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Von der ELF in die NFL: Europas Football-Talente und ihr Weg in die beste Liga der Welt
- Aktualisiert: 06.10.2023
- 17:37 Uhr
- Sebastian Kratzer
Während der International Games in London fokussiert die NFL ihre Aufmerksamkeit für wenige Wochen auf den europäischen Football. Im Rahmen eines Trainingscamps kämpfen ausgewählte Top-Talente um einen Platz im International Pathway Program. ran zeigt, welche Hürden die Talente dabei auf sich nehmen müssen und welche Rolle die ELF spielt.
Aus London berichtet: Sebastian Kratzer
"Die Erfüllung eines Kindheitstraums".
So beschrieb Lukas Holub die Einladung zum International Combine nach London Ende September. Der Offensive Lineman der Vienna Vikings absolvierte zusammen mit seinem Teamkollegen Florian Bierbaumer (Tight End) das Probetraining der NFL für internationale Top-Talente, das letztlich mit darüber entscheidet, wer für das International Pathway Program der NFL ausgewählt wird.
Das 2017 eingeführte Programm soll Football-Talenten der ganzen Welt die Chance geben, sich außerhalb des üblichen Wegs über das College und den Draft für einen Platz in der NFL zu empfehlen. Bei Spielern des IPP gelten für die NFL-Teams besondere Regeln bei der Kadergröße, sodass die Talente vor Entlassungen besser geschützt sind und eine höhere Chance auf Einsatzzeit haben.
"Das Programm wird jedes Jahr größer und gibt immer mehr internationalen Talenten die Chance in der NFL", sagt Jakob Johnson im ran-Interview. Johnson zählt neben Jordan Mailata (Philadelphia Eagles) und Efe Obada (Washington Commanders) zu den bekanntesten Vertretern des Programms, die so ihren Weg zu einem festen Vertrag in der NFL fanden.
Doch auch wenn es nicht mit einem langfristigen Engagement in der USA klappt, sorgt das IPP oft dafür, dass sich die Talente in ihren jeweiligen Heimatländern einen Namen machen und zu Botschaftern des Sports aufsteigen.
Spieler wie Moritz Böhringer, Christopher Ezeala, David Bada oder Sandro Platzgummer waren ebenfalls Teil des Programms und sind im deutschsprachigen Raum mittlerweile fast jedem Football-Fan ein Begriff.
Nun wartet allerdings die nächste Generation an europäischen Talenten auf die Chance, sich für das IPP zu empfehlen. Neben den Österreichern Bierbaumer und Holub wurden auch die deutschen Talente Dominik Ondra (Munich Ravens) und Luca Jokiel (Stuttgart Surge) zum Probetraining nach London eingeladen - bei dem die NFL viel mehr als nur die Football-Fähigkeiten bewertet.
Das Wichtigste in Kürze
NFL sucht Team-Player, keine Ego-Talente
Auch wenn in der NFL der Spruch "Talent setzt sich immer durch" gilt, ist das für Nachwuchsspieler keine Garantie, dass sie sich am Ende auch durchsetzen. Soft-Skills sind innerhalb eines Mannschaftsgefüges nicht zu unterschätzen und im Teamsport Football die Basis für den Erfolg. So ist es wenig verwunderlich, dass die NFL bei der Suche nach Top-Talenten immer häufiger nach "Teamplayern" fischt.
"Das Ziel war, dass die Scouts einerseits sehen, was man als Football-Spieler kann, anderseits aber auch, wie man als Mensch und Persönlichkeit ist", erklärt Holub gegenüber ran. In einem mehrtägigen Football-Camp mussten sich die Talente in allen Bereichen des Profi-Footballs beweisen.
Die NFL testete die Nachwuchs-Footballer dabei auch auf ihre Umgangsart im alltäglichen Leben: "Da geht es auch um Kleinigkeiten, beispielsweise welche Höflichkeitsform man an den Tag legt - ob man grüßt, ob man 'bitte' und 'danke' sagt oder man auch mal die Tür aufhält. Auf all diese Dinge wurde Wert gelegt", berichtet Holub weiter.
Des Weiteren versuchte die NFL, eine möglichst realitätsnahe Atmosphäre vor Ort zu schaffen. "Vom Frühstück bis zum Abendessen ist alles durchgeplant, sogar danach hat man noch Meetings. Es geht nur Football und es ist genau das, was man sich wünscht als Profi", beschrieb Tight End Bierbaumer das Prozedere vor Ort.
Bei all der Professionalität bleibt wenig Zeit zu träumen - auch wenn das bei so einem Schritt durchaus schwerfallen dürfte.
