NBA Live auf PROSIEBEN MAXX, ran.de und JOYN
NBA-Kolumne: Schreckgespenst oder Papiertiger? Wie die Sixers den Osten einschüchtern
- Aktualisiert: 17.04.2024
- 11:05 Uhr
- Ole Frerks
Am letzten Spieltag der Regular Season kam es zu teils peinlichen Szenen in Cleveland – alles aus Furcht vor einem Spieler. Doch was ist von Joel Embiid in den Playoffs zu erwarten, falls die 76ers diese überhaupt erreichen?
Von Ole Frerks
J.B. Bickerstaff wollte nichts dem Zufall überlassen. Begonnen hatte sein Team das Spiel bereits ohne beide Starter im Backcourt, während des Spiels dünnte der Coach seine Rotation immer weiter aus. Bei noch 6:39 Minuten auf der Uhr brachte Bickerstaff Tristan Thompson für Max Strus, an der Seite von Isaiah Mobley, Pete Nance, Emoni Bates und Damian Jones beendete der letzte verbliebene Champion von 2016 dann das Spiel.
Cleveland führte gegen Charlotte mit 108:102, als Thompson kam. Cleveland erzielte danach noch 2 Punkte mit seinem Lineup aus einem Swingman und vier Bigs. Die Hornets erzielten noch 18 Punkte, obwohl sie das Spiel eigentlich auch nicht gewinnen wollten. Die Cavs tankten auf Weltklasse-Niveau, waren darin konsequenter als ihre Gäste.
Es war ein jämmerliches Schauspiel von einem Team, das zu diesem Zeitpunkt, als New York parallel gegen Chicago hinten lag, mit einem Sieg Zweiter im Osten hätte werden können. Da die Knicks ihr Spiel noch drehten, wäre es dazu nicht gekommen – mit einem Sieg wäre Cleveland Dritter statt Vierter geworden, wäre nicht auf der Bracket-Seite der übermächtigen Celtics gelandet, hätte mit Indiana ein potenziell besseres Matchup erwischt als nun mit Orlando.
Aber später ist man eben immer schlauer. Cleveland wollte unter keinen Umständen Gefahr laufen, in der ersten Runde auf den anderen bösen Wolf der Eastern Conference zu treffen. Wenn man die Philadelphia 76ers denn als solchen ansehen will.
Das Wichtigste in Kürze
Die Sixers sind ein Enigma, oder besser gesagt: Sie sind Vieles gleichzeitig, schwer zu greifen. Sie sind das Team im Osten, das – nach Boston – eine Zeit lang den wohl besten Basketball in dieser Saison gespielt hat (nur die Knicks und Cavs können da mitreden). Sie standen mal bei 29-13, nachdem Joel Embiid gegen die Spurs 70 Punkte erzielt hatte; ihr Net-Rating betrug zu diesem Zeitpunkt +8,3, nur 1 Zähler hinter den Celtics. Es ist lange her.
Was danach passierte, ist bekannt: Embiid verletzte sich am Knie, fiel monatelang aus. Es gab weitere Ausfälle, etwa von De’Anthony Melton. Es gab Neuzugänge, namentlich Kyle Lowry und Buddy Hield. Es gab einen freien Fall, bis in die Play-In-Ränge. Dann gab es plötzlich Embiids Comeback, am 2. April stand der noch amtierende MVP erstmals wieder auf dem Court.
Aktuell gibt es acht Siege in Folge – die längste Siegesserie aller NBA-Teams zum Start der Postseason. Auf einem Play-In-Rang ist Philadelphia trotzdem geblieben, trotz identischer Bilanz wie Platz fünf (Orlando) und sechs (Indiana). Und jetzt stellt sich die Frage, wie gefährlich dieses Team – und dieser Embiid – nun wirklich sein kann.
Die längste Siegesserie der NBA
Wichtig vorweg: Die acht Siege kamen gegen einen sehr dankbaren Spielplan zustande – beim Comeback traten die Thunder ohne Shai Gilgeous-Alexander und Jalen Williams an, Orlando wurde ohne Franz Wagner geschlagen, ansonsten hatte von allen Gegnern nur Miami eine positive Bilanz und echte Ambitionen. Sei’s drum: Vor Embiids Rückkehr hätten sich die Sixers auch mit diesen Aufgaben schwergetan.
Der Big Man selbst wirkte in fünf Spielen mit – das Back-to-Back in San Antonio wurde ihm erspart, am letzten Spieltag gegen Brooklyn wurde er geschont, nachdem er sich im vorigen Spiel gegen Orlando wieder am Knie verletzt hatte. Eine "Vorsichtsmaßnahme", berichtete "ESPN". Das anstehende Play-In-Duell mit Miami wurde (natürlich) als wichtiger angesehen.
