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Hamburger SV

HSV-Fanliebling Tom Mickel exklusiv: "Mein Fußballer-Herz blutet manchmal"

  • Veröffentlicht: 02.01.2024
  • 16:31 Uhr
  • Oliver Jensen

Tom Mickel gibt im ran Interview Einblicke in die jüngere Vergangenheit des HSV und seine Rolle als Ersatztorwart und Führungsspieler zugleich.

Das Interview führte Oliver Jensen,

Kaum jemand kennt den Hamburger SV so gut wie Tom Mickel. Der Torwart wechselte im Jahre 2009 nach Hamburg und blieb dem Verein mit einer einzigen Unterbrechung (2013-2015 Greuther Fürth) treu. Der 34-Jährige war meist dritter Torwart, sodass er über all die Jahre lediglich sechs Pflichtspiele für den HSV bestritt. Dennoch wurde er aufgrund seiner Vereinstreue zum Fan-Liebling und Führungsspieler.

HSV-Trainer Tim Walter sagte auf Nachfrage von ran über Mickel: "Er hat für unsere Mannschaft einen totalen Mehrwert. Wenn der Junge auf den Platz geht, ist er durch und durch ein Vollprofi. Er spornt alle Mitspieler an. Er hat eine Arbeitseinstellung, von der sich einige jüngere Spieler etwas abschauen können. Es ist unfassbar, wie Tom trainiert, obwohl er nicht zum Einsatz kommt. Das zieht ganz viele in den Bann. Dadurch hat er viel Gehör innerhalb der Mannschaft. Die Jungs hören ihm zu und kleben ihm an den Lippen."

ran sprach mit Mickel über das Leben als Ersatztorwart, über den HSV und über die NFL.

ran: Herr Mickel, wissen Sie noch, was Sie am 19. Mai 2019 gemacht haben?

Tom Mickel: (überlegt) Hmm, das könnte das Heimspiel gegen den MSV Duisburg gewesen sein…

ran: Das ist richtig. Das war das letzte Spiel der Saison 2018/2019 und gleichzeitig das bislang letzte Spiel, das Sie für die Profis des HSV gemacht haben. Welche Erinnerungen haben Sie daran?

Mickel: Eine Woche zuvor hatten wir in Paderborn (Mickel stand ebenfalls im Tor, Anm.d.Red.) unsere letzte Chance im Aufstiegsrennen verspielt. Wir waren emotional am Boden. Das war damals die erste Zweitliga-Saison. Es brach für uns eine Welt zusammen, weil wir den Wiederaufstieg nicht geschafft hatten. Im letzten Saisonspiel gegen Duisburg ging es um nichts mehr. Ich war trotzdem voller Motivation, weil ich nicht so viele Spiele gemacht habe – zumal das Stadion bereits ausverkauft war.

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ran: Der Hamburger SV ist in allen fünf Zweitliga-Spielzeiten nur sehr knapp am Aufstieg gescheitert – zuletzt zweimal erst in der Relegation. Wo sehen Sie den Grund dafür?

Mickel: Das ist so ein bisschen der heilige Gral. Wenn wir das wüssten, wären wir einen Schritt weiter. Jede Saison ist verschieden, hat unterschiedliche Höhen und Tiefen. Ich glaube, dass wir generell gut aufgestellt sind. Aber hintenraus haben wir es nicht hinbekommen, unser Spielmuster und unsere Leitplanken beizubehalten. Wenn der Druck am größten ist, brauchst du gewisse Leitplanken im Spiel, auf die du dich zu jeder Zeit verlassen kannst. Das hat uns gefehlt.

ran: Welcher Nicht-Aufstieg tat besonders weh?

Mickel: Letzte Saison in Sandhausen – das hat uns emotional wirklich den Teppich unter den Füßen weggezogen.

ran: Mannschaft und Fans feierten nach Spielende bereits den vermeintlichen Aufstieg, weil der Stadionsprecher in Sandhausen dies auch verkündete. Doch der 1. FC Heidenheim schoss in einem Parallelspiel noch zwei Tore in der Nachspielzeit und schnappte Ihnen den Aufstieg weg…

Mickel: Genau, das kann man nicht so einfach und vor allem nicht so schnell verarbeiten und sich dann auf die Relegation freuen. Wir hatten den Aufstieg gefühlt schon – und dann doch nicht. Das war wirklich das krasseste Erlebnis.

ran: Sie sind beim Hamburger SV die Nummer 3 im Tor. Über all die Jahre waren Sie gelegentlich auch Torwart Nummer 2, meist aber eben die Nummer 3. Wie gut können Sie sich heute damit anfreunden? Und wie gut konnten Sie das früher als junger Torwart?

