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NBA-Kolumne: Holiday in Boston – darum könnten die Bucks ihren Lillard-Trade bereuen
- Aktualisiert: 12.10.2023
- 16:22 Uhr
- Ole Frerks
Kurz nach dem Trade von Damian Lillard haben die Boston Celtics reagiert und ihrerseits für Jrue Holiday getradet. Warum der zweimalige All-Star ein perfekter Fit in Beantown ist und die Celtics mindestens wieder auf die Stufe der Bucks hebt – und warum beide Teams nun über Jahre hinweg miteinander verbunden sein werden.
Von Ole Frerks
Ob die Milwaukee Bucks ihren Trade für Damian Lillard wohl exakt so noch einmal machen würden? Vermutlich, schließlich hatten sie Dame als das Upgrade identifiziert, das ihr Team brauchte, um mit Giannis Antetokounmpo so schnell wie möglich noch einmal Meister zu werden. Trotzdem könnte sie dieser Trade am Ende einholen, und das nicht nur aufgrund möglicher defensiver Schwierigkeiten.
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Indem sie Jrue Holiday nach Portland schickten, gaben sie die Kontrolle über dessen nächste Destination ab. Sie ermöglichten damit das Szenario, das nun eingetreten ist: Holiday landete bei ihrem wohl größten Rivalen. Womit nicht die Miami Heat gemeint sind (was machen die nun eigentlich?), sondern die Boston Celtics. Die beiden Teams, die den Osten schon vergangene Saison eigentlich unter sich ausmachen sollten (ups), haben aufgerüstet. Und wie.
So sah der Trade im Detail aus:
Die Celtics erhalten: Jrue Holiday
Die Trail Blazers erhalten: Robert Williams III, Malcolm Brogdon, 2024er Erstrundenpick (via Golden State), 2029er Erstrundenpick (ungeschützt)
Auf die NBA ist einfach Verlass. Erst recht auf Brad Stevens, wie es scheint.
Das Wichtigste in Kürze
Es ist erst etwas mehr als zwei Jahre her, dass Stevens von der Trainerbank ins Front Office der Celtics wechselte. Seither hat er mehr große Deals eingefädelt als nahezu jeder seiner Kollegen: Allein im ersten Kalenderjahr tradete er unter anderem für Al Horford, Derrick White und Malcolm Brogdon. Das Team erreichte in Jahr eins die Finals und im soeben abgeschlossenen NBA-Jahr Spiel 7 der Conference Finals, trotzdem wirbelte Stevens sein Team in dieser Offseason erst recht durcheinander.
Marcus Smart? Grant Williams? Brogdon? Williams III? Alle weg, dabei gehörten alle vier zu den acht meisteingesetzten Spielern in den Playoffs, Brogdon war der amtierende Sixth Man of the Year und Smart sogar mehr als das, der langjährige Anführer der Mannschaft. Neu sind dafür Kristaps Porzingis und nun eben Holiday, der als vielleicht einziger NBA-Spieler nahezu all die kleinen Plays abdecken kann, die Smart so besonders machten – und ein verlässlicherer Offensivspieler ist.
Top 6 der Celtics schlichtweg unheimlich
Bevor wir zu den Fragen kommen, die es natürlich gibt – die Top 6 der Celtics ist nun schlichtweg unheimlich. Holiday ist ein perfekter Fit für dieses Team und seine defensive Variabilität. Er kommt ideal in kleineren, switch-lastigen Lineups zurecht, weil er dank seiner Kraft ohnehin oft größere Spieler verteidigen muss. Boston könnte mit ihm, White, Jayson Tatum, Jaylen Brown und Al Horford die beste Switching Defense der Liga auf den Court schicken, ohne erkennbare Schwachstelle.
Boston kann auch groß spielen, sollte entweder White oder Holiday von der Bank kommen. Beide gehören zu den besten Point-of-Attack-Verteidigern der Liga und können Porzingis das Leben in der Drop Coverage erleichtern – Holiday trug seit Jahren wesentlich dazu bei, dass diese Defense in Milwaukee mit Brook Lopez so gut funktionierte, weil er sich um jeden Screen kämpfte und den ballführenden Spieler oft noch von hinten beim Wurf störte.
