NBA-Kolumne
NBA-Kolumne - Der Harden-Trade aus drei Perspektiven: Was der Deal für Philly, die Clippers und Harden bedeutet
- Aktualisiert: 02.11.2023
- 18:41 Uhr
- Ole Frerks
Die Philadelphia 76ers haben nach langem Hin und Her nun doch James Harden zu den L.A. Clippers getradet. Für Philly ist das wohl nur der erste Schritt einer Neustrukturierung des Kaders. In Los Angeles treffen zwei Suchende aufeinander.
von Ole Frerks
Es ist vollbracht! Nach monatelangem Hin und Her und einem "Verhandlungsstopp" vor wenigen Tagen ging es nun auf einmal ganz schnell und James Harden hat doch den Wunsch bekommen, den er von Anfang an formuliert hat: Er wurde zu den Clippers getradet, in seine Heimat Los Angeles.
Er wird damit der vierte künftige Hall-of-Famer mit kalifornischen Wurzeln im Team, wird mit Russell Westbrook wiedervereint und trifft erstmals auf Paul George und Kawhi Leonard. Zum vierten Mal in seiner Karriere wird der MVP von 2018 getradet, zum dritten Mal seit Januar 2021, jeweils auf eigenen Wunsch.
Der kolportierte Trade im Detail:
Die Clippers bekommen: James Harden, P.J. Tucker und Filip Petrusev
Die Sixers bekommen: Marcus Morris, Robert Covington, Nic Batum, KJ Martin, einen 2028er Erstrundenpick von den Clippers, zwei Zweitrundenpicks, einen Pick-Swap 2029 und einen zusätzlichen geschützten Erstrundenpick 2026 von den OKC Thunder.
Die Thunder bekommen: Einen Pick-Swap 2027 von den Clippers.
Die Sixers entlassen zudem Danny Green, da sie für den Deal einen Kaderplatz frei schaufeln müssen.
Das Wichtigste in Kürze
Externer Inhalt
Der Harden-Trade aus Sicht der 76ers
Es war an der Zeit. Es war seit längerem absehbar, dass es keine Aussöhnung zwischen Harden und Sixers-Teampräsident Daryl Morey geben würde. Harden hatte seinen einstigen Förderer öffentlich als Lügner bezeichnet und klar geäußert, dass er nie wieder für ein Team unter dessen Regentschaft spielen würde, über die vergangenen Wochen waren die Statusmeldungen über sein etwaiges Erscheinen beim Sixers-Training ein konstanter Begleiter bei jedem Termin des Teams. Es wäre auch über den restlichen Saisonverlauf eine Ablenkung geblieben.
Mit dem Trade in der jetzigen Form bekommen die Sixers keinen Star zurück, das war allerdings auch schon seit Monaten abzusehen. Harden hat seinen eigenen Wert über die letzten Monate (und Jahre) durch die konstanten Trade-Forderungen so gedrückt, dass schlichtweg kaum noch ein Markt für ihn existierte, zumal sein Vertrag ausläuft. Die Sixers erfüllten dafür andere Ziele.
Die Verträge, die sie zurückbekommen, laufen allesamt aus. Da sie zudem Tucker abgaben, der über eine Spieler-Option für 24/25 verfügte, haben sie durch den Trade sogar noch mehr Cap-Space für den kommenden Sommer freigeschaufelt. Nur Joel Embiid steht Stand jetzt fix für die kommende Saison unter Vertrag, die Sixers könnten in der Offseason also auf Star-Jagd gehen (und ihren eigenen Jung-Star Tyrese Maxey zu maximalen Konditionen halten).
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Vielleicht wollen sie aber auch nicht so lange warten. Maxey hat in der ersten Saisonwoche gezeigt, dass er bereit für eine größere Rolle ist und den Sprung Richtung All-Star machen kann. Embiid befindet sich mitten in seiner Blütezeit und knüpft nahtlos an sein MVP-Jahr an (31 Punkte, 10,3 Rebounds, 7 Assists), ist in der neuen Offense von Nick Nurse sogar deutlich auffälliger als Playmaker.
Vielleicht will Philly die Chance ergreifen, um dieses Duo herum schon in diesem Jahr ein gefährliche(re)s Playoff-Team aufzubauen. Dafür bringt der Harden-Trade den Sixers in erster Linie Munition zurück. Mit den Draft-Assets sowie auslaufenden Verträgen könnte sich Philly um Spieler wie Pascal Siakam oder Zach LaVine bemühen, um nur zwei Beispiele zu nennen.