Mickel: Es kommt darauf an, wie man die Rolle interpretiert. Bist du als junger Torwart die Nummer 3, trainierst du normalerweise wochentags bei den Profis und sammelst dann bei der 2. Mannschaft Spielpraxis. Das ist heute natürlich anders. Entscheidend ist für mich, welche Aufgabe man innerhalb der Mannschaft hat. In meinem Fall ist es so, dass mir das Trainerteam Aufgaben innerhalb der Mannschaft gibt. Würde ich nur trainieren, würde mich das nicht glücklich machen. Denn ich muss zugeben: Mein Fußballer-Herz blutet schon das eine oder andere Mal, wenn wir auswärts spielen und ich zu Hause sitze. Aber ich habe meine Aufgaben unter der Woche, die mich ausfüllen.

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Tom Mickel hat den Großteil seiner Karriere beim Hamburger SV verbracht
Tom Mickel hat den Großteil seiner Karriere beim Hamburger SV verbracht© Eibner

ran: Zum Beispiel?

Mickel: Ich spreche in der Woche Themen auf dem Platz an. Ich schaue, dass wir in der Kabine den Umgang und unsere Werte miteinander pflegen. Wir machen uns innerhalb der Führungsgruppe Gedanken, wie wir im Verein und drumherum etwas anstoßen können. Ich bin froh, dass meine Stimme einen gewissen Wert hat.

ran: Woraus ziehen Sie den sportlichen Ehrgeiz unter der Woche?

Mickel: Ein Beispiel: Wir machen jede Woche innerhalb der Torwart-Gruppe ein Battle, bei dem es einen Wander-Pokal gibt. Der Torwart, der am wenigsten Gegentore kassiert, bekommt den Pokal. Das hat gar nichts damit zu tun, wer am Wochenende spielt. Aber wenn ich den Pokal gewinne, bin ich für mich in dieser Woche der beste Torwart (grinst). Wir fordern uns gegenseitig, aber unterstützen uns auch, weil die Rollen unter den Torhütern sehr klar verteilt sind.

ran: Diese Rollenverteilung bedeutet, dass Sie als Torwart-Nummer 3 normalerweise nicht zum Einsatz kommen. Wie blicken Sie dann einem Wochenende entgegen?

Mickel: Ich versuche, die Stimmung aufzusaugen. Wenn wir ein Negativerlebnis hatten, versuche ich entgegenzuwirken, indem ich die Mannschaft pushe und lobe. Als Torwart habe ich dafür vielleicht mehr Zeit als ein Feldspieler. Ich tausche mich auch viel mit dem Trainer aus, um uns als Mannschaft voranzubringen.

ran: Sie haben beim Hamburger SV mit vielen Torhütern zusammengearbeitet. Wer war der beste Torwart?

Mickel: Als ich mit 19 Jahren hierherkam, war Frank Rost die Nummer 1. Der war einfach eine Erscheinung, ein Koloss, gefühlt zwei Meter groß und Hände wie Bratpfannen. Ich habe ihn für seine Erscheinung, seine Ausstrahlung und seine Fähigkeiten als Torwart bewundert. Ansonsten hat Rene Adler technisch sehr viel mitgebracht. Er ist nicht ohne Grund die Nummer 1 von Deutschland gewesen. Er war ein sehr edler und eleganter Torhüter. Auch mit Jaroslav Drobny, hinter dem ich in der Bundesliga zeitweise die Nummer 2 gewesen bin, habe ich mich sehr gut verstanden. Er hat viel Lockerheit reingebracht. Von diesen drei Torhütern habe ich besonders viel mitgenommen.

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ran-Autor Oliver Jensen mit HSV-Torwart Tom Mickel (r.) im Volksparkstadion
ran-Autor Oliver Jensen mit HSV-Torwart Tom Mickel (r.) im Volksparkstadion© Oliver Jensen

ran: Als Nummer 2 kann es jederzeit passieren, dass man in einem wichtigen Spiel plötzlich im Tor steht. Sie haben zwei Bundesligaspiele absolviert. Besonders brisant war eine Partie am 31. Spieltag der Saison 2016/2017 gegen den FC Augsburg, weil der HSV tief im Abstiegskampf steckte. Wie sehr geht einem die Muffe, wenn man ausgerechnet in so einem Spiel plötzlich zwischen den Pfosten steht?

Mickel: Im Vorfeld des Spiels haben wir viel miteinander gesprochen. Ich erinnere mich, dass der Trainer (Markus Gisdol, Anm.d.Red.) zu mir kam und sagte: "Tommy, wenn du spielst, mache ich mir keine Sorgen." Auch von den Mitspielern gab es viel Zuspruch. Trotzdem ist das eine besondere Situation – gerade im Abstiegskampf. Dennoch habe ich mich darauf gefreut, weil ich nicht viele solcher Situationen in meiner Laufbahn hatte. Die Familie ist dabei gewesen. Man will zeigen, dass man etwas kann. Schließlich haben auch sie viel geopfert, um den Weg zu ebnen. Das macht Spaß, trotzdem muss man die richtige Balance finden. Ich hatte diese eigentlich, weil ich einige Bälle halten konnte – leider haben wir trotzdem verloren.

ran: Nach dem Spiel sagten Sie, dass Sie hoffen, dass die damalige Nummer 1 Christian Mathenia für das nächste Spiel wieder fit ist. Jetzt mal ehrlich: Haben Sie das wirklich gehofft?

