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Baller League - Babak Rafati exklusiv: "Ich bin Vorbild dafür, wie man es nicht macht"
- Aktualisiert: 08.04.2024
- 12:06 Uhr
- Fabian Girke
Beim Final Four der Baller League am Montag wird Ex-Bundesliga-Schiedsrichter Babak Rafati pfeifen. Im exklusiven ran-Interview spricht der 53-Jährige offen über seinen Suizidversuch, die Hintergründe und seinen Weg aus der Depression.
Von Fabian Girke
Das Finale furioso der ersten Saison der Baller League steht an: Am Montag treten Calcio Berlin (mit Nico Heymer, Christoph Kröger und Niklas Levinsohn), Streets United (mit Lukas Podolski und Alisha Lehmann), Eintracht Spandau (mit Hans Sarpei und HandOfBlood) und Las Ligas Ladies (mit Jule Brand und Selina Cerci) im Final Four gegeneinander an und spielen den ersten Meister aus (2. Halbfinale ab 20:15 Uhr LIVE auf ProSieben MAXX, ran.de und in der ran-App, das Finale im Anschluss auf joyn).
Als Schiedsrichter ist Ex-Bundesliga-Referee Babak Rafati im Einsatz. Vor dem letzten Event der Debüt-Saison der Baller League spricht Rafati im exklusiven ran-Interview offen über seinen gescheiterten Suizidversuch, die Hintergründe und seinen erfolgreichen Weg aus der Depression.
ran: Babak Rafati, nach allem, was Sie bereits durchgemacht haben in Ihrem Leben: Wie geht es Ihnen heute?
Babak Rafati: Mir geht es gut. Ich bin geheilt, schon lange. Und ich stehe jetzt voll im Leben. Ich habe wieder Spaß und kann letztendlich über mich selbst lachen, was damals passiert ist.
Das Wichtigste in Kürze
ran: 1997 haben Sie als DFB-Schiedsrichter angefangen. Warum?
Rafati: Weil dieser Job mir Spaß gemacht hat. Ich habe selbst früher Fußball gespielt. Wie fast jeder Schiedsrichter war ich kein guter, kein brillanter Fußballer. Dann geht man den Weg über den Schiedsrichter. Es hat mir wahnsinnig Spaß gemacht, Entscheidungen zu treffen und für Gerechtigkeit zu sorgen. Ich habe es nie bereut. Es war eine tolle Zeit, auch wenn die letzten zwei Jahre eine beschissene Zeit waren. Das lag nicht daran, dass ich Schiedsrichter war. Es war vielmehr das Zwischenmenschliche.
ran: Gab es einen ausschlaggebenden Punkt oder einen Moment, bei dem Sie gesagt haben: Deshalb bin ich Schiedsrichter geworden?
Rafati: Das weniger. Du fängst als Schiedsrichter an. Und dann entwickelst du einen Spaß an dem Sport und steigerst dich rein. Weil du von Jahr zu Jahr aufsteigst. Dann hast du eine Karriereleiter und strebst immer nach mehr, mehr, mehr. Wenn du aus der Kreisliga in den Bezirk aufsteigst, vom Bezirk in den Verband, dann Oberliga, Regionalliga, und dann schnupperst du schon am Profifußball. Dann bist du geil darauf, in die Bundesliga zu kommen. Das war auch nicht unbedingt ein Ziel, sondern vielmehr ein Wunsch. Und ich habe es nie bereut.
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ran: Welche Momente konnten Sie als Bundesliga-Schiedsrichter besonders genießen?
Rafati: Natürlich sind die Spiele Bayern gegen Dortmund immer etwas Besonderes. Aber auch wenn ich international unterwegs war. Ich war beim Clasico Real Madrid gegen Barcelona in der Champions League Torrichter. Da hast du Lionel Messi gegen Cristiano Ronaldo. Du hast mit denen noch im Flugzeug gesessen, hast mit denen gequatscht. Das sind schon tolle Momente. Das Interessante an dem Fußballsport ist, dass du nicht nur nach München, Madrid oder Barcelona kommst. Ich war auch in Katar, Saudi-Arabien, Armenien, Albanien. Das sind Flecke gewesen auf der Erde, die man sonst privat nie bereisen würde. Und so bist du durch den Fußball dorthin gekommen. Das waren genauso grandiose, schöne Zeiten.
ran: Welche Momente waren es denn, die Sie nicht so genossen haben?
