Große Erwartungen, aber misslungene Generalprobe
Anthony Richardson bei den Indianapolis Colts: Zweiter Anlauf gegen die Zweifler
- Aktualisiert: 30.10.2024
- 02:01 Uhr
- Martin Jahns
Anthony Richardson soll im zweiten Anlauf der Franchise Quarterback der Indianapolis Colts werden. Nach dem Verletzungspech im Vorjahr schürte Colts-Coach Shane Steichen die Vorfreude mit einem Steph-Curry-Vergleich. Doch eine verpatzte Generalprobe lässt die Zweifel bei den Fans wachsen.
Wann kommt endlich der neue Andrew Luck? Bei den Indianapolis Colts sind sie seit dem überraschenden Rücktritt ihres einstigen Quarterbacks vor der Saison 2019 auf der Suche nach einem Franchise Quarterback.
Routiniers wie Philip Rivers, Carson Wentz oder Matt Ryan konnten nicht überzeugen, weshalb die Wahl im Draft 2023 beim vierten Pick auf Anthony Richardson fiel. Und das, obwohl der auf nur wenige College-Spiele als Starter kam.
Immerhin in einem Punkt folgt der inzwischen 22-Jährige auf Lucks Pfaden: Als erster Quarterback seit dessen Abgang wird er am ersten Spieltag gegen die Houston Texans in zwei aufeinanderfolgenden Saisonauftaktspielen als Starter auf dem Feld stehen.
Doch kann er die Colts wirklich in eine goldene Zukunft führen?
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Vielversprechender Start endet dramatisch
Ein Blick zurück: Richardsons Rookie-Saison 2023 begann mit sieben Touchdowns in vier Spielen bei nur einer Interception furios, ehe ihn eine Schulterverletzung in Woche 5 auf den OP-Tisch und für die restliche Spielzeit zum Zuschauen zwang.
Nun also der neue Anlauf. Und Head Coach Shane Steichen ließ schon im Juli keine Zweifel aufkommen: Im Duell mit Gardner Minshew hat Richardson wieder die Nase vorn.
"Es ist großartig, weil das Playbook so für alles offen ist", sagte Steichen: "Mit ihm haben wir einen Quarterback, der alles kann. Er kann aus der Pocket werfen oder aus ihr herauskommen, um einen Laufspielzug zu machen. Ich denke, er wird einige Plays machen, die die Leute noch nicht gesehen haben."
Tatsächlich waren vier der sieben Richardson-Touchdowns 2023 Laufspielzüge. Mit 5,4 Yards pro Carry gehörte er unter den Quarterbacks zu den Besten. Aber: Richardsons Ausbruch aus der Pocket war es in der Vorsaison auch, der gegen die Tennessee Titans zu seiner Schulterverletzung geführt hatte.
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Anthony Richardson: Beine hui, Arme pfui?
Schraubt Steichen also aus Sorge vor Verletzungen Richardsons Running Game zurück?
"Da denke ich mir: 'Mist, willst du Steph Curry daran hindern, 3-Punkte-Würfe zu nehmen?‘", konterte Steichen diesen Gedanken mit einer rhetorischen Frage: "Das ist eine von Anthonys Stärken, richtig? Also werden wir das nicht aufgeben."
Richardson selbst weiß, dass zu seiner Rolle mehr als flinke Beine gehören: "Er (Steichen) wird nicht 15 QB-Läufe im Spiel callen, und ich weiß, dass er nicht will, dass ich versuche, jeden Spieler zu überlaufen. Es ist also ein gegenseitiger Respekt, gegenseitiges Vertrauen - wir verlassen uns einfach aufeinander."
Richardsons Physis ist sein größter Trumpf: Beim Combine 2023 sorgten seine Fabelzeit von 4,43 Sekunden im 40-Yard-Dash und seine gewaltige Sprungkraft für Staunen.
Doch wie sehr ist auf Richardsons Wurfarm Verlass? In der vergangenen Saison unterlief ihm zwar nur eine Interception, doch schon auf dem College in Florida attestierten ihm Beobachter eine viel zu große Streuung gerade bei kurzen und mittellangen Pässen. Auch das Lesen der Deckung galt eher als Schwäche Richardsons.
