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Fan-Krawalle bei St. Pauli - Hannover 96: Experte kritisiert die Polizei
- Veröffentlicht: 23.11.2023
- 12:11 Uhr
- Tobias Wiltschek
Wer trägt die Verantwortung für die Ausschreitungen im Zweitligaspiel zwischen St. Pauli und Hannover 96? Ein renommierter Fanforscher analysiert die Situation bei ran und kritisiert die Polizei.
Auch gut eine Woche nach dem Zweitliga-Spiel zwischen St. Pauli und Hannover 96 sorgen die Ausschreitungen im Gäste-Block weiter für heftige Diskussionen!
Warum es zu dem massiven Polizeieinsatz während der zweiten Hälfte am Millerntor kam, ist weiter nicht eindeutig geklärt.
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Was klar ist: Fans und Polizei beklagen zahlreiche Verletzte. Auch weil die Gewalt nach dem Spiel eine Fortsetzung fand.
"Ich bin der Meinung, dass man der Polizei in Hamburg für die Eskalation am Wochenende mindestens eine Mitschuld geben kann und dass wir überlegen müssen, was man besser machen kann", sagt Fanforscher Harald Lange im Gespräch mit ran.
Das Wichtigste in Kürze
Was die Verantwortlichen wenig überraschend anders sehen.
"Als es nach Spielende zu einem Fanmarsch kam, wurden die Einsatzkräfte erneut aus diesem heraus angegriffen, so dass es mehrere Verletzte gab, darunter einen schwerverletzten Kollegen. Für das Verhalten der Randalierer fehlt mir jedes Verständnis. Wir haben es hier nicht mit Fankultur zu tun, sondern mit Gewalttätern, die zur Rechenschaft gezogen werden müssen", forderte Polizeipräsident Falk Schnabel in einem von der Polizei Hamburg veröffentlichten Statement.
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Hannover-Fans widersprechen Darstellung der Polizei
Noch während des Spiels sei es zu Gewalttätigkeiten gekommen, die die Polizei zu einem unmittelbaren Eingriff gezwungen hätten.
Dieser These aber widersprechen die Fans von Hannover 96.
"Auslöser für die folgende Eskalation war ein kleines Gerangel zwischen zwei 96ern, das aber von der Szene schnell bereinigt und befriedet werden konnte", wird Stephan Riedel von der Fanhilfe Hannover bei "11 Freude" zitiert.
Es habe also nie die von der Polizei beschriebene Bedrohungslage gegeben. Ein Eingreifen sei also gar nicht nötig gewesen.
Immerhin erklärte die Polizei Hamburg auf Anfrage von ran, dass sie das eigene Vorgehen überprüfen werde:
"Die kritischen Stimmen im Nachhinein haben wir selbstverständlich zur Kenntnis genommen. Auch diese werden in die Nachbetrachtung und Überprüfung des Einsatzes mit einbezogen", heißt es in der Stellungnahme.
Fanforscher kritisiert Verhalten der Hamburger Polizei
Auch Fanforscher Lange, der eine Professur für Sportwissenschaften an der Universität Würzburg innehat, stört sich am Verhalten der Polizei in Hamburg.
"Die fahren da mit vielen Beamten auf und bauen eine Drohkulisse auf und dann stürmen sie den Block. Dass es dann zu Schlägereien kommt, liegt auf der Hand", sagt der renommierte Wissenschaftler bei ran.
Das Verhältnis zwischen Fans und Polizei ist seit vielen Jahren ein Schwerpunkt in Langes wissenschaftlicher Arbeit. Schon 2012 gründete er das Institut für Fankultur in Würzburg und forscht seitdem zur Fußball- und Fankultur.
Dass es dann zu Schlägereien kommt, liegt auf der Hand.
Fanforscher Prof. Dr. Harald Lange
Was die grundsätzliche Sicherheit in deutschen Stadien angeht, stellt Lange jedoch eine deutliche Verbesserung im Vergleich zu vergangenen Jahrzehnten fest.
"Mit Blick auf die letzten 30, 40 Jahre Bundesliga kann man regelrecht von einer Erfolgsgeschichte sprechen", sagt er: "Denn an sich ist das Stadion ein vergleichsweise sicherer Ort, wenn man bedenkt, wie viele Menschen da jedes Wochenende hingehen."
