeder für sich einen Bruch hätten bedeuten können, setzt sich dies fort. Nagelsmann hat die richtige Ansprache, zog so seine Spieler in den Bann. Diese folgen ihm, weil er hält, was er verspricht.
Die Reaktivierung von Kroos, Neuer und Co. mit Blick auf die EM ergab Sinn, genau wie das Bauen auf die, die lange auf ihre Chance gewartet hatten. Das Leistungsprinzip greift wieder. Wer im Verein gut performt, hat eine realistische Chance berufen zu werden. Das ist viel wert.
Identifikation und Begeisterung sind der Schlüssel
"Es war nicht immer leicht, sich mit den Spielergebnissen zu identifizieren", sagte Joshua Kimmich vor gut einer Woche im Rückblick auf die Zeit vor Nagelsmann – und ließ damit tief blicken.
Irgendwie hatte sich die Nationalmannschaft Stück für Stück von sich selbst entfremdet. Siege, Unentschieden, Niederlagen. Gute oder schlechte Spiele. Alles war irgendwie egal geworden, fühlte sich gleich an.
Unter Nagelsmann und seinem Team hat sich das geändert. Der Coach lebt eine authentische Begeisterung für seine Aufgabe vor, verlängerte früh in seiner Amtszeit bis nach der WM 2026. "Wir lagen am Boden und standen wegen der Heim-EM unter Druck", beschreibt der 37-Jährige selbst. „Das Wir-Gefühl, das ich spüre, hatte ich noch nie. Das ist einmalig. Das hat mir persönlich viel gegeben."
Und es färbt ab. Den Spielern ist die Nationalmannschaft wieder wichtig. Auch weil der Kader voll mit Akteuren ist, deren Karriereweg nicht gradlinig verlief. Tim Kleindienst, Deniz Undav, Niclas Füllkrug und Co. haben sich hochgearbeitet und wurden dafür belohnt.
Die Identifikation mit dem Trikot ist zurückgekehrt.
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Hinten drückt der Schuh längst nicht mehr
Eine der ersten Maßnahmen Nagelsmanns war, die wackelnde Viererkette zu stabilisieren. Zu diesem Zweck legte er sich auf Jonathan Tah und Antonio Rüdiger als Stammkräfte in der Mitte fest.
Außerdem sprach der ehemalige Bayern-Trainer ein Machtwort und zog Joshua Kimmich aus dem Mittelfeld auf die rechte Seite zurück.
Mit Erfolg!
Erstmals seit 2021 gab es wieder ein Länderspieljahr ohne mindestens drei Gegentore in einer Partie. In Liga A der Nations League kassierte Deutschland nur vier Gegentore. Das ist der gleiche Wert wie Europameister Spanien. Alle anderen Teams bekamen mehr.
Und das, obwohl über weite Strecken in Marc-Andre ter Stegen der Stammkeeper gar nicht mit von der Partie war. Die Offensive gewinnt Spiele, die Defensive Turniere. An diesem Grundsatz scheint sich Nagelsmann zu orientieren. Der eingeschlagene Weg ist vielversprechend.
Abhängigkeit von "Wusiala" muss verringert werden
Die Freude darüber, wieder zwei Weltklassespieler in den eigenen Reihen überwiegt, klar. Und trotzdem dürfte ein Entwicklungsansatz sein, sich weniger abhängig von den außergewöhnlichen Fähigkeiten Jamal Musialas und Florian Wirtz‘ zu machen.
Im Jahr 2024 war ein ums andere Mal zu beobachten, dass die Mannschaft in ein Kreativitätsvakuum fällt, wenn mindestens einer der beiden nicht auf dem Feld steht.
Im EM-Viertelfinale gegen Spanien fand Deutschland erst nach der Einwechslung des Leverkuseners offensiv wirklich statt. In Ungarn brachte erst die Einwechslung der beiden Supertalente Schwung in die DFB-Aktionen
Spieler wie Leroy Sane, Serge Gnabry oder Chris Führich müssen einen Zahn zulegen, damit der Qualitätsverlust aufgefangen werden kann. Nagelsmann steht vor einer mittleren Herkulesaufgabe: Das deutsche Offensiv-Spiel etwas von "Wusiala" zu emanzipieren.
Die Gelegenheit zur Probe kommt schon im nächsten Länderspiel. Wirtz wird nach seiner zweiten gelben Karte im laufenden Wettbewerb im Viertelfinal-Hinspiel der Nations League im März fehlen. "Ich ärgere mich ein bisschen darüber", gab der Bundestrainer zu. "Aber es ist wie es ist. Wir werden einen anderen guten Spieler auf den Platz bringen."
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Es steht nicht schlecht um die Torwartnation Deutschland
Das Jahr begann mit einer klaren Ansage Julian Nagelsmanns. Er wolle bei der Heim-EM auf Manuel Neuer im Tor setzen.
Gesagt, getan. In der ersten Jahreshälfte stand der Bayern-Keeper im Kasten, verdrängte Marc-Andre ter Stegen, der sich Hoffnungen gemacht hatte, wieder auf die Bank. Nach Neuers Rücktritt sollte dann der Schlussmann des FC Barcelona übernehmen, verletzte sich aber schwer.
So kam es im Herbst 2024 zu einem überraschenden Duell um die "Nummer 1b", wie Nagelsmann es selbst nannte: Oliver Baumann gegen Alexander Nübel. Beide machten ihre Sache gut. Es besteht also kein Grund zur Sorge, sollte ter Stegen nicht in absoluter Top-Form zurückkehren.
In Stefan Ortega Moreno von Manchester City hat schon der nächste, auf höchstem Niveau erprobte, Keeper auf sich aufmerksam gemacht. Der ehemalige Bielefelder war beim letzten Lehrgang 2024 mit dabei.
Ter Stegens Rückkehr ist für den Sommer angepeilt.
Nächster Schritt: Top-Gegner schlagen!
Klar, der erste Gegner, der in diesem Jahr gegen die DFB-Elf das Nachsehen hatte, war Frankreich. Allerdings handelte es sich bei der Partie in Lyon um ein Freundschaftsspiel.
In einem Turnierspiel hat Deutschland schon länger keinen ganz Großen mehr bezwingen können. Auch 2024 setzte sich dieser Trend fort.
Schottland schlug man klar. Ungarn auch. Schon gegen die Schweiz brauchte man aber ein Last-Minute-Tor, um nicht zu verlieren. Das Achtelfinale gegen Dänemark stand auf Messers Schneide. Gegen Spanien kam das Aus.
Es ist der nächste, logische Evolutionsschritt, auch in diesen Spielen die Siegchancen signifikant zu erhöhen. Um das zu Erreichen wäre ein Einzug ins Final Four der Nations League im kommenden Sommer Gold wert.
Wo sonst bekommt man K.o.-Spiele um Titel auf höchstem Niveau?