Rafati: Ich hatte irgendwann eine Krise als Schiedsrichter. Das fing an, als wir einen Führungswechsel hatten. Ich habe damals meine Meinung gesagt. Ich habe gesagt: 'Das, was wir machen, ist verboten'. Denn es wurden Dinge gemacht, die nicht erlaubt waren. Ich habe aber nicht damit gerechnet, dass ich auf ein Abstellgleis komme. Ich habe Fehler gemacht als Schiedsrichter, das ist unumstritten. Und wenn du Fehler machst auf dem Platz, hast vorher den Mund aufgemacht und deine Meinung gesagt und bist nicht der Typ, der zu allem 'Ja' und 'Amen' sagt, dann bietest du eine Angriffsfläche. Mir war aber nicht bewusst, dass es diplomatisch nicht klug ist. Und deshalb bin ich dann einen Weg gegangen, der sehr, sehr, sehr brutal war. Und der hat mich dann ganz weit in eine Krise geführt.
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Babak Rafati: "Ich wurde von den Führungskräften verbal attackiert"
ran: Ich habe in einem Interview gelesen, dass es eine Schiedsrichterfortbildung gab. Auch mit jungen Schiedsrichtern, wo Sie vor vielen kritisiert wurden. Können Sie das schildern?
Rafati: Der angesprochene Führungswechsel war ein Prozess über 18 Monate. Und in diesen 18 Monaten - dadurch, dass ich meine Meinung geäußert und auf dem Platz Fehler gemacht hatte - wurde ich von den Führungskräften verbal attackiert. Unter anderem hatten wir einen Lehrgang, auf dem Fehlentscheidungen gezeigt wurden. Und so, wie man mich vor der versammelten Mannschaft vorgeführt hat, war das für mich verletzend. Ich habe mich schlecht gefühlt. Als nicht gut genug. Das geht dir persönlich unter die Haut. Ich habe das sehr persönlich genommen, anstatt nur die Leistung zu sehen. Und das Schlimme war, dass die Kollegen danach alle zu mir kamen und mir beigepflichtet haben: 'Ey, ich kann dich nicht verstehen. Das ist Mist, was man mit dir macht.' Mir war nicht bewusst, dass ich damals meinen Mund aufgemacht habe und deshalb Prügel einstecken musste. Das hat mir damals wahnsinnig wehgetan. Und dieser Prozess ging immer weiter.
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ran: Wo war denn die Spitze?
Rafati: Die Spitze war, als ich einen Fehler gemacht habe bei einem Bundesligaspiel. Da war ich auch wirklich schlecht, das muss man ganz klar sagen. Am Telefon wurde mir gesagt: 'Babak, das Geschäft verbrennt Leute. Wir müssen schauen, was wir mit dir machen.' Das ging mir wieder unter die Haut. Anstatt auf der sachlichen Ebene zu bleiben, war ich vielmehr auf der persönlichen Ebene, war emotional und wollte als Mann stark sein, dagegenhalten. Das war aber letztendlich wirklich ein Verbrennen. Dann hatte ich sechs Wochen Pause, habe kein Spiel gekriegt. Dann bin ich wieder auf den Platz. HSV gegen Mainz, 18. Minute, Lattenkracher, kein Videobeweis. Der Ball geht vor die Torlinie. Der Assistent zeigt Tor an. Ich übernehme die Entscheidung. Und ich hatte noch 72 Minuten bis zum Ende und wusste zu dem Zeitpunkt: 'Scheiße, das war ja eine Fehlentscheidung.' Nach dem Spiel wurde mir dieser Fehler von meinen Führungskräften angelastet. Und ich als Gerechtigkeitsfanatiker und Perfektionist konnte damit überhaupt nicht umgehen. Und dann gehst du immer weiter in den Tunnel, nimmst diesen Kampf an, hast Männerideale, musst ja stark sein, darfst keine Gefühle zeigen. Deine Blicke werden dann immer unschärfer. Als wenn du Tränen in den Augen hast. Du siehst Dinge, aber nicht klar, weil du im mentalen Bereich weiter reinsteigst in diese Lawine. Und diese Lawine überrollt dich eines Tages. Bei mir ging das weiter, weiter, weiter bis in diese Nacht des Suizidversuchs vor dem Bundesligaspiel.
ran: Begeben wir uns mal in diese Nacht vor dem Spiel Köln gegen Mainz am 19. November 2011. Beschreiben Sie uns doch bitte Ihre Gefühle in dieser Nacht.
