Super Bowl am Sonntag live auf ProSieben und ran.de
Tyreek Hill und der lange Schatten der Vergangenheit
- Aktualisiert: 25.01.2021
- 18:05 Uhr
- ran.de / Andreas Reiners
Tyreek Hill will am Sonntag (ab 22:45 Uhr live auf ProSieben und ran.de) mit den Kansas City Chiefs nach 50 Jahren den Super Bowl wieder nach Kansas City holen. Auch, um dem Schatten der eigenen Vergangenheit zu entkommen.
München – Man kann Menschen immer nur vor den Kopf gucken. Das macht es so schwierig, bei Fremden zu wissen, woran man wirklich ist. Alles bleibt oberflächlich, beim Kontakt mit Superstars natürlich sowieso, auch wenn es beruflich ist. Was Medien betrifft, wahrscheinlich gerade weil es beruflich ist.
So gesehen ist Tyreek Hill ein sehr cooler Typ. Umgänglich. Charmant. Und witzig. Immer gut drauf, immer ein Lächeln auf den Lippen.
So gibt er sich in der Woche vor dem Super Bowl (Sonntag ab 22:45 Uhr live auf ProSieben und ran.de) mit seinen Kansas City Chiefs gegen die San Francisco 49ers.
So wirkt er, auf den ersten Blick. Und der entscheidet ja oft bei der ersten Beurteilung.
Ein Beispiel: Als der Wide Receiver gefragt wurde, was sein speziellster Moment mit Quarterback Patrick Mahomes war, sagte er: "Wenn er in den Huddle kommt und sich wie ein Frosch anhört", sagte Hill: "Ich breche jedes Mal zusammen, als ob es das erste Mal ist."
Gelungener Auftritt. Seine Imitation brach er trotzdem schnell ab. "Sonst wirft er mir den Ball nicht mehr zu mir."
Dafür fing er in einer anderem Medienrunde an zu rappen.
Parallel sprach er über seine Ambitionen, bei Olympia 2020 in Tokio mitmischen zu wollen, auf der High School sei er die 100 Meter in 9,9 Sekunden gelaufen. Nette Nummer.
Genau die richtige Mischung aus Entertainment und Humor. Nicht übertrieben, sondern natürlich. Man nimmt es ihm durchaus ab.
Doch der Schatten der eigenen Vergangenheit ist lang.
Kumpeltyp und Witzbold
Hill ist in Miami der Kumpeltyp, der Witzbold, die Stimmungskanone. Einer, mit dem man zusammen lachen, Mist bauen kann. Einer, mit dem man einen trinken gehen würde.
Er ist aber auch einer, der möglicherweise sein Kind misshandelt hat.
Ihm wurde im Frühjahr 2019 vorgeworfen, seinen dreijährigen Sohn geschlagen und dabei den Arm gebrochen zu haben.
Drei Jahre alt. Zugegeben: Es dauert ein wenig, bis das in seiner ganzen Brutalität und Ungeheuerlichkeit durchdringt.
Doch das Thema ist abgehakt. Zumindest offiziell.
Es gibt zwar eine Videoaufnahme, darin ist zu hören, wie er seine Verlobte bedroht und offen darüber spricht, seinen Sohn mit einem Gürtel zu disziplinieren. "Du solltest auch Angst vor mir haben, Schlampe", sagte er. Worte wie Peitschenhiebe. Vor allem dann, wenn man die ganze Story kennt.
Die Veröffentlichung dieser Audioaufnahme hatte für Hill schwerwiegende Konsequenzen. Die Kansas City Chiefs hatten ihn daraufhin von allen Teamaktivitäten ausgeschlossen.
Doch aus Mangel an Beweisen gab es keine Anklage. Und von der NFL daher auch keine Sperre. Dafür einen faden Beigeschmack, der eine gewisse Übelkeit auslöst. Denn trotz des Freispruchs 2. Klasse sind sich die Ermittler sicher, dass das Kind unter Gewalteinwirkung litt. Sie konnten nur die Frage nicht beantworten, wer von beiden dafür verantwortlich war.