Es wird knifflig, gegen diese Celtics zu dribbeln oder zu werfen. Ihre Top 6 besteht ausschließlich aus Spielern, die in den vergangenen Jahren Stimmen für All-Defensive Teams bekommen haben. Und dabei lässt sich trotzdem dafür argumentieren, dass die Transformation in der Offensive noch größer sein könnte.
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Darum könnte Holiday es in Boston leichter haben
Holiday bringt einige der Probleme seines Vorgängers mit – er trifft teils kuriose Entscheidungen mit dem Ball und ist turnover-anfällig. Sein Wurf ist als streaky zu bezeichnen. Die 39,5 Prozent von draußen, die er in Milwaukee über drei Jahre in der Regular Season traf, sind dennoch ein großes Stück über allem, was Smart (Karriere: 32,3 Prozent) hier je geschafft hat. Holiday wird draußen schlichtweg mehr respektiert und anders verteidigt als Smart, was dem Spacing helfen sollte.
Er ist auch ein konstanterer Creator eigener Offense, kann Bully-Ball spielen und gegen schwächere Guards aufposten oder Mitteldistanzwürfe treffen, ist kein überragender, aber guter Passer. Ein Indikator: Die Bucks hatten vergangene Saison ein Net-Rating von +4,8, wenn Jrue ohne Giannis auf dem Court stand. Spielte Giannis ohne Holiday, lag dieser Wert bei -1,3. In vergangenen Jahren und auch schon zuvor in New Orleans neben Anthony Davis war es recht häufig ähnlich.
Holiday ist kein perfekter Offensivspieler und auch kein klassischer Point Guard – es hatte schon seine Gründe, dass Milwaukee Lillard unbedingt haben wollte. Es lässt sich aber auch argumentieren, dass Holiday bei den Bucks zuletzt ein bisschen zu viel offensive Last trug, gerade in den Playoffs, wo seine Effizienz mehrfach komplett einbrach. Durch die Verletzungen von Khris Middleton wurde er oft in eine Rolle gedrängt, die offensiv etwas zu groß für ihn war. Die Bucks schickten zu viele Spezialisten auf den Court, die darauf angewiesen waren, dass Giannis oder Jrue etwas für sie kreierten.
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In Boston wird Holiday in der Regel maximal die dritte Option sein, oft sogar nicht einmal das. Jeder Spieler in der Top 6 kann werfen, mit Ausnahme von Horford kann und soll sich auch jeder selbst Offense kreieren. Das sollte Holiday entgegenkommen, der gerade am Ende von Spielen nun nicht mehr so viel erzwingen muss wie teilweise zuletzt in Milwaukee.
Boston muss an der Tiefe arbeiten
Riskant ist der Deal aus Celtics-Sicht dennoch. Williams III war, wenn gesund, eine Spezialzutat in der Defense und auch offensiv mit seiner Athletik ein Faktor, den niemand sonst replizieren konnte oder kann. Brogdon war der beste Bankspieler der vergangenen Saison, wenngleich Boston schon zu Beginn der Offseason versuchte, ihn zu traden, und Berichten zufolge dadurch böses Blut entstand.
Beide sind Verluste, beide waren allerdings auch schon so oft verletzt, dass es schwer bis naiv gewesen wäre, sich für eine gesamte Saison auf sie zu verlassen. In seiner Top 6 hat Boston jetzt nur noch einen dieser Spieler (Porzingis), der durch Williams‘ Abgang allerdings ungleich wichtiger geworden ist, weil der einzige andere bewiesene Big Man 37 Jahre alt ist. Gut möglich, dass Stevens die Tiefe im Frontcourt noch weiter adressieren muss, mit Wenyen Gabriel wurde bereits ein weiterer Spieler nachverpflichtet.
Auch auf dem Flügel könnte noch etwas passieren, Boston wird wohl genau wie Milwaukee zu den Teams gehören, die sich um Buyout-Spieler wie Reggie Bullock bemühen, und auch nach weiteren Trades Ausschau halten. Stevens hat noch etliche Picks zur Verfügung, allerdings quasi keine Gehälter mehr, die sich für Trades eignen, da es abgesehen vom Kern fast nur Minimalverträge gibt.
Auch in Boston tickt die Uhr
Die Arbeit ist noch nicht beendet – gleichzeitig sollte das Thema Tiefe gerade im Hinblick auf die Playoffs, um die es für Boston ja primär geht, auch nicht überbewertet werden. Denver wurde just Meister mit einer Rotation aus sechs Fixpunkten und zwei bis drei Teilzeitkräften. Milwaukee hat vier, vielleicht fünf Fixpunkte, wenn man den Kreis noch um Pat Connaughton erweitern will. Die Phoenix Suns bestehen aus drei Stars und einem Haufen Rollenspieler, bei denen sich zeigen muss, wie viele von ihnen Fixpunkte sein können.