Rafati: Ich muss immer wieder betonen: Damals habe ich gedacht, dass meine Führungskräfte schuld sind. Heute weiß ich, dass ich die größte Verantwortung für das habe, was passiert ist. Damals fühlte ich mich immer kleiner, immer schlechter. Ich fühlte mich nicht mehr gut genug. Dann bekam ich das Spiel Köln gegen Mainz. Wir reisen wie immer einen Tag vorher an. Wir sind zum Essen zum Italiener, wir sind zurück ins Hotel. Und ich lasse zum ersten Mal dieses Abschlussbier ausfallen. Ich kann nicht und ich will nicht. Wir gehen aufs Zimmer, ich schließe die Zimmertür. Und irgendwie ist heute Abend alles anders, so nebulös. Ich habe auch nichts geplant. Es passiert auf einmal alles im Affekt. Ich kann nicht mehr und ich will nicht mehr da raus und ein Spiel pfeifen. Und ich denke auch nicht eine Sekunde an den Tod. Das Einzige, was mir durch den Kopf geht: Ich will diesen brutal hässlichen, unmenschlichen Film in meinem Kopf beenden. Und greife in dem Moment im Zimmer nach allem, was mir in die Hände kommt und setze es als Waffe gegen mich selbst ein. Und das ist ein Kampf auf Biegen und Brechen. Stundenlang. Und irgendwann habe ich diesen Filmriss. Aber eines werde ich in meinem Leben nie vergessen: Ich hätte am liebsten in dieser Nacht diese Hotelzimmertür aufgerissen und in die Welt gebrüllt: 'Ich wollte doch nur als Mensch behandelt werden.'
Babak Rafati: "Für diese Nacht bin ich ganz alleine verantwortlich"
ran: Ist das der letzte Gedanke vor dem Filmriss gewesen?
Rafati: Absolut. Denn ich fühlte mich in dem Moment nicht mehr wie ein Mensch behandelt. Ich hatte Fehler gemacht. Aber der Umgang durch die Führungskräfte war nicht empathisch. Man kann Fehler sachlich ansprechen. Aber ins Persönliche zu gehen, hat mir wahnsinnig zugesetzt. Weil ich ein Mensch bin, der sehr ehrlich, sehr offen ist. Das waren Charaktereigenschaften, die ich auf der anderen Seite bei meinen Führungskräften nicht erleben durfte. Deshalb bin ich diesen Weg gegangen. Aber für diese Nacht bin ich ganz alleine verantwortlich. Ich hatte selbst Blut unter den Fingernägeln, und nicht meine Führungskräfte. Es war unschön, was beim DFB passiert ist. Aber am Ende muss ich das mit mir alleine austragen.
ran: Was ist der nächste Moment, an den Sie sich nach dem Filmriss erinnern?
Rafati: Der nächste Moment ist im Krankenhaus, wo ich aufgewacht bin. Ich wusste nicht, dass ich zu dem Zeitpunkt Depressionen hatte. Ich habe mitbekommen, dass ich im Krankenhaus bin. Da waren Polizei und Journalisten. Und draußen haben sie alle getuschelt und gesagt: 'Da stehen hunderte Journalisten und wollen wissen, was passiert ist.' Dann bist du ein kranker Mensch, der sowieso einen Rucksack voll mit Problemen hat, und hörst auch noch so etwas. Meine Nachbarn denken, ich bin ein Feigling. Meine Schiedsrichterkollegen, die Öffentlichkeit, die Mitarbeiter, die Familie. Ich habe versagt. Mir ging spontan durch den Kopf: 'Beim nächsten Mal plane ich, wie ich mich aus diesem Leben verabschiede, weil es einfach dilettantisch, weil es amateurhaft war.' Dann habe ich angefangen, wie ein kleiner Junge zu heulen. Ich habe geheult und geheult. Ich habe immer wieder gesagt: 'Meine Freundin wird mich verlassen.' Ich habe gedacht, dass sie mir nicht verzeihen wird. Und das hat mich wahnsinnig gemacht. Es hat mit dem Suizid nicht geklappt, und zugleich werde ich ganz alleine dastehen. Selbst meine Liebste wird mich verlassen.
ran: Gab es in dem Moment auch einen Funken Erleichterung, dass es nicht geklappt hat?
Rafati: Nein, null. Im Gegenteil. Ich war vielmehr enttäuscht, dass es nicht geklappt hat. Obwohl ich nicht an den Tod gedacht habe, aber dieser Film war ja wieder da. Dieses 'Ich werde unmenschlich behandelt und ich halte das nicht aus.' Das war mein Problem: Dass dieser Film in meinen Gedanken immer noch existierte. Und der setzte mir zu und sagte immer: 'Zerstören, zerstören, zerstören.' Und das hat mich weiterhin wahnsinnig gemacht.
„Bin geheilt“ – Rafati über seinen Weg aus der Depression
ran: Wie waren die ersten Kontakte zu Freunden und der Familie?
Rafati: Ich hatte das Glück, dass meine damalige Freundin ins Krankenhaus kam. Es war für mich ein wahnsinnig schöner Moment, als sie durch die Tür kommt, auf mich zuläuft und mich in den Arm nimmt. Und wir sprechen kein Wort, minutenlang. Ich habe nur geheult, sie hat auch geweint. Es war die Erleichterung, dass sie nicht weggelaufen ist, dass sie zu mir hält. Aber von den Schiedsrichterkollegen kam monatelang gar nichts. Dafür aber zum Beispiel Post von Bastian Schweinsteiger. 'Hallo Herr Rafati, ich wünsche Ihnen alles Gute, stehen Sie auf, es geht weiter.' Oder Andreas Rettig von der DFL, der schrieb mir: 'Ein wunderbarer Mensch sind Sie, ein toller Schiedsrichter.' Es gab wenige Menschen, die mir geschrieben haben. Und sie wussten genau, dass ich nie wieder auf die Fußballbühne komme. Und das kann man diesen Menschen hoch anrechnen. Und das hilft dir auch im Genesungsprozess. Zu dem Zeitpunkt habe ich das nicht wahrgenommen. Aber es hat mir wahnsinnig geholfen.
ran: Was haben Sie danach gemacht?
Rafati: Ich war krank und habe das nicht eingesehen. Und ich wollte zunächst nicht in die Klinik. Ich bin dann insgesamt drei Monate dort gewesen und habe mich behandeln lassen. Meine Frau war mein erster Sechser im Lotto. Ich würde nicht hier sitzen und nicht mehr leben, wenn sie nicht gewesen wäre. Der zweite Sechser war die Therapie, denn sie hat mir ein neues Leben geschenkt. Ich habe verstanden, warum ich so reagiert habe, warum meine Umwelt so war, warum meine Führungskräfte so waren. Ich habe Strategien entwickelt. Das Schönste, das ich erlebt habe, war die schönste Begegnung des Lebens: Die mit meinem inneren Ich. Dass du dich in dem Moment so annimmst, wie du bist, mit all deinen Schwächen, mit all deinen Stärken, mit all dem, was passiert ist und wieder an dich glaubst und das Leben dich wieder anlächelt, du wieder lachen kannst. Die Therapie war im Nachgang eine schöne Zeit, damals aber richtig beschissen.
Babak Rafati: "Man fällt heftiger, man kommt aber auch schneller wieder raus"
ran: Was war der schwerste Punkt der Therapie?
Rafati: Zu akzeptieren, dass ich, der vor vier Wochen noch in Dortmund vor 80.000 Fans ein Spiel gepfiffen hat, in der Therapie sitzt mit Menschen, die wirklich krank sind. Und dann kam immer wieder der Gedanke: 'Ich muss nochmal versuchen, mir das Leben zu nehmen. Aber diesmal mit Plan.' Das hat mir ganz schön zugesetzt in der Klinik.
ran: Wann war der Zeitpunkt, als der Gedanke nicht mehr kam?