Es muss jedoch keinen Schnellschuss geben. Gut möglich, dass sich die Sixers ihr neues Team erst einmal ansehen und in Ruhe beurteilen wollen, was funktioniert und was noch gebraucht wird. Die geholten Spieler sind allesamt keine Core-Pieces, könnten aber kurzfristig helfen, Batum oder Covington könnten sogar als Starter an Tuckers Stelle funktionieren. Gerade Batum kann einer Offense mehr geben als Tucker, auch wenn der Franzose die besten Jahre hinter sich hat.
Ein zusätzlicher Ballhandler wäre nach wie vor wichtig, gerade in den Minuten ohne Maxey. Philly kann sich danach jetzt aber aus einer angenehmeren Position heraus umsehen. Der Trade hat sie flexibler gemacht und ihnen etwas Ruhe gegeben.
Auf dem Papier ist es ein klares Downgrade in Sachen Talent - aber das war wie gesagt von Anfang an nicht zu verhindern. Und dass gerade bei Harden "auf dem Papier" nicht entscheidend ist, weiß man nicht erst seit diesem Sommer.
Der Harden-Trade aus Sicht der Clippers
Bleiben wir direkt dabei: "Auf dem Papier" hat L.A. jetzt ein Superteam. Zwei frühere MVPs! Zwei weitere Spieler mit Top-3-Finishes in einem MVP-Rennen (sowie die komplette Top 3 der Saison 2016/17)! Kombinierte 32 All-Star-Teilnahmen! Vier der besten NBA-Spieler der letzten ca. zwölf Jahre in einem Team! Was soll da schiefgehen?
Ja, was eigentlich? Die Clippers sind gut in die Saison gestartet, haben allerdings seit Jahren gewisse Probleme, die auch jetzt relevant geblieben wären: Passing ist keine Stärke, im Gegenteil. Es gibt viele Turnover, nicht immer die besten Entscheidungen in der Offense, die zwischendurch oft sehr statisch wird. Außerdem verpassen die besten Spieler, also Leonard und George, seit Jahren eine ganze Menge Spiele und L.A. steht ebenso lange im Ruf, die Regular Season nicht ernst genug zu nehmen.
Harden kann einige dieser Probleme lösen. Es ist mittlerweile in Vergessenheit geraten, aber auch in der vergangenen Saison spielte der 34-Jährige auf All-NBA-Niveau und führte die Liga bei den Assists an. Er ist einer der konstantesten und effizientesten Offensiv-Spieler der Geschichte, auch im letzten Jahr war die Sixers-Offense noch in allen Belangen besser, wenn Harden auf dem Court stand.
Es ergibt für die Clippers Sinn, für so einen Spieler zu traden, zumal sie dafür keine wichtigen Rotationsspieler abgeben mussten. Die "Ära" George und Leonard ist bis dato eine Enttäuschung und wird nicht mehr ewig andauern, mit Harden erhöhen die Clippers die Chance, gut durch die Regular Season zu kommen und mit einer starken Ausgangsposition in die Playoffs zu gehen, eindeutig.
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Ob Harden auch die Titelchancen erhöht, steht auf einem anderen Blatt.
Harden hat sich über die Jahre insbesondere in Houston an eine bestimmte Art von Basketball gewöhnt. Seine Teams spielen langsam, methodisch, er hält dabei viel den Ball in der Hand, legt sich die Offense zurecht und ist der erfolgreichste High-Volume-Isolations-Scorer seiner Ära. Er kann auch andere Spieler einsetzen, siehe Embiid vergangene Saison, aber eben auf seine Weise.
Sein eigener Wert als Off-Ball-Player ist limitiert, weil er ohne Ball in der Hand stehen bleibt und ungern Würfe aus dem Catch-and-Shoot nimmt, auch wenn sich das vergangene Saison wenigstens ein bisschen änderte. Er musste ohne Ball noch nie so verteidigt werden, wie es bei einem Shooter seines Formats eigentlich der Fall sein sollte.
In den Playoffs wäre Harden am Ende enger Spiele aber nicht derjenige, der den Ball in der Hand halten sollte. Nicht nur deshalb, weil sein eigener Playoff-Ruf nach etlichen 2/11-Spielen über die Jahre höchst zweifelhaft ist, sondern weil Leonard eine bessere Option darstellt. Nicht über die gesamte Saison oder über die gesamten 48 Minuten, aber dann, wenn es darauf ankommt.
Es ist eine spannende Frage, ob Harden sich in diesem Kontext neu erfinden kann und möchte. Dem letztjährigen Sixers-Coach Doc Rivers zufolge scheiterte Philly vergangene Saison nicht zuletzt daran, dass Harden irgendwann wieder Harden-Ball spielen und eben kein Table-Setter mehr sein wollte.