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NFL: Plötzlich wird der Traum wahr
"Seit Sandro Platzgummer weiß man, dass die Möglichkeit über diesen Weg besteht. Und dann realisiert man erst, dass es für einen persönlich wirklich möglich ist", beschreibt der 25-Jährige den Moment, als er von der Einladung nach London erfuhr.
Wie Bierbaumer die endgültige Bestätigung erhielt, zeigt einmal mehr, wie ernst es die NFL mit den Talenten meint: "Ich habe ein Flugticket nach London per Mail erhalten und wurde einer 'WhatsApp'-Gruppe hinzugefügt." Keine halben Sachen eben.
Wie breit sich die NFL in ihrer Talentsuche aufstellt, war an der buntgemischten Zusammenstellung der Nachwuchsspieler erkennbar. "Da waren Leute dabei, die zehn Jahre Football-Erfahrung haben - aber auch Spieler, die davor noch nichts mit dem Sport zu tun hatten, sondern beispielsweise Rugby gespielt haben oder Kugelstoßer im College waren", erklärt Holub.
Auch Bierbaumer war von der Athletik der "Quereinsteiger" beeindruckt, ordnet aber ein: "Andere Spieler, die nicht vom Football kommen, zeigen dort extreme athletische Fähigkeiten, aber man kann auch mit seinem Wissen vom Sport glänzen, wenn man das schon seit zehn Jahren macht."
Die beiden Vikings-Stars waren zwei der erfahreneren von insgesamt 13 Talenten, die in der letzten September-Woche die Trainings in London absolvierten. Eine eher kleine Gruppe im Vergleich zu den vorherigen Jahren, als noch bis zu 50 Talente um einen Platz im IPP kämpften.
Aus europäischer Sicht half den NFL-Scouts hier sicher auch die stetige Entwicklung der European League of Football, schon frühzeitiger die passenden Kandidaten herauszufiltern.
ELF: Die Rolle der europäischen Liga
"Ohne sich zu weit aus dem Fenster zu lehnen, kann man mittlerweile sagen, dass die besten Talente Europas in der ELF spielen oder zumindest mal ein Angebot erhalten haben", sagt Bierbaumer über die Entwicklung der noch jungen interkontinentalen Liga: "Es ist sehr praktisch für die Amerikaner, dass der europäische Top-Football in einer Liga zusammengefasst ist."
Für eine mögliche Zusammenarbeit zwischen den beiden Ligen ging die NFL hierbei aktiv auf die ELF-Verantwortlichen zu, wie Commissioner Patrick Esume im Mai erklärte.
Hierbei spielt für die Scouts nicht nur das höhere sportliche Niveau eine wichtige Rolle, sondern auch der Zugang zu für den Auswahlprozess unentbehrlichem Videomaterial. "Die Liga gibt Leuten außerhalb von Europa die Möglichkeit, zuzuschauen und die Spiele zu sehen. Die ELF hat für mehr Aufmerksamkeit auf den europäischen Football gesorgt", weiß auch Holub.
Dabei geht es letztlich nicht nur um stundenlanges Videomaterial für Positionstrainer, sondern auch um virale Szenen, die ihren Weg über den großen Teich finden. Als Bierbaumer im ELF-Halbfinale gegen die Stuttgart Surge ein Monster-Catch gelang, wurde dieser sogar im "Sunday NFL Countdown" von "ESPN" thematisiert.
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Auch wenn spektakuläre Highlight-Clips nicht ausschlaggebend dafür sind, ob europäische Talente wie Holub und Bierbaumer zum IPP-Combine eingeladen werden, so bergen sie doch ein virales Potenzial, das den Spielern zur Stärkung der eigenen Marke verhilft.
International Pathway Program: Wie geht es weiter?
In den kommenden Wochen werden die Scouts anhand des aufgenommenen Videomaterials in London darüber entscheiden, welche Talente für die nächste Phase ausgewählt werden. "Wir bekommen dann Bescheid, ob wir für ein zehnwöchiges Vorbereitungscamp der IMG-Academy nach Florida eingeladen werden", erklärt Holub den weiteren Prozess.
Trotz gutem Gefühl will er noch nicht zu viel in die Sache hineininterpretieren: "Jeder weitere Schritt wäre die Kirsche auf der Sahnehaube und mehr, als ich mir je erwartet hätte."
Bierbaumer will sich auf jedes Szenario vorbereiten: "Dass ich auch als Long Snapper eingesetzt werden kann, könnte ein großer Faktor werden, wenn Teams überlegen, mich auszuwählen. Daran werde ich auch in der Offseason arbeiten." Mit einer Entscheidung, ob er nach Florida eingeladen wird, rechnet er Anfang November.
Da am 5. und 12. November die beiden International Games in Frankfurt stattfinden, wäre dies für die NFL ein passender Zeitraum, einen oder mehrere deutschsprachige Teilnehmer am International Pathway Program zu verkünden.