Die Liga ist top-heavy – im Vergleich mit anderen Favoriten hat Boston mit sechs bewiesenen Spielern sogar überdurchschnittlich viel Playoff-Tiefe … und kaum eklatante Schwachstellen, wenn die sechs besten Spieler gesund sind, weil diese eben alle defensiv wie offensiv ihren Beitrag leisten. Sollte Boston gesund durch die Saison kommen, ist dieser Kern eine sehr gute Ausgangslage, um Banner Nummer 18 endlich einzufahren.
Und, das ist klar, um nichts anderes geht es in Boston. Brown hat seinen Supermax-Vertrag soeben bekommen, Tatum ist im Jahr 2025 dran und es ist gut möglich, dass es dann nicht mehr ratsam oder praktikabel sein wird, dieses Team unter dem neuen Collective Bargaining Agreement zusammenzuhalten (nebenbei: Weder der Lillard- noch der Holiday-Trade wäre unter den neuen Regeln, also ab 2024, noch erlaubt. Ob das eine gute Idee ist?).
Portland spielt auf Zeit und wird belohnt
Entsprechend müssen die beiden Jahre bis dahin maximiert werden, weshalb es Sinn ergab, sich einen 33-jährigen Guard zu holen, da dieser – aller Wahrscheinlichkeit nach – über die kommenden zwei Jahre einen größeren Beitrag leisten kann als die oft verletzten Brogdon und Williams III. Dass er zudem alles über den größten Rivalen im Osten weiß und Lillard vor Ewigkeiten mal in einer Playoff-Serie an die Wand spielte, ist ein Bonus, den Boston ebenfalls sicherlich gerne mitnimmt.
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Auch die Picks waren vor diesem Hintergrund wohl entbehrlich für die Celtics. Portland sieht sich derweil für seine Geduld in der Causa Lillard belohnt: Statt den erstbesten Deal vom "einzigen" Bieter Miami zu nehmen, spekulierten die Blazers auf andere Entwicklungen in der Liga (etwa drohende Unzufriedenheit eines Spielers wie Giannis) und bekamen einen weitaus größeren Gegenwert zurück.
Brogdon dürfte in einem dritten Trade ein anderes Team finden und einen weiteren Erstrundenpick zurückbringen. Mit Deandre Ayton und Williams III haben die Blazers jetzt eine Center-Rotation, nach der sich Lillard über die letzten zehn Jahre die Finger geleckt hätte, falls sie beide behalten wollen (und sonst wäre Williams mit seinem sehr teamfreundlichen Vertrag jederzeit wieder tradebar). Beide wären auch jung genug, um mit den Guards gemeinsam zu wachsen.
Das Hier und Jetzt
Hinzu kommt, dass sich die Blazers durch ihre zwei Trades jetzt an die Zukunft zweier Teams geheftet haben. Sowohl Milwaukee als auch Boston schicken 2029 ihren ungeschützten Erstrundenpick nach Portland und die Chance scheint günstig, dass wenigstens einer davon gut sein wird. Boston wirkt etwas besser aufgestellt, um auch dann noch gut zu sein, da ihr bester Spieler Tatum 2029 noch immer erst 31 sein wird … aber wer kann in dieser NBA schon so weit in die Zukunft blicken?
Deswegen ergibt es Sinn, seine Chancen auf unterschiedliche Teams zu streuen. Für die Blazers geht es um die Zukunft. Für Milwaukee und Boston geht es um das Hier und Jetzt, um das Maximieren des jeweiligen Zeitfensters. Schon vor der vergangenen Woche galten beide Teams als Favoriten in der Eastern Conference – jetzt schweben sie bis auf Weiteres in ihren eigenen Sphären.
Dass beide großen Trades unmittelbar zusammenhingen und der eine nicht ohne den anderen möglich gewesen wäre, bringt noch eine gehörige Portion zusätzliche Würze ins Spiel. In den USA ist gerade Media Day und die Liga ist jetzt schon im Alarmzustand. Wie schon gesagt: Auf die NBA ist einfach Verlass.