Rivers und Harden waren sich nicht grün, insofern sind solche Aussagen mit Vorsicht zu genießen, allerdings war es für alle ersichtlich, dass Embiid beispielsweise in den letzten vier Minuten von Spiel 6 der Serie gegen Boston, als die Sixers die Conference Finals hätten eintüten können, keinen Wurf mehr bekam. Das war über weite Strecken der Saison Hardens zentrale Aufgabe.
Die Clippers wissen das alles. Sie dürften auch wissen, dass sie seit Jahren ein Defizit in Sachen Rim-Pressure haben und dass Harden dies nicht lösen kann. Dass er defensiv so seine Probleme hat, auch wenn sie immerhin das Potenzial für eine starke Switching-Defense mit Terance Mann, George, Leonard und Tucker haben, in der er sich traditionell am wohlsten fühlt. Dass er über die letzten knapp drei Jahre dreimal Trades gefordert hat, sobald ihm die Situation um ihn herum nicht mehr passte, und sich dabei teilweise höchst unprofessionell verhalten hat.
Vielleicht gibt Hardens Situation ihnen Hoffnung, dass es bei ihnen anders laufen wird und dass er sie in den Contender-Kreis hievt, in dem ein Team mit ihrer Payroll eigentlich stehen muss. Die Option "Neuaufbau via Draft" kommt nicht in Frage, weshalb sie es verkraften können, auch ihr restliches Draft-Kapital für das Hier und Jetzt zu opfern. Gewissermaßen hatten sie nichts mehr zu verlieren.
Der Harden-Trade aus Sicht von ... Harden
Harden schon. Über Jahre war Harden so gut, dass es nie in Frage gestellt werden musste, wo der nächste Vertrag herkommen und dass dieser natürlich die maximale Anzahl an Dollars mit sich bringen würde. Er konnte Abgänge provozieren und wusste, dass es ihm am Ende vermutlich trotzdem nicht schaden würde. Nach dieser Offseason kann er so endgültig nicht mehr denken.
Houston galt als interessiert am Free Agent Harden, bevor dort Ime Udoka unter Vertrag genommen wurde und feststellte, dass ein alternder, balldominanter Superstar nicht der ideale Fit für sein junges Team war. Andere ernsthafte Interessenten gab es nicht, auch nicht an einem Trade, nachdem Harden seine Spieler-Option zog, weshalb sich dieses Theater über so einen langen Zeitraum abspielte.
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Die Liga hat gesehen, wie schnell Harden über die vergangenen Jahre bei Teams unzufrieden wurde, selbst wenn er dort kurz vorher ausdrücklich hinwollte und um Titel mitspielen konnte. Gleichzeitig unterschritten seine (nach wie vor großen) Fähigkeiten die Schwelle, an der sie die potenziellen Kopfschmerzen für viele Teams nicht mehr wert waren. MVP-Harden konnte sich Dinge leisten, die sich Fringe-All-NBA-Harden nicht mehr zwingend erlauben konnte.
Bei den Clippers erhält er nun eine weitere Chance, die dadurch zustande kam, dass die Franchise kurz vor dem Umzug in eine eigene Halle auf keinen Fall einen Neuaufbau will, sondern aus einer verzweifelten Situation heraus alles versuchen musste, um das Team irgendwie besser zu machen. Es ist für Harden vielleicht die letzte Chance dieser Art, zumal sein Vertrag ausläuft.
Auf dem Papier kann es klappen. Keiner der Ü30-Stars muss das Team allein schultern, in der Regular Season können Verantwortungen schön verteilt werden. Ivica Zubac wird von Harden und Westbrook mehr leichte Abschlüsse serviert bekommen als je zuvor in seiner Karriere. Die Clippers können groß oder klein spielen, haben Shooting, Playmaking, Defense, noch immer solide Tiefe. Kawhi kann in der Theorie immer noch der beste Spieler in jeder Playoff-Serie sein.
In der Praxis bringen sowohl die Clippers als auch Harden selbst mittlerweile so viel Gepäck mit, dass es schwer fällt, an diese Symbiose zu glauben. In dieser Hinsicht passen Harden und die Clippers perfekt zueinander: Das Potenzial interessiert keinen mehr, Ausreden auch nicht. Es geht nur noch um Resultate, allen voran in den Playoffs. Wenn diese erneut ausbleiben, gibt es Konsequenzen.
Was soll da schiefgehen?