Zu dieser positiven Entwicklung hätten nicht zuletzt auch die Anhänger in den Kurven beigetragen. "Die Bereitschaft in den Fankulturen, auf Gewalt zu verzichten, ist noch nie so groß gewesen wie zurzeit", stellt der Fanforscher fest.
Auch weil seit der WM 2006 die deutschen Fankurven nicht mehr nur von jungen Männern bestimmt würden. Sie seien gesellschaftlich sehr viel differenzierter durchmischt, sagt der Wissenschaftler.
Schwere Vorwürfe gegen die Polizei
Das aber, so sein Vorwurf an die Polizei, sei bei den Beamten noch nicht oder nur zum Teil angekommen. Die Einsatzleiter stünden generell vor extrem schwierigen Aufgaben, hält er den Verantwortlichen aber zugute.
"Allerdings steckt man bei der Polizei in mancherlei Hinsicht noch in der Denke der 70er, 80er und 90er Jahre des letzten Jahrhunderts. Sie hat immer noch Angst vor Hooliganismus."
Das Ergebnis seien Ausschreitungen wie auf St. Pauli oder vor dem Spiel des VfL Bochum gegen den 1. FC Köln am vergangenen Spieltag, als es beim Einlass der Gäste-Fans zu einem massiven Polizeieinsatz kam.
Sandra Levgrün, die Sprecherin der Polizei Hamburg, verteidigte den Einsatz der Beamten am vorletzten Wochenende im "NDR" so: "Wir sehen, dass es dort eine Person gibt, die attackiert wird, die am Boden liegt und nicht mehr hochkommt. Das heißt, für uns war wirklich keine andere Alternative denkbar, als da jetzt reinzugehen, um diese Person zu schützen und um Schlimmeres zu verhindern."
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Kein Verständnis für Pfefferspray-Einsatz
Dass die Polizei bei diesem Einsatz auch mit Pfefferspray gegen die Fans vorgegangen ist, kann Lange nicht nachvollziehen.
"Das muss extrem kritisch diskutiert werden, ob man den Block erstürmt und sich den Weg mit Pfefferspray freiputzt", fordert der 55-Jährige: "Das trägt nachhaltig dazu bei, dass das traditionell schon angespannte Verhältnis zwischen Fans und Polizei noch weiter belastet wird. Dann wird es natürlich aussichtslos, so etwas wie einen Polizei-Fan-Dialog zu führen."
Pfefferspray habe in den Langes Augen im Stadion allgemein nichts zu suchen, "ähnlich wie Schusswaffen im Stadion nichts zu suchen haben, egal wer sie trägt".
Polizei: Keine konkreten Antworten
In ihrem Statement gegenüber ran gab die Polizei Hamburg zu den konkreten Vorwürfen lediglich Pauschalantworten von sich.
"Der Einsatz von Pfefferspray gilt als Hilfsmittel der körperlichen Gewalt und unterliegt somit den rechtlichen Vorgaben des unmittelbaren Zwangs gemäß der §§ 17 ff. des Gesetzes zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (SOG). Das Vorliegen dieser Voraussetzungen wird von den Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten in den jeweiligen Einsatzlagen individuell geprüft", heißt es in der Antwort.
Und weiter zum Stand der Dinge: "Die Ermittlungen der Fachabteilung für Sportgewalt des Landeskriminalamts (LKA 124) zum Hintergrund bzw. zum Hergang dauern noch an. Dazu gehört u. a. auch die Auswertung von Videoaufnahmen. Konkretere Angaben sind daher zum jetzigen Zeitpunkt leider nicht möglich."
Mehr Sicherheit durch weniger Polizei?
Es bleibt also fraglich, ob die jüngsten Vorfälle zu einer veränderten Strategie der Einsatzkräfte führen wird.
Fanforscher Lange würde das allerdings begrüßen. Für ihn steht fest:
"Es lohnt sich, über die These nachzudenken, ob wir nicht mehr Sicherheitsgefühl hätten, wenn wird die Sichtbarkeit von Polizei bei bestimmten Spielen etwas zurückschrauben könnten."