Bedenken, die der Quarterback mit einem Verweis auf seine Nebenleute in der Offensive wegwischt. "Ich habe das Gefühl, dass es keine Chance gibt, diese Offensive zu stoppen. Ich selbst habe zwei Möglichkeiten: den Ball zu werfen und den Ball zu laufen. Und dann haben wir noch JT (Jonathan Taylor) im Rücken. Und dann haben wir all diese Waffen, die den Ball fangen."
Neben Receiver Michael Pittman Jr. zählt dazu in dieser Saison Rookie-Receiver Adonai Mitchell.
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Preseason-Generalprobe endet ernüchternd
Doch so sehr Steichen und Richardson zuletzt mit ihren Aussagen Euphorie verbreiteten, so ernüchternd verlief nun die Generalprobe für Richardson auf dem Feld.
In seinem jüngsten und für dieses Jahr letzten Preseason-Auftritt gegen die Cincinnati Bengals gewannen die Colts zwar mit 27:14. Nach den fünf Drives mit Richardson als Quarterback gegen die zweite Garde der Bengals-Defense stand es allerdings noch 7:7. Schlimmer noch: Es war die Leistung des Spielmachers, die Zweifel aufkommen lassen musste.
Der erste Drive war noch top mit 65 Passing Yards, einem Passing Touchdown und nur einem Incomplete Pass bei acht Würfen.
Danach wurde es besorgniserregend: Im zweiten Ballbesitz warf Richardson eine Interception, die zum Bengals-Touchdown führte. Die beiden anschließenden Drives endeten jeweils in Three-and-Outs und im fünften und letzten Drive unterlief im ein Fumble für so viel Raumverlust, dass die Colts punten mussten.
Nach dem ersten Ballbesitz brachte Richardson nur noch einen seiner sechs Pässe an den Mann.
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Fans lästern im Netz - Richardson mit Galgenhumor
Das Echo im Netz: Ernüchterung. Zahlreiche Colts-Fans machten ihrem Frust in den sozialen Medien Luft. "Anthony Richardson sieht wirklich schlecht aus", schrieb ein User auf "X". Ein anderer attestierte ihm, "immer noch etwas unfertig" zu sein, ein weiterer User sprach von einer "peinlichen Offenbarung von Anthony Richardson".
Und der Youngster selbst? Flüchtet sich in Galgenhumor: "War gut. Ich hab zwei Touchdowns", verbuchte Richardson den Pick-Six für sich, ehe er die Zweifler zur Beruhigung aufrief: "Es läuft nicht immer so, wie wir wollen. Es wird Incompletions geben, ich werde ein paar Pässe nicht anbringen, der Receiver wird ein paar fallen lassen, wir werden den Ball manchmal verlieren, aber das ist in Ordnung. So etwas wird passieren."
Der Pick-Six sei nach einem Missverständnis zwischen Tight End Kylen Granson und Richardson entstanden. "Granson hat etwas gesehen und ich habe etwas anderes gesehen", sagte Richardson: "Wir müssen da einfach auf einer Wellenlänge sein."
Sein Fumble sei einem Anfängerfehler geschuldet gewesen. "Im QB-Raum wird fast jeden Tag gepredigt, den Ball mit beiden Händen in der Pocket zu halten", sagte Richardson, der den Football in der Szene allerdings nur einer Hand hielt: "Ich weiß, dass sie mir das in den nächsten Tagen in den Meetings auch sagen werden."
Anthony Richardson: Geduld als neue Stärke?
Der Auftritt zeigte: Im Körper eines Modell-Quarterbacks steckt noch immer ein Spieler, dem es vor allem an einem fehlt: Spielerfahrung auf NFL-Niveau.
Die gute Nachricht für die Colts ist, dass sich dieses Problem von selbst lösen wird, wenn Richardson von Verletzungen verschont bleibt. Das weiß auch Richardson, der bei sich selbst ein neues Mindset beobachtet: "Ich würde sagen, ich bin ein bisschen entspannter geworden. Ich versuche nicht, irgendetwas zu erzwingen oder der Superheld zu sein, wenn ich da draußen bin. Ich fühle mich einfach viel wohler in der Mannschaft und generell. Ich liebe es hier."
Durchläuft er diesen Reifeprozess auch auf dem Platz, dürften es ihm die Colts-Fans mit Gegenliebe zurückzahlen. Und die Suche nach dem neuen Andrew Luck wäre endlich vorbei.