Exklusiv-Interview mit ran
Urs Meier als Schiedsrichter-Boss beim DFB? "Der Ball liegt woanders"
- Aktualisiert: 12.03.2025
- 11:04 Uhr
- ran.de/Markus Bosch
Der ehemalige Schiedsrichter Urs Meier spricht im Interview mit ran über die Probleme beim VAR in Deutschland, den Vorschlag von Manuel Gräfe und was er von Ex-Profis an der Seite von Schiedsrichtern hält.
München - Der Schweizer Urs Meier zählte einst zu den besten Schiedsrichtern der Welt und erlangte in Deutschland vor allem dadurch Berühmtheit, dass er Michael Ballack im WM-Halbfinale 2002 gegen Südkorea die Gelbