Unüberlegte Provokation oder bewusstes Taktieren?
FC Bayern München: Wie gefährlich sind die Aussagen von Uli Hoeneß über Harry Kane?
- Aktualisiert: 16.07.2023
- 14:25 Uhr
- ran.de
Uli Hoeneß hat in gewohnter Manier auf den Putz gehauen und den Transfer von Harry Kane zum FC Bayern München zu einer Frage der Zeit erklärt. Im Londoner Büro von Daniel Levy dürften die Äußerungen nicht gut ankommen. Was also bezweckt Hoeneß damit? Die Aussagen in der Analyse.
Vom Trainingslager des FC Bayern am Tegernsee berichten Chris Lugert und Stefan Kumberger
Am Samstagabend, im Stadion Birkenmoos in Rottach-Egern am Tegernsee, erwachte die Abteilung Attacke aus ihrem Dornröschenschlaf. Wie in besten Zeiten sendete Bayern Münchens Ehrenpräsident Uli Hoeneß Schockwellen durch das Land, die auch noch in London zu hören gewesen sein dürften.
Am Rande des Trainingslagers seines FCB äußerte sich Hoeneß über den Transferpoker um Harry Kane und hielt sich dabei alles andere als bedeckt. Vermied Trainer Thomas Tuchel noch diplomatisch jeden Kommentar und nahm den Namen des Kapitäns von Tottenham Hotspur nicht einmal in den Mund, ließ Hoeneß alle Zurückhaltung fallen.
"Er hat in allen Gesprächen ganz klar signalisiert, dass seine Entscheidung steht. Und wenn die bleibt, dann kriegen wir ihn", stellte Hoeneß klar und ließ eine Ansage im besten "Mia san Mia" folgen: "Dann wird Tottenham einknicken müssen."
Fall erledigt, Bayern holt Kane. So zumindest lassen sich die Aussagen von Hoeneß interpretieren. Allerdings gibt es da noch eine zweite Partei, die mitreden kann. Und das sind die Spurs mit ihrem berüchtigten Boss Daniel Levy.
Hoeneß balanciert zwischen Respekt und Selbstvertrauen
"Berüchtigt" deshalb, weil der Vorstandsboss des Londoner Klubs als zäher Knochen bekannt ist, der in Verhandlungen selbst gerne am Steuer sitzt, statt nur den Beifahrer zu geben. Aussagen wie jene von Hoeneß erscheinen da wenig hilfreich.
Für den früheren Bundesligaprofi und England-Experten Jan-Aage Fjörtoft stellen die Äußerungen des 71-Jährigen eine "Provokation" dar. Und laut "Sport1" sind die Aussagen auch intern bei den Bayern überhaupt nicht gut angekommen, sie wurden als "unglücklich und unnötig" eingestuft.
Doch Hoeneß ist nicht naiv, er weiß, mit wem er es da zu tun hat. Levy, sagte er, sei "clever. Wir müssen ihn erst mal so weit bringen, dass er eine Zahl nennt. Er spielt auf Zeit, ist ein ausgebuffter Profi. Ich schätze ihn sehr", so Hoeneß. Auf der anderen Seite seien aber auch die Bayern-Verantwortlichen "keine Leute, die das seit gestern machen", stellte er klar.
Übersetzt heißt das: Die Bayern respektieren die Spurs, aber wollen selbst klarmachen, dass ihr Klub eine Liga höher spielt. Wenn der deutsche Rekordmeister jemanden wirklich will, dann bekommen sie ihn auch. Tottenham Hotspur, so die Botschaft, ist dabei keine Konkurrenz.
So erinnerte Hoeneß sicherlich nicht zufällig daran, was Bayern Kane bieten kann - und die Spurs eben nicht. Der bald 30-Jährige "möchte international spielen", macht Hoeneß deutlich: "Tottenham ist da nicht tätig in der kommenden Saison - im Gegensatz zu unserem Klub." Und weiter: "Er hat jetzt noch mal die Möglichkeit, zu einem Topklub in Europa zu kommen."