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Brisante Vorgeschichte
Mit Hills Vorgeschichte wird es besonders brisant: Der Receiver hat 2014 seine damals schwangere Freundin geschlagen und gewürgt. Er bekannte sich schuldig und wurde vom Oklahoma State Football-Team verbannt. Er erhielt eine dreijährige Gefängnisstrafe, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Von den Chiefs wurde er 2016 trotzdem gedraftet, die Kritik war laut.
Auch der zweite Skandal war für alle Beteiligten ein mittelschweres Desaster, das die Chiefs mit einem neuen, 54 Millionen Dollar schweren Vertrag belohnten.
Es wirkt in dem Kontext bizarr, wenn Chiefs-Besitzer Clark Hunt jetzt in Miami bei "ESPN" sagt: "Wir haben Tyreek mit seinem Sohn in den letzten Jahren hier gesehen. Ich denke, die Leute aus der Organisation würden Ihnen sagen, dass er ein hervorragender Vater ist."
Auch Trainer Andy Reid ist "stolz" auf Hill, der gewachsen sei: "Das sieht man gerne bei diesen jungen Leuten. Er ist ein guter Vater und ein guter Footballspieler. Wir sind glücklich, ihn zu haben."
Die Sache mit dem "vor den Kopf gucken" gilt ganz offensichtlich auch dann, wenn man täglich miteinander zu tun hat. Doch klar: Die Chiefs können es nicht verhindern, dass das Thema vor dem Super Bowl noch einmal hochkommt, sie haben aber Interesse daran, es kurz und so positiv wie möglich zu halten. Olympia-Ambitionen und Mahomes-Imitationen helfen dabei ganz gut.
Besserer Vater?
Man muss dazu sagen: Seit damals ist ja auch Ruhe. Hill musste sich untersuchen lassen, ging zur Therapie. Das hat ihm dem Anschein nach auch sehr geholfen.
"Meine Eltern haben mich dazu erzogen, immer an Gott zu glauben und immer an das zu glauben, was du durchmachst", sagte Hill. "Ich hatte eine harte Zeit, aber ich konnte mich durch meinen Glauben und durch die Menschen, die ich um mich hatte, durchkämpfen. Ich konnte meinen Sohn immer noch sehen und mein Sohn weiß, was los ist. Meinen Sohn in diesen Momenten bei mir zu haben, war eine große Sache. Er sagt mir bis heute: 'Papa, du bist mein bester Freund, egal was passiert.'"
Dafür sollte Hill dankbar sein.
Aber haben Menschen nicht eine zweite Chance verdient, auch wenn es streng genommen die dritte ist? Muss man den Sportler und den Privatmenschen Hill nicht sowieso trennen?
Denn natürlich gibt es in dem ganzen Dilemma auch noch den Football-Star Hill, und der war in der Saison 2019 über jeden Zweifel erhaben. Das ist er im Grunde seit seinem NFL-Debüt 2016.
Zum vierten Mal im Pro Bowl
Er verpasste verletzungsbedingt vier Spiele, kam aber in zwölf Spielen auf 58 Catches für 860 Yards und sieben Touchdowns. Er wurde in seiner vierten Saison zum vierten Mal in den Pro Bowl berufen.
Er ist einer der besten Playmaker, ein X-Faktor, einer, der den Unterschied machen kann. Ein Teil der "Legion of Zoom" mit Mecole Hardman und Sammy Watkins. Kandidat für den MVP des Super Bowl. Potenzieller Held, der nach 50 Jahren die Vince-Lombardi-Trophy wieder nach Kansas City holen kann.
Denn der 25-Jährige ist die besondere Waffe der Chiefs, die besondere Waffe für Mahomes, explosiv, schnell, einer der schnellsten, wenn nicht der flinkeste Spieler der Liga.
Nur dem langen Schatten seiner eigenen Vergangenheit konnte er noch nicht davonlaufen.
Andreas Reiners
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