Rafati: Das ging relativ schnell. Bei mir war es eine exogene Depression, also über äußere Einflüsse, in dem Fall über Stress im Job. Man fällt heftiger, man kommt aber auch schneller wieder raus, wenn man es behandeln lässt. Die gute Nachricht ist, dass Depression heilbar ist. Ich konnte wieder lachen, ich konnte wieder raus und mich vor Menschen zeigen, ich hatte keine Angst und kein Schamgefühl mehr. Ich habe sehr schnell zu mir gefunden. Ein Jahr danach war ich komplett geheilt. Ich hatte danach auch nie wieder einen Rückfall.
ran: Sie sind jemand, der sehr offen darüber redet. War das schon immer so?
Rafati: Ich bin schon immer so gewesen. Das ist auch mit ein Grund, warum ich beim DFB gescheitert bin. Keiner hat sich getraut, etwas zu sagen, alle haben getuschelt, und ich war der Einzige, der es ausgesprochen hat. Das ist mir damals nicht zugutegekommen, aber diese Charaktereigenschaft kommt mir heute zugute. Dass ich rausgehe und sage: 'Ich bin Vorbild dafür, wie man es nicht macht.' Dazu stehe ich, weil ich diese Geschichte erzählen möchte, damit Menschen in ähnlichen Situationen nicht meinen Fehler machen und wie ich komplett gegen die Leitplanke fahren. Sondern dass man weiß, dass es normal ist, Krisen zu haben.
ran: Würden Sie den Fußball heute anders sehen als vor dem Jahr 2011?
Rafati: Man muss Altes mit neuen Augen betrachten. Ich war früher als Schiedsrichter arrogant. Wenn mich ein Spieler anmachte, bin ich Kopf an Kopf und wollte diesen Machtkampf gewinnen. Ich war der Chef auf dem Platz, ich musste entscheiden. Heute würde ich es anders machen. Heute würde ich hingehen und sagen: 'Du, ich hätte ihn auch weggewichst, aber ich muss dir trotzdem Gelb geben.' Ich habe gelernt, die Spieler zu verstehen. Ich verstehe heute jeden Fan, der früher über mich geschimpft hat. Das ist der Knackpunkt: Dass man die andere Seite beleuchtet, versteht und entsprechend agiert. Ich bin mit mir selbst lockerer und dadurch bin ich mit meinem Umfeld lockerer. Und jetzt bekam ich die Chance, bei der Baller League zu pfeifen, und konnte mich selbst testen, ob das tatsächlich so ist.
ran: Würden Sie sagen, dass das, was damals passiert ist, den deutschen Fußball mit verändert oder geprägt hat?
Rafati: Null. Da muss ich euch enttäuschen. In den ersten Tagen hieß es wie bei Robert Enke: 'Schlimm, Skandal, fürchterlich.' Aber nach ein paar Tagen war das Thema erledigt. Man muss aber auch gar nicht immer darüber sprechen, wir müssen handeln. Nehmen wir das Beispiel DFB und die zwei Kernthemen Depressionen und Homosexualität: Beim DFB will man das Premium-Produkt Bundesliga sauber lassen. Es soll nicht befleckt werden, es soll nicht beschmutzt werden. Obwohl Depressionen und Homosexualität nichts mit Schmutz und Befleckung zu tun haben. Aber wir müssen gar nicht schauen, was der DFB oder die Gesellschaft machen, sondern jeder Einzelne für sich hat die Chance, an sich zu arbeiten. Und da hat jeder Mensch viel mehr Ressourcen und Fähigkeiten, als wir glauben. Aber auf den DFB oder irgendwelche Institutionen zu warten, ist verlorene Zeit.
Baller League Geschichten: Trikottausch erfolgt mitten im Spiel
ran: Wie sehen Sie den Satz: 'Das Geschäft verbrennt Leute?'
Rafati: Damals sehr emotional, das hat mich wahnsinnig gemacht, weil ich ein Gerechtigkeitsfanatiker war. Heute würde ich zu meinem Chef sagen: 'Verstehe ich nicht, was meinst du damit?' Ich glaube, ich hätte bis heute keine adäquate Antwort bekommen, weil dieser Satz so hohl, so doof und dumm und unklug ist. Aber man kann einen Satz emotional aufnehmen und sich selbst zerfleischen. Oder man kann den Satz sachlich aufnehmen, an sich abprallen lassen und den Ball zurückspielen.
