nach Mazraoui-Skandal
FC Bayern München: Wo Hainer schweigt, brilliert Tuchel
- Aktualisiert: 19.11.2023
- 08:02 Uhr
- Stefan Kumberger
Die politische Weltlage hat auch den FC Bayern ereilt. Thomas Tuchel läuft kommunikativ aktuell aber zur Hochform auf.
Vom FC Bayern berichtet Stefan Kumberger
Bei einem normalen Fußballverein in normalen Zeiten hätte man nach dem Spiel des FC Bayern in Mainz (3:1) ausschließlich über die Tore gesprochen, über Leon Goretzkas Handverletzung oder die besondere Situation, dass Thomas Tuchel erstmals als Bayern-Trainer an seine alte Wirkungsstätte zurückgekehrt war.
Nun ist der FC Bayern München aber kein normaler Klub und die Zeiten sind es ebenfalls nicht. So hatte Tuchels Auftritt am ran-Mikrofon schon fast etwas Präsidiales.
Auf die Frage, ob er sich angesichts der nicht-sportlichen Schlagzeilen manchmal wünsche, "einfach nur Fußballtrainer zu sein", gestand der 50-Jährige ehrlich: "Diese Momente gibt es zuhauf in den letzten Jahren. Es ist nun mal so, dass der Sport die Gesellschaft abbildet und umgekehrt. Der Fußball ist so ein bisschen das Spiegelbild der Gesellschaft. Deshalb wird man oft zu Dingen befragt, in denen man kein Experte ist."
Und weiter: "Manchmal ist es dann auch besser, zu schweigen, wenn man nicht mehr als Halbwissen hat – so wie ich gerade in diesem geopolitischen Konflikt. Aber so ist es. Wir spielen auf dem höchsten Niveau und der Sport vermischt sich mit der Gesellschaft und den Kulturen und den politischen Themen. Also gehört es dazu."
Tuchel nimmt die Rolle des Kommunikators an, er gibt quasi den Klub-Präsidenten – auch weil sich der gewählte Präsident Herbert Hainer in der aktuellen Situation bedeckt hält. Das Statement der Bayern zum Fall Noussair Mazraoui kam von Jan-Christian Dreesen, dem CEO der AG.
Das Wichtigste in Kürze
Herbert Hainer: Der Präsident schweigt
Vom Klubpräsidenten kein Wort. Und das, obwohl der Verein bei seiner kommenden Jahreshauptversammlung im November seine Satzung ändern möchte. Das "Offenbaren einer Gesinnung, die mit dem Zweck, Aufgaben und Werten des Clubs unvereinbar ist", soll dann zum Ausschluss führen. Ein Szenario, das perfekt zu den umstrittenen Social-Media-Postings des Marokkaners passt.
Nun ist Mazraoui kein Vereinsmitglied im klassischen Sinne, aber vom Präsidenten eines Klubs, der zu Recht stolz auf seine jüdischen Wurzeln ist, hätten sich viele aktive Fans durchaus eine Stellungnahme gewünscht.
Auch weil der Rekordmeister trotz seines Statements öffentlich weiter in der Kritik steht.
Noch am späten Samstagabend attackierte Alon Meyer den FCB. Der Präsident von Makkabi Deutschland, dem Dachverband jüdischer Sportvereine, sagte im "ZDF" über Mazraoui: "Wenn man einseitig Position bezieht und den Palästinensern den Sieg wünscht - den Sieg über was? - ist das absoluter Antisemitismus. Es ist ein Angriff auf unseren Wertekanon“.
Das Statement von Dreesen ist für Meyer nicht genug. Zudem nimmt er Mazraoui eine komplette Distanzierung von den Zielen der Hamas-Terroristen nicht ab.
Externer Inhalt
Thomas Tuchel schon bei Boateng Krisenmanager
"In keinem Wort ist das Massaker erwähnt oder Beileid bekundet. In keinem Wort ist der Staat Israel erwähnt. Klar, weil man diesen vielleicht - anscheinend - gar nicht anerkennt. In keinem Wort ist dort, und das ist das Entscheidende, von Entschuldigung die Rede. Und als Viertes ist die Hamas nicht verurteilt“, so der Funktionär.
Wo Hainer schweigt, muss Tuchel liefern. Und er tut es.
Bereits im Fall Boateng (steht im Frühjahr wegen des Vorwurfs der Körperverletzung vor Gericht), als sich Sportdirektor Christoph Freund einen Shitstorm einhandelte, weil er die Gerichtsverfahren gegen den Weltmeister von 2014 als "Privatsache" bezeichnete, war es Tuchel, der am besten vorbereitet vor die Presse trat.
Kein Wunder, denn der Bayern-Coach hat Erfahrung mit Krisensituationen, die ein Fußballtrainer eigentlich nicht erwartet. Bereits bei seinen Stationen in London und Paris war der 50-Jährige in ungewohnter Rolle gefordert. Die aktuelle Situation in München empfindet er daher gar nicht als so gravierend.
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Tuchels Nebenschauplätze: Wie lange geht das gut?
"In Chelsea war es durch die Russland-Ukraine-Krise und den Krieg auch extrem. Hinzu kam der Wechsel des Eigentümers, der damals stattgefunden hat. In England spricht dann ja auch eigentlich nur der Trainer für den Klub. Da war ich auch an der vordersten Front", so Tuchel zu ran.
Tuchel – auch von der Corona-Situation gestählt, die er als Trainer von Paris St. Germain bewältigen musste – macht in Sachen Kommunikation derzeit die beste Figur im Bayern-Kosmos.
Doch wie lange geht das gut?
Der Trainer selbst spricht aktuell noch von Nebenschauplätzen, doch Bayern-Legende Stefan Effenberg gibt bei "Sport1" zu bedenken, dass solche Themen für einen Coach kräfteraubend wirken können. Schließlich liege seine Kompetenz vor allem bei sportlichen Themen.
Noch besteht Tuchel die Prüfungen in der Öffentlichkeit. Selbst die kleinen Spitzen, die Ehrenpräsident Uli Hoeneß unter der Woche in Richtung des Trainers abschoss, parierte er gekonnt.
So schloss Hoeneß zuletzt in einem "n-tv"-Interview eine Transferoffensive im Winter aus. Tuchels Kommentar dazu: "Wenn es der Ober-Boss sagt, dann ist es so."
Am Freitag kam es zu einer kleinen Aussprache der beiden Alphatiere. Tenor danach: Alles ist gut. Das ist auch der Fall, weil es für die Bayern mit elf Spielen ohne Niederlage rein sportlich derzeit läuft.
Doch noch weitere "Nebenschauplätze" wird der Klub vermutlich nicht mehr ertragen. Die vergangene Saison dürfte da eine Warnung sein. Es sind eben keine normalen Zeiten.