Kleine, pointierte Spitzen, die ein Ausdruck übergroßen Selbstvertrauens sind. Dieses ist für Verhandlungen wie im Fall Kane derzeit aber auch Grundvoraussetzung. Gerade mit einem Mann wie Levy auf der anderen Seite gilt es, so oft wie möglich die eigene Stärke zu demonstrieren, ohne den Gegenüber zu brüskieren und in seiner Ehre zu verletzen.
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Hoeneß-Aussagen ein Zeichen der Schwäche des FC Bayern?
Ein schwieriger Balanceakt, der viel diplomatisches Geschick erfordert. Die Holzhammer-Methode, mit der Hoeneß auch noch in der Öffentlichkeit vorgeht, ist dabei eigentlich kontraproduktiv. Für Fjörtoft könnten die Aussagen daher auch ein Versuch sein, mehr Stärke zu demonstrieren, als eigentlich vorhanden ist.
"Mit Aussagen wie diesen macht Hoeneß uns klar, dass Bayern die eigene Hand nicht für stark genug hält", spekuliert der Norweger. Heißt: Der Klub weiß, dass er wenig Argumente hat, Levy zum Umdenken zu bewegen. Kane hat Vertrag bis 2024 und wenn Levy auf die Ablöse verzichten will, dann macht er es. Daran könnten im Zweifel auch die Bayern nichts ändern - ob es aus Sicht der Spurs wirtschaftlich sinnvoll ist oder nicht.
Nun ist Hoeneß, anders als in den vergangenen Jahren, kein Unbeteiligter, der von außen seine Einschätzung abgibt. Nach der Entlassung von Sportvorstand Hasan Salihamidzic ist er mittendrin im neuen Transfer-Ausschuss, der sich kommissarisch um die Kaderplanung kümmert. Er ist also direkt in die Verhandlungen involviert.
Hoeneß weiß daher aus erster Hand, wie der Stand der Dinge ist. Er verfügt zudem auch über eine jahrzehntelange Erfahrung als Manager, um ein Gespür dafür zu bekommen, was es im aktuellen Stadium der Gespräche braucht, um den Deal abzuschließen.
Ganz bewusst schmiert er daher auch Kane und dessen Umfeld Honig ums Maul und bindet diese in seine öffentlichen Botschaften ein. "Sie haben immer zu dem gestanden, was sie gesagt haben", so Hoeneß mit Blick auf die Spielerseite. Zudem lobte er die angenehme Atmosphäre.
Bayern setzt Kane mehr unter Druck
Die Strategie dahinter ist eindeutig. Wenn die Bayern allein bei Levy auf Granit beißen, dann kann womöglich zusätzlicher Druck von der Spielerseite helfen, die ganze Thematik zu beschleunigen. Eine Allianz gegen Levy, sozusagen.
Allerdings enthält das Lob an Kane auch einen versteckten Auftrag. Die Bayern fordern mehr Engagement von ihrem Wunschspieler, garniert mit der Drohung: "Wenn es nicht klappt, hast du es auch selbst zu verantworten. Aber du willst doch zu uns, oder nicht?" Schließlich hat Bayern ja etwas zu bieten, was Tottenham nicht hat, siehe oben.
Eine schwierige Situation für den Kapitän und Rekordtorschützen der englischen Nationalmannschaft. Tottenham ist sein Jugendklub, die Fans lieben ihn. Auch wenn er den Klub aufgrund der sportlichen Situation womöglich verlassen will, so dürfte Kane wenig Interesse haben, verbrannte Erde zu hinterlassen.
Fazit: Hoeneß ist viel zu erfahren, um Sätze wie am Samstag unüberlegt herauszuposaunen. Er kennt die Transferverhandlungen aus erster Hand und glaubt zumindest zu wissen, wie weit er gehen kann. Allerdings birgt sein Vorgehen auch die Gefahr, den Gegenüber falsch einzuschätzen.
Sollte das der Fall sein und Levy sich in seiner Ehre angegriffen fühlen, ist der Transfer geplatzt. Dann werden sich die Bayern-Fans wünschen, dass die Abteilung Attacke in ihrem Tiefschlaf geblieben wäre.