Erster Aufstieg der Vereinsgeschichte
Holstein Kiel - Lewis Holtby exklusiv: "Das war einer der schlimmsten Tage meiner Karriere"
- Aktualisiert: 17.08.2024
- 00:31 Uhr
- Kai Esser
Holstein Kiel hat erstmals den Aufstieg in die Bundesliga geschafft. Großen Anteil daran hatte Lewis Holtby. Mit ran spricht der Mittelfeldmotor über die Feierlichkeiten, die Ziele, einen seiner schlimmsten Karriere-Tage und seine Rückkehr in die Heimat.
Das Interview führte Kai Esser
Holstein Kiel wurde in der vergangenen Saison zum 58. Bundesligisten der Historie. Oft nahm der Klub dafür Anlauf, nun ist die Landeshauptstadt von Schleswig-Holstein endlich Bundesligist.
Lewis Holtby war im zentralen Mittelfeld treibende Kraft. Der 33-Jährige spricht mit ran über den Aufstieg, die Feierlichkeiten, was Holstein in Liga 1 erwartet und die Vorfreude auf die Rückkehr in die Heimat - trotz einer Erinnerung an einen der schlimmsten Tage seiner Karriere.
ran: Herr Holtby, drei Monate ist der Aufstieg her. 'Holstein Kiel in der Bundesliga', wie klingt das noch immer?
Lewis Holtby: Fantastisch natürlich, mehr gibt es nicht dazu zu sagen. Es war ein unglaublicher Moment, der Aufstieg soll aber nicht das Ende vom Lied sein. Wir wollen mitmischen, wir wollen erfolgreich Fußball spielen und die Saison nicht nur als 'Abenteuer Bundesliga' sehen.
ran: Der Verein hat den Aufstieg mehrmals knapp verpasst. Wie sehr haben sich die Menschen nach Liga 1 gesehnt?
Holtby: Extrem! Kiel ist eine Landeshauptstadt. Klar, hier ist immer THW-Land (ehem. Serienmeister im Handball, Anm. d. Red.) gewesen, aber was in den letzten zehn Jahren bei Holstein passiert ist, ist phänomenal. Eine Schritt-für-Schritt-Entwicklung, es wurden immer wieder Nadelstiche auf die deutsche Fußballkarte gesetzt und das haben wir jetzt vollendet.
Das Wichtigste in Kürze
ran: Ist es denn schon 'vollendet'?
Holtby: Das ist vielleicht das falsche Wort. Mit dem Aufstieg in die Bundesliga haben wir in der Vereinshistorie einen hervorragenden und historischen Schritt gemacht. Aber das soll nicht das Ende der Entwicklung sein. Wir wollen immer weiter nach vorne gehen, dafür passiert hier auch sehr viel. Wir haben bei der Aufstiegsfeier gesehen, wie viel Potential auch in den Fans eigentlich drinsteckt.
Holtby: "Meine Rolle? Ganz simpel: Gut Fußball spielen"
ran: Sie gehen als Abstiegskandidat Nummer eins ins Rennen, die Vorbereitung läuft ergebnistechnisch so lala. Steht dem Team die Außenseiterrolle vielleicht sogar?
Holtby: Im letzten Jahr wurden wir auch schon fast in der 3. Liga gesehen, da haben uns viele in die unteren Tabellenregionen getippt. Wir werden die Außenseiterrolle annehmen, aber uns nicht verändern. Wir werden intensiv spielen, eklig sein, mutig sein und unseren Fußball variabel ansetzen. Wenn wir das konstant schaffen und uns stetig weiterentwickeln, wovon ich überzeugt bin, dann sehe ich eine gute Saison vor uns.
ran: Die Mannschaft hat nicht so viel Bundesliga-Erfahrung, Sie haben mit 200 Spielen noch die meisten. Wie sehen Sie Ihre Rolle als Führungsspieler?