ran: Mittlerweile tragen Sie dazu bei, solche Probleme früher zu erkennen und eine Lösung zu finden…
Rafati: Seit sieben, acht Jahren halte ich Vorträge in der freien Wirtschaft zum Thema Stressmanagement, Führung, Motivation, Persönlichkeitsentwicklung. Und da gebe ich meine Erfahrung weiter. Und dann zeige ich auch, was ich alles falsch gemacht habe. Und im zweiten Teil zeige ich Strategien auf. Dass man nicht in diese Stressfalle tappt, denn es ist nicht nur ein Problem im Spitzensport. Das betrifft Kinder in der Schule, das betrifft den Arbeitslosen, den Hausmeister, den Topmanager, den Bundesligatrainer. Das betrifft alle, nur keiner spricht darüber. Zudem bin ich Mentalcoach für Profifußballer, für Manager und Politiker.
Babak Rafati: "Baller League? Das ist doch der Wahnsinn"
ran: Sie sind auch wieder zurück im Schiedsrichtergeschäft. Wie ist die Baller League für Sie?
Rafati: Das ist doch der Wahnsinn. Diese Geschichte, diese Wendung: Vor zwölf Jahren wollte ich mir in Köln das Leben nehmen. Zwölf Jahre später stehe ich in Köln und darf wieder Schiedsrichter sein. Ich finde es eine tolle Wertschätzung, dass ich das machen darf. Und die Baller League finde ich einfach genial. Dieser Bolzplatz-Charakter - das ist Fußball, wie man ihn von früher kennt. Da geht es schnell mit Zweikämpfen, da gibt es so viele Umschaltmomente. Du musst fokussiert auf die Zweikämpfe achten. Man muss nicht denken, dass ich als ehemaliger Erstligaschiedsrichter das Ding locker runter pfeife. Du bist voll fokussiert und voll dabei. Genial ist es auch, dass du mit den Menschen zusammenkommst. Das hat mir damals in der Bundesliga gefehlt.
ran: Was sind für Sie aus Schiedsrichtersicht die größten Unterschiede zwischen der Baller League und dem Profifußballgeschäft?
Rafati: In der Baller League ist es teilweise schwieriger zu entscheiden, weil es wahnsinnig schnell geht. Du hast in der Bundesliga das Problem der medialen Aufmerksamkeit. Jeder Fehler wird aufgedeckt. Und der hat natürlich schwerere Folgen als in der Baller League. Aber auch das Zwischenmenschliche ist anders. Du kannst in der Baller League locker mit den Jungs umgehen und kannst laufen lassen. Das nehmen die Spieler an. In der Bundesliga fallen die Spieler, wenn sie auch nur leicht berührt werden, wie die Maikäfer. In der Bundesliga ist die Schere zwischen den Vereinen und Fans riesig. Mit der Baller League holst du jeden Zuschauer im Wohnzimmer ab. Und da ist auch das Menschliche wieder da. Ja, sie spielen Fußball, sie wollen alle gewinnen, aber wenn abgepfiffen ist, ist die Welt wieder in Ordnung.
ran: Was würden Sie einem jungen Schiedsrichter heute raten?
Rafati: Ich maße mir nicht an, ein Pauschalurteil zu geben. Das geht nicht, denn jeder Mensch ist individuell. Es ist aber wichtig, dass wir auf uns schauen, an uns glauben. Und wir haben alle Schwächen und wir sollten daran arbeiten. Und es ist auch wichtig, eine andere Fehlerkultur zu haben, offen mit einem Fehler umzugehen. Es macht Spaß, mit einem Fehler umzugehen. Für mich ist ein Leitsatz aus eigener Erfahrung: Es liegt immer an unserem eigenen Drehbuch und nicht an anderen. Man wird immer mal eine Schieflage haben. Es ist die Kunst, da durchzugehen. Also sei du selbst, nichts anderes. Dann bist du am stärksten und Glück ist trainierbar. Und das ist nur in deiner Hand.
Wer das Gefühl hat, an einer Depression zu leiden oder sich in einer scheinbar ausweglosen Lebenssituation zu befinden, sollte nicht zögern, Hilfe anzunehmen. Hilfe bieten zum Beispiel auch die Telefonseelsorge in Deutschland unter 0800 111 0 111, das Info-Telefon Depression unter 0800 3344533 oder die Stiftung Deutsche Depressionshilfe auf ihrer Website."