Analyse
NFL: Welcher Head Coach passt zu welchem Team? Profil, Bedarf, Kandidaten
- Aktualisiert: 07.01.2025
- 22:53 Uhr
- Chris Lugert
Nach aktuellem Stand sind fünf Head-Coach-Posten in der NFL zu vergeben, die Teams und gesuchten Profile unterscheiden sich dabei deutlich voneinander. Welcher Kandidat passt zu welcher Franchise? Eine Analyse.
Von Chris Lugert
Der Black Monday in der NFL ist zwar vorbei, doch noch immer werden Führungskräfte in den NFL-Franchises ihrer Ämter enthoben. Mancherorts erfolgt vor einer schwerwiegenden Entscheidung eine längere Analyse der abgelaufenen Saison.
Neben zahlreichen offenen Positionen für Koordinatoren und General Manager sind aktuell auch sechs Stellen als Head Coach zu besetzen. Durchaus denkbar, dass in den kommenden Tagen noch weitere hinzukommen, gesichert ist das aber nicht.
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Nach derzeitigem Stand (07.01.2025; 21:44 Uhr) suchen die New York Jets, die New Orleans Saints, die Chicago Bears, die New England Patriots, die Jacksonville Jaguars und die Las Vegas Raiders einen neuen Cheftrainer. Sechs Franchises, alle an unterschiedlichen Punkten ihrer Entwicklung.
Die unterschiedlichen Ausgangssituationen an den einzelnen Standorten erfordern entsprechend unterschiedliche Trainerprofile. Welcher Kandidat wäre wo am besten aufgehoben? ran schaut sich die Teams genauer an.
New York Jets: Mehr Fragezeichen als Antworten
Beginnen wir mit den Jets, denn dort ist die Situation aktuell am schwierigsten einzuschätzen. Denn als einziges der fünf Teams sucht New York nicht nur einen Head Coach, sondern parallel auch einen General Manager.
Normalerweise ist der GM eine der wichtigsten Figuren bei der Auswahl eines Coaches und der Durchführung des Einstellungsprozesses. Bei den Jets aber könnte es durchaus sein, dass der General Manager nach dem Head Coach eingestellt wird.
Das Wichtigste in Kürze
Doch nicht nur das Front Office der Franchise weist aktuell zahlreiche Fragezeichen auf, auch im Kader gibt es auf zentrale Fragen derzeit keine Antwort. Die wichtigste davon: Wer ist nächste Saison der Quarterback?
Aaron Rodgers steht zwar noch ein weiteres Jahr unter Vertrag, aber er selbst hat einen Rücktritt nicht ausgeschlossen. Möglich wäre auch ein Trade des Routiniers, diese Frage müssten aber GM und Head Coach beantworten. Und die gibt es noch nicht.
Was die Jets in dieser Situation auf der Trainerposition brauchen, ist eine erfahrene Stütze, eine Art CEO, wie sie etwa Jim Harbaugh bei den Los Angeles Chargers oder Dan Campbell bei den Detroit Lions ist.
Ein Kapitän, der - gemeinsam mit dem General Manager - das Schiff auf Kurs bringt, durch stürmische See steuert und mit klaren Ideen die Ausrichtung vorgibt. Ein Neuanfang in - wenn nötig - allen Bereichen.
Was die Jets in dieser Situation ganz sicher nicht brauchen, ist ein Rookie als Head Coach. Dieser wäre hochgradig gefährdet, verbrannt zu werden. Der neue Mann muss wissen, wie eine NFL-Franchise geleitet wird und es selbst bereits getan haben.
Zumal mit Owner Woody Johnson ein Mann die Geschicke leitet, der dafür bekannt ist, sich trotz mangelnden Fachwissens massiv ins Tagesgeschäft einzumischen. Hier braucht es einen starken Charakter, der auch bereit ist, Widerworte zu geben.
Und solche Kandidaten gibt es auf dem Markt. Mike Vrabel wäre hier als Erstes zu nennen, der eigentlich alle gesuchten Eigenschaften auf sich vereint. Sechs Jahre führte er die Tennessee Titans als starker Mann.
Bei den Titans war Vrabel neben seiner Tätigkeit als Head Coach quasi auch General Manager, er versteht es also, ein Team nicht nur zu führen, sondern auch von Grund auf aufzubauen.
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Ein ähnliches Profil erfüllt Ron Rivera, der die Carolina Panthers einst in den Super Bowl führte und danach auch bei den Washington Commanders arbeitete. Sowohl Vrabel als auch Rivera wurden auch bereits interviewt.
Zudem brachte sich der frühere Head Coach Rex Ryan, der die Jets zwischen 2009 und 2014 trainierte und zum bislang letzten Mal in die Playoffs führte, offensiv selbst ins Gespräch. Allerdings ist Ryan seit 2016 raus aus der NFL und dem Coaching. Immerhin: Ein Interview bekommt er definitiv - dieses führte der Ryan am 7. Januar mit der "Gang Green".
Ein weiterer Kandidat, dessen Profil passen könnte, wäre Brian Flores. Immerhin drei Jahre war der heutige Defensive Coordinator der Minnesota Vikings Head Coach der Miami Dolphins, wenn auch nicht allzu erfolgreich. Womöglich kam der Schritt damals etwas zu früh, eine zweite Chance hätte er sich verdient. Warum nicht in New York?
New Orleans Saints: Neuaufbau oder Weiterwurschteln?
Die Saints haben sich in den vergangenen Jahren selbstverschuldet zu einer grauen Maus in der NFL gemacht. Eigentlich wäre der Rebuild schon nach dem Abschied von Drew Brees 2020 oder spätestens von Head Coach Sean Payton 2021 nötig gewesen.
Doch die Verantwortlichen wollten immer kompetitiv bleiben, schoben Cap Hits in die Zukunft und stehen jetzt vor einem Scherbenhaufen. Ihre Planung für die nächsten Jahre definiert maßgeblich, welcher Head Coach passend wäre.
Der naheliegendste Schritt wäre es, einen Cut zu machen und die Franchise von Grund auf neu aufzustellen. Altlasten beseitigen, den Kader umkrempeln, auch wenn das bedeutet, zwei, vielleicht drei Jahre um den ersten Pick zu spielen.
Doch danach könnte sich mit Geduld und den richtigen Personalentscheidungen auf dem Platz und in der Führungsetage eine vielversprechende Zukunft auftun. Ein Szenario wie gemacht für junge, ambitionierte Head Coaches.
Natürlich nur dann, wenn sie einen klaren Plan vorgelegt und die Sicherheit bekommen, auch bei miesen Ergebnissen - die unvermeidlich wären - sicher im Sattel zu sitzen. Ein Neuaufbau kann ein schwieriges, aber auch spannendes Projekt sein.
Berichten zufolge steht unter anderem Kellen Moore auf der Liste der Saints. Der 36 Jahre alte Offensive Coordinator der Philadelphia Eagles wäre für dieses Projekt eine mehr als interessante Lösung.
Gleiches gilt für den ein Jahr jüngeren Joe Brady, der bei den Buffalo Bills in den vergangenen Jahren maßgeblich für die Entwicklung von Josh Allen verantwortlich war. Er könnte den neuen Franchise-Quarterback mit auswählen und formen. So oder so wäre bei den Saints in diesem Fall Geduld gefragt. Bei den Verantwortlichen, den Fans und Medien.
Weshalb es auch durchaus sein kann, dass sich New Orleans dazu entscheidet, den Status quo beizubehalten und die Strategie der vergangenen Jahre einfach fortzusetzen. Und am Ende bei maximal sechs Siegen zu landen.
Ob die Saints in diesem Fall aber wirklich ein attraktiver Spot für irgendeinen Trainer wären, ist doch fraglich. Die Toptrainer, so viel darf sicher sein, lockt man mit dieser Perspektive nicht nach Louisiana.
New England Patriots: Der lange Schatten von Belichick
Sie hatten es versucht. Nach der Ära Bill Belichick, die Fußstapfen in der Größe eines Tyrannosaurus hinterlassen hatte, sollte ein Rookie den Umbruch bei den Patriots verantworten. Jerod Mayo aber bekam nicht die Zeit und die Geduld, die es gebraucht hätte, wenn man einem jungen Trainer die Aufgabe eines Rebuilds anvertraut.
Es war von Vornherein eine Herkules-Aufgabe, Belichick nachzufolgen. Und Mayo, der zuvor als Trainer gerade einmal fünf Jahre als Inside Linebacker Coach vorzuweisen hatte, war sichtbar (noch) nicht bereit dafür. Allerdings darf man auch fragen, was die Patriots eigentlich erwartet hatten. Nicht nur sportlich, sondern auch bezüglich der Reife des Coaches.
Nach dem gescheiterten Experiment mit einem Jungspund als Head Coach dürfte Owner Robert Kraft viel daran gelegen sein, einen erfahrenen Mann zu verpflichten. Dabei sind die Voraussetzungen aber deutlich besser als bei den Jets.
Denn die Patriots haben aller Voraussicht nach ihren neuen Franchise-Quarterback schon gefunden, der höchste Cap Space aller Teams und ein hoher Draft Pick bieten weitere exzellente Voraussetzungen, schon bald ein schlagkräftiges Team zu haben.