Holtby: Meine Rolle ist erst einmal ganz simpel: gut Fußball spielen. Ich will voran gehen und als Ansprechpartner für junge Spieler da sein, wenn es sein muss Ruhe reinbringen und das Team zusammen halten. Wir machen es so, wie wir es immer bei Holstein gemacht haben: Wenn es mal rauer wird, werden wir als Verein und als Mannschaft zusammenstehen. Wir müssen an den Prozess glauben, das geht nur zusammen. Am Ende geht es auf dem Platz darum, Spiele zu gewinnen und gute Leistungen zu zeigen.
ran: Trainer Marcel Rapp ist außerhalb von Norddeutschland eher ein unbeschriebenes Blatt. Was macht ihn besonders aus?
Holtby: Marcel ist ein sehr menschlicher Trainer. Wenn er etwas sagt, dann hält er sich auch daran, das weiß ich zu schätzen. Er ist offen und kommuniziert auch so. Ich freue mich, mit ihm zusammenarbeiten zu dürfen. Fußballerisch ist er sehr akribisch. Er gibt uns immer gute Matchpläne mit, trainiert sehr fordernd und schafft es, nicht nur junge, sondern auch ältere Spieler weiterzuentwickeln.
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Holtby: "Wir gehören zu den 18 besten Mannschaften Deutschlands"
ran: Manchmal wird geunkt, dass die 2. Liga viel interessanter und ansehnlicher sei als die Bundesliga. Wieso sollte man trotzdem keine Spiele von Holstein Kiel verpassen?
Holtby: (lacht) Die 2. Liga ist sehr attraktiv von den Namen und Stadien her. Es gibt bestimmt zwölf Mannschaften, die den Anspruch haben aufzusteigen. Aber am Ende ist die Bundesliga die Klasse mit den 18 besten Mannschaften Deutschlands. Da gehören wir nun mal dazu. Wir haben 34 Möglichkeiten, unsere intensive und mutige Spielweise unter Beweis zu stellen und dann sehen wir, wofür es am Ende reicht. Aber alleine deswegen lohnt es sich, Kiel anzuschauen.
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ran: Wer Ihnen auf Social Media folgt, weiß, dass Sie sehr an Ihren Ex-Vereinen hängen. Auf welches Wiedersehen freuen Sie sich am meisten?
Holtby: Ich hatte das Glück, für viele tolle Vereine gespielt zu haben. Ich sehe immer wieder Leute, mit denen ich zusammengearbeitet habe. Im Testspiel haben wir gegen Mainz 05 gespielt, da habe ich auch wieder ehemalige Weggefährten getroffen. Das ist natürlich immer schön, weshalb ich mich auf das Ligaspiel gegen Mainz schon besonders freue. Ich komme aus der Region Mönchengladbach und freue mich dementsprechend auch, wieder im Borussia-Park zu sein. Bei Bochum habe ich ein halbes Jahr gespielt, die Atmosphäre dort ist immer unglaublich. Es ist insgesamt immer schön zurückzukommen, aber in der Bundesliga freue ich mich einfach auf alle, das werden 34 Highlight-Spiele.
ran: Das erste Wiedersehen gibt es schon in der 1. Pokalrunde bei Alemannia Aachen, Ihr Jugendklub. Wie laut war der Freudenschrei bei dem Los?
Holtby: Der war schon extrem laut. Ich war im Urlaub und habe die Auslosung intensiv verfolgt. Wir mussten lange warten, weil es die letzte gezogene Paarung war, aber dafür hat es sich auf jeden Fall gelohnt. In Aachen hat damals alles angefangen, am alten Tivoli stand ich noch im M-Block. Es werden sehr viele Familienmitglieder und Freunde von mir dabei sein, das wird ein ganz besonderes Spiel. Perfekt wird es aber, wenn wir gegen Aachen auch weiterkommen.
ran: Wie haben Sie die Alemannia in den vergangenen Jahren verfolgt? Die Zeit war ja nicht gerade immer von Erfolg gekrönt.
Holtby: Mein Bruder Joshua hat 2018 dort noch gespielt, da habe ich mir einige Spiele angesehen. Die Entwicklung ging in dieser Zeit allerdings nach unten, sodass teilweise nur 4.000 Zuschauer am Tivoli waren. Man hat das mit Trauer verfolgt, als es dann sogar gegen den Abstieg in die 5. Liga ging, das wäre unvorstellbar gewesen. Es freut mich umso mehr, dass sie es geschafft haben, eine Euphorie zu entwickeln und die Region wieder hinter sich zu bekommen. Man sieht dann ja, was möglich ist und dass auch in die Regionalliga 20.000 und mehr Zuschauer kommen.
ran: Erwarten Sie ein volles Stadion?