Mickel: Ja. Es hat auch etwas mit Respekt zu tun, dass man an den Kollegen denkt und nicht nur an sich selber. Aber klar: Wäre er weiter ausgefallen, hätte ich natürlich die nächsten Spiele gerne gemacht.

Wenn man die sportlichen Leistungen berücksichtigt, wurde hier jahrelang über dem Tarif bezahlt

Tom Mickel über die Fehlentwicklung des HSV

ran: Als Sie 2009/2010 Ihre erste Saison beim HSV erlebten, stand der Verein noch im Halbfinale der Europa League. Wann war für Sie in den Jahren darauf der Knackpunkt, der dazu führte, dass es sportlich bergab ging?

Mickel: Es gab nicht diese eine falsche Entscheidung, die das ganze Kartenhaus zum Zusammenfallen brachte. Es gab viele Entscheidungen, die man zwar mit besten Absichten traf, aber nicht funktioniert haben. Dann musste man Spieler teuer nachverpflichten, um das zu korrigieren. Wenn man die sportlichen Leistungen berücksichtigt, wurde hier jahrelang über dem Tarif bezahlt. Wir hatten zu lange noch den Anspruch, oben zu spielen, obwohl wir gar nicht mehr das Potenzial hatten, zu den besten fünf oder sechs Mannschaften in der Bundesliga zu gehören. Dadurch gab es auf sämtlichen Positionen viele Wechsel. Jahr für Jahr hatte man einen neuen Plan, weil es damals auch viele Trainerwechsel gegeben hat. Es konnte sich nichts entwickeln. Dadurch ist es so gekommen.

ran: Der Hamburger SV spielt nun seit 2018 in der 2. Bundesliga, hat aber dennoch einen der höchsten Zuschauerschnitte in Deutschland. Wie erklären Sie sich das?

Mickel: In diesem Punkt wurde hier im Verein vieles richtig gemacht. Die Fanszene hat eine neue Haltung zum Verein entwickelt. Es geht nicht mehr darum, was früher war, sondern um die aktuellen Ziele. Außerdem haben wir im Bereich Fankultur viele Angestellte im Verein, die sich wirklich um die Fans kümmern. Wir haben nicht ohne Grund so viele Fanclubs und Mitglieder. Wir versuchen nahbar zu sein – vielleicht nahbarer als früher, als wir im Halbfinale der Europa League standen.

ran: Noch eine Frage zu der jüngeren Vergangenheit: Wie sehr haben Sie mitgelitten, als Daniel Heuer Fernandes gegen St. Pauli das kuriose Eigentor unterlief?

Mickel: Ich bin kein Freund von Mitleid, das hilft ihm nicht. Wir haben das analysiert. Es war einfach ein sehr unglücklicher Pass von unserem Verteidiger. Wir spielen oft so von hinten heraus, um die Stürmer auszuspielen. In dieser Situation war viel Druck drauf. Er hat den Ball leider nicht richtig getroffen. So etwas passiert vermutlich nur einmal.

ran: Themawechsel: Sie sind ein großer NFL-Fan. Wie entstand das Interesse?

Mickel: Als ich für Greuther Fürth gespielt habe, hat mich ein Mitspieler an den Sport herangeführt. Ich brauchte etwa zwei Jahre ranNFL, um die Regeln so richtig zu verstehen. Aber seitdem bin ich voll dabei. Wir haben hier oft einen Football gehabt, den ich mir mit zwei Mitspielern zugeworfen habe. Wir haben auch Madden gezockt und Fantasy Football gespielt. So wurde daraus eine Leidenschaft.

ran: Haben Sie sich einmal vor Ort ein NFL-Spiel angeguckt?

Mickel: Ja, wir waren im letzten Jahr mit dem HSV in den USA und haben das Spiel zwischen den Los Angeles Chargers und den Kansas City Chiefs gesehen. Wir waren auch beim College-Football. Das waren richtig geile Erlebnisse. Besonders toll fand ich, wie die Fans miteinander umgehen. Ich hatte ein Chargers-Trikot von Keenan Allen an und habe gemeinsam mit Chiefs-Fans Fotos gemacht, alle waren super drauf. Das ist anders als im deutschen Fußball, wo die Fans den Gegner immer prinzipiell nicht mögen.

ran: Haben Sie ein Lieblingsteam?

Mickel: Früher war ich Fan von Aaron Rodgers und den Green Bay Packers, weil damals ein Hype um seine Hail Mary`s entstanden ist. Heute schaue ich mir einfach gerne die Spiele an, verfolge aber besonders gerne die Chargers, weil ich die vor Ort im eigenen Stadion erlebt habe.

Matheo Raab
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