Was es jetzt braucht, ist ein neuer Belichick. Die DNA der Patriots ist nach mehr als zwei Jahrzehnten mit dem Erfolgstrainer auf ein Alphatier an der Spitze ausgerichtet, die entsprechende Philosophie und Mentalität inklusive.
Kein Wunder, dass längst Mike Vrabel als perfektes Match genannt wird. Wie Mayo war er einst ein Belichick-Schüler in New England, hat sich aber längst abgenabelt. Dennoch kennt er die Franchise in- und auswendig. Eine perfekte Mischung, zudem bringt er die Führungsqualitäten mit, die es braucht.
Doch nach dem Fehler des Vorjahres, als die Entscheidung für Mayo so schnell gefallen war, dass man gar keine anderen Kandidaten mehr angehört hat, halten sich die Patriots dieses Mal alle Optionen offen.
So bekommt unter anderem auch Ben Johnson, Offensive Coordinator der Detroit Lions, ein Interview. Er wäre zwar ein Rookie und damit genau das Gegenteil von Vrabel. Doch im Gegensatz zu Mayo bringt Johnson Erfahrung unter Dan Campbell mit und hat aus nächster Nähe miterlebt, wie eine Franchise in kürzester Zeit umgekrempelt werden kann.
Außerdem wäre Johnson, der in Detroit Jared Goff ein zweites Leben als NFL-Profi geschenkt hat, eine perfekte Wahl, um Drake Maye zu entwickeln. Allerdings ist davon auszugehen, dass Vrabel die erste Wahl ist - sofern er selbst will.
Chicago Bears: Es geht um die Zukunft von Caleb Williams
Es sah so gut aus bei den Bears. Dank des Trades mit den Carolina Panthers durfte Chicago im Draft 2024 gleich zweimal in den Top-10 picken und hatte plötzlich mit den beiden Rookies Caleb Williams und Rome Odunze sowie anderen Bausteinen eine potenzielle Monster-Offense zur Verfügung.
Der beste Quarterback der Klasse, mehrere tolle Receiver, eine Defense, die schon 2023 für Furore gesorgt hatte - die Fans waren zu Recht euphorisch. Nur, um dann daran erinnert zu werden, dass es ja die Bears sind, die sie anfeuern. Und die finden immer wieder Wege, Euphorie zu ersticken.
NFL: Geniales Play von Special Team! Bears tricksen alle aus
Matt Eberflus musste im Saisonverlauf gehen, am Ende standen mickrige fünf Siege zu Buche. Und die Frage: Wie geht es denn nun weiter mit den Bears und dem riesigen Potenzial im Kader?
Denn daran hat sich ja nichts geändert. Auf dem Papier haben die Bears eigentlich viel mehr zu bieten als einen 5-12-Record. Keines der fünf Teams, die einen Head Coach suchen, bietet einen so kurzen Weg zum Erfolg. Zumal auch die Bears viel Cap Space haben. Was es braucht, ist ein Coach, der das vorhandene Potenzial ausschöpfen kann.
Die Bears könnten dabei beide Wege gehen: Einen aktuellen Coordinator - offensiv oder defensiv - eines anderen Teams holen und als Rookie aufbauen. Oder den erfahrenen "Culture Guy", der eine neue Mentalität in die Franchise bringt, sich aus dem Playcalling aber weitestgehend heraushält.
Insofern ist die Liste an Kandidaten riesig, was auch Berichte über die anstehenden Interviews zeigen. Nicht weniger als zwölf Namen stehen darauf, zu verorten in allen möglichen Bereichen. Klar ist nur: Der neue Head Coach sollte auch eine Idee haben, wie die Offense mit Williams künftig funktionieren soll. Das heißt aber nicht, dass er sie zwingend selbst callen muss.
Der aktuelle Interimscoach Thomas Brown führte den Quarterback in der Saison 2024 zu seinen besten Leistungen, als Brown nach der Entlassung von Shane Waldron interimistisch den Posten als Offensive Coordinator übernommen hatte. Nach Eberflus' Rauswurf rückte Brown auf - und Williams brach ein. Die Zukunft von Brown dürfte daher ebenfalls ein interessanter Aspekt sein.
Jacksonville Jaguars: (Fast) das Gleiche wie in Chicago
Die Entscheidung der Jaguars war zu erwarten, die Entlassung von Doug Pederson war der am wenigsten überraschende Move am Black Monday. Das Team aus Florida leidet seit Jahren an massiver Underperformance.