Es bleibt also vorerst nur der Eindruck aus fünf Spielen. Dieser war überraschend gut – Embiid legte 30,4 Punkte, 9,2 Rebounds und 5,2 Assists auf, bei starker Effizienz (64,1% True Shooting). Er wurde schnell müde und wirkte teilweise rostig, konservierte defensiv seine Energie, hatte jedoch auch einige richtig starke Sequenzen, in denen seine Endgeschwindigkeit überzeugte.
Externer Inhalt
Externer Inhalt
Bei wieviel Prozent ist Embiid?
Embiid ist noch nicht wieder er selbst, was unter anderem die 24 Ballverluste in fünf Spielen zeigen, oder die Tatsache, dass er noch mehr vom Jumper lebt als vorher. Seit dem Comeback nimmt Embiid mehr als fünf Dreier pro Spiel, klar über Saisonschnitt (3,6) und ein Indiz dafür, dass er sein Power-Game noch etwas dosierter einsetzen muss.
Zu sehen war dieses aber auch schon – fast genau 10 Freiwürfe pro Spiel nimmt Embiid aktuell. Er ist als Scorer nicht ganz so dominant wie über die erste Saisonhälfte, als er pro Possession mehr punktete als jeder Volume-Scorer der NBA-Geschichte. Dominanter als nahezu alle anderen Spieler im Osten ist er dennoch, vielleicht? Zumindest die überwiegend schwachen Gegner der vergangenen Wochen hielten ihn nicht von seinen standesgemäßen 30 Punkten ab.
Auch diese Version von Embiid schüchtert Gegner ein – und hat einen massiven Einfluss auf seine Mitspieler. Tyrese Maxeys Speed ist noch wertvoller, wenn ein anderer Scorer noch mehr Aufmerksamkeit auf sich zieht. Hield bekommt mehr Platz für seine Würfe, Tobias Harris kann wieder mehr Off-Ball-Cutter sein. Embiid ist der Dreh- und Angelpunkt, gerade offensiv.
Endet der Playoff-Fluch?
Seine Anwesenheit schraubt das Potenzial seines Teams massiv nach oben. Lineups mit ihm und Maxey haben über die Spielzeit ein Net-Rating von +11,1, das mit nahezu allen der besten Two-Man-Kombos der Liga mithalten kann. Seit seiner Verletzung ist der Kader um ihn herum noch ein wenig tiefer geworden.
Und trotzdem fällt es nicht leicht, an die Sixers als legitimen Contender zu denken. Wer Embiid neben dem derzeit verletzten Giannis Antetokounmpo als besten Spieler der Conference ansieht, liegt damit nicht falsch, zumindest auf die Regular Season bezogen. In den Playoffs haben Spieler wie Jayson Tatum oder Jimmy Butler hingegen schon weitaus mehr erreicht als Embiid, dessen Produktion bisher in jedem Postseason-Jahr schrumpfte.
Olympia 2024 in Paris: Dream Team der USA steht fest - Nachrücker für Kawhi Leonard verkündet
Dieser Fakt hat nicht zuletzt damit zu tun, dass Embiid nie für eine gesamte Postseason gesund blieb. In diesem Jahr ist er schon zum Start nicht bei 100% und sein Team hat nicht – wie mit einer Ausnahme in jedem Jahr seit 17/18 – den Heimvorteil in Runde eins auf seiner Seite. Es wird nach diesen acht Siegen am Stück keinen "Aufbaugegner" mehr geben, gegen den das Team in aller Ruhe seinen Rhythmus finden kann.
Frühes Aus der Sixers wahrscheinlich
Im Gegenteil. Philly hat zwei Do-or-Die-Spiele vor sich, um überhaupt die Playoffs zu erreichen, mit Boston oder den sehr physischen Knicks würde es dann in beiden Fällen eine knüppelharte Aufgabe in der ersten Runde werden, die Embiid maximal testen und auspowern würde, insbesondere auch defensiv.
Vielleicht überrascht Embiid nach seiner neuerlichen kurzen Pause alle und die Sixers haben das Potenzial, einen Lakers- oder Heat-artigen Run wie 2023 hinzulegen, deutlich wahrscheinlicher wirkt Stand jetzt aber ein frühes Aus. Vielleicht sagt der Tank-Job der Cavaliers am Ende mehr über die Cavaliers aus als über die Sixers.
Mal sehen, ob sich das auszahlt – und mal sehen, ob die Sixers in den Playoffs gut genug sein werden, um diese Furcht zu rechtfertigen. Gehen wir davon aus, dass sie zum Start lieber gegen Cleveland gespielt hätten.