Holtby: Ich denke, dass die Hütte ab jetzt fast immer voll sein wird, auch gegen uns. Die Leute haben sich nach einer Rückkehr in den Profifußball gesehnt. Ich wünsche mir für Aachen, dass sie wieder in die 2. Liga kommen, weil dort gehört der Verein in meinen Augen hin.
ran: Es ist gar nicht Ihre erste Rückkehr nach Aachen. 2010 kamen Sie als Tabellenführer mit Mainz zum Pokalspiel an den Tivoli. Sie haben 1:2 verloren und wurden zur Pause ausgewechselt. Welche Erinnerungen haben Sie noch an diesen Tag?
Holtby: Das war wirklich ein rabenschwarzer Tag (lacht). Es fing mit unheimlich viel Vorfreude an und nach 45 Minuten hatte ich dann einen der schlimmsten Tage meiner Karriere. Da fiel mir wirklich die Decke auf den Kopf. Dennoch war es eine lehrreiche Erfahrung. Daran sieht man: Der Tivoli wird immer noch zum Hexenkessel, wenn das Flutlicht angeht und ein Pokalspiel ansteht.
ran: Läuft die Vorbereitung auf das Spiel schon?
Holtby: Seit dem letzten Testspiel gegen AS Saint-Etienne (2:3) gilt der volle Fokus Alemannia Aachen.
ran: Aachen hat schon zwei Pflichtspiele gemacht, wenn Sie zu Besuch kommen. Ist das ein Nachteil?
Holtby: Sie sind definitiv im Rhythmus, das dürfen wir aber nicht als Nachteil für uns sehen. Wir müssen den Fokus im Training hochhalten und die Dinge, die wir uns vornehmen, komplett durchziehen. Ob jetzt einer schon fünf oder zwei oder gar kein Spiel absolviert hat, ist völlig egal. Am Ende wird auf dem Platz abgerechnet.
ran: Warum wird es diesmal besser für Sie als 2010?
Holtby: Ich glaube, dass erstmal jeder weiß, worum es geht. Man muss in der Mannschaft niemandem erzählen, dass das keine Laufkundschaft wird gegen die Alemannia und 30.000, die mit der Euphorie des Aufstiegs und eines guten Starts kommen. Es geht um die Basics: Laufen und Kämpfen. Wir müssen mit Ball gute Lösungen finden, variabel sein und es konsequent zu Ende spielen. Es geht am Ende nur darum, auf jeden Fall in die nächste Runde zu kommen.
ran: Sind Sie noch oft in der Heimat?
Holtby: Eher weniger, ich habe jetzt auch zwei Töchter und die beanspruchen viel Zeit und Energie. Im Fußball hat man sowieso nicht so viel Zeit, deswegen werden die Besuche in der Heimat weniger. Im Jahr kommt es so zwei, drei Mal vor, aber jeder Besuch ist unheimlich schön.
ran: Was passiert, wenn Sie gegen Aachen treffen? Gibt es einen Jubel?
Holtby: Ich denke nicht, dass ich jubeln werde. Natürlich freue mich für meine Mannschaft, es geht immer um den Erfolg des Vereins, für den ich mich zerreiße. Aber exzessiv zu jubeln, das könnte ich vermutlich nicht.
ran: Kai Havertz hat vor ein paar Wochen gesagt, dass er sich eine Alemannia-Rückkehr vorstellen könnte, wenn die Rückkehr in die Bundesliga gelingt. Was muss passieren, damit Sie zurück an den Tivoli wechseln?
Holtby: Na dann viel Erfolg, Kai, das würde ich gerne sehen! (lacht) Es wäre natürlich ein Traum, wenn dieser Verein wieder in die ganz hohen Regionen des Fußballs stoßen könnte. Aber ich bin jetzt fast 34 Jahre alt und bin sehr, sehr glücklich in Kiel. Ich weiß nicht, ob ich da den Weg nochmal zurückschaffen werde, aber im Fußball soll man ja nie etwas ausschließen...