Dabei sind auch hier die Voraussetzungen eigentlich ideal. Trevor Lawrence konnte den Vorschusslorbeeren als "generational talent" bis heute zwar nicht ganz gerecht werden, dennoch gehört er zu den besseren Quarterbacks der Liga. Das Problem: Lawrence ist verletzungsanfällig und fiel auch in dieser Saison oft aus.
Insgesamt hat der Kader aber in der Theorie viel mehr drauf, als es in den Statistiken zu lesen ist. Das eint die Jaguars mit den Bears, weshalb auch in Jacksonville eigentlich keine lange Aufbauarbeit nötig ist, um erfolgreich sein zu können.
Allerdings muss der neue Head Coach bei den Jaguars mit einem durchaus exzentrischen Owner zurechtkommen, Shahid Khan macht aus seinen Ambitionen keinen Hehl. Der Ergebnisdruck ist also von Tag eins da.
Nach Jahren mit Pederson, dem völlig missratenen Experiment mit Urban Meyer und der Ära von Doug Marrone zuvor täte den Jaguars ein junges, frisches, unverbrauchtes Gesicht ganz gut. Ein offensiv ausgerichteter Coach, der mit Lawrence, Brian Thomas Jr. und Co. arbeiten kann und Spektakel bietet. Und der der Franchise endlich eine Identität gibt.
Denn das Problem in Jacksonville ist auch, dass das Team eine eher kleine Fanbase hat, weil die Relevanz aufgrund des mangelnden Erfolgs einfach nicht so da ist. Hier braucht es keinen langweiligen Oberlehrer mehr, sondern Entertainment, das die Zuschauer ins Stadion und in die Fanshops lockt.
Ben Johnson ist da der klare Kandidat, der in Detroit wie kein anderer offensiver Playcaller in der NFL für Spektakel steht und stand. Blöd allerdings, dass er wegen Jaguars-GM Trent Baalke keine Lust auf den Job haben soll.
Alternativ verkörpert auch Liam Coen, der als Offensive Coordinator bei den Tampa Bay Buccaneers Baker Mayfield erweckt hat, diese Identität. Ähnliches gilt für Joe Brady. Jeder dieser drei könnte Jacksonville endlich wieder attraktiv machen.
Las Vegas Raiders: Die Nachzügler ohne Quarterback
Vergleichsweise lange ließen sich die Raiders und Besitzer Mark Davis mit der Entscheidung Zeit, ob Antonio Pierce bleiben darf. Der 46-Jährige bestritt am Montag sogar noch die Abschluss-Pressekonferenz und zeigte sich guten Mutes.
Doch einen Tag später senkte Davis schließlich den Daumen, Pierce muss gehen. Ebenfalls eine erwartete Entscheidung, schaffte er es doch nicht, eine Entwicklung im Team herbeizuführen.
Stattdessen stolperten die Raiders von einem schlechten Auftritt zum nächsten, einziger Lichtblick der Saison waren die Leistungen von Rookie Brock Bowers, der als Tight End sämtliche Rekorde brach.
Die Raiders befinden sich derzeit in keinem beneidenswerten Zustand. Einen Franchise-Quarterback sucht man vergebens, und ob im Draft an Position sechs noch einer da ist, für den sich dieser Pick auch lohnt, bleibt abzuwarten.
Generell mangelt es dem Kader an Stützen. Bowers und Pass Rusher Maxx Crosby sind die einzigen Spieler im Kader, die in der Liga zum Besten auf ihrer Position gehören. Der Rest ist bestenfalls Mittelmaß - wenn überhaupt.
Die Raiders sind am Boden, die gute Nachricht ist: Schlechter kann es kaum noch werden. Die Franchise befindet sich an einem ähnlichen Punkt wie die Jets, entsprechend klar ist auch das Profil, das der neue Head Coach erfüllen muss.
Ein Rookie wäre hier fehl am Platz. Es braucht einen erfahrenen Coach, der weiß, wie eine Franchise auf operativer Ebene tickt und der bestenfalls schon einmal einen Neuaufbau geleitet hat. Und der eine klare Identität vorgibt.
Kurzum: Ein Dan Campbell für Piraten muss her. Neben den bereits genannten Kandidaten wie Mike Vrabel und Ron Rivera wäre auch Robert Saleh hier zu nennen. Insgesamt verlief seine Zeit bei den Jets zwar enttäuschend. Aber wirklich besser wurde es in New York nach seiner Entlassung auch nicht.
Immerhin können die Raiders auf die Expertise von Tom Brady setzen, der bekanntlich Minderheitseigentümer der Franchise ist und sicherlich ein Wörtchen mitreden wird. Mit Vrabel verbindet ihn eine lange Patriots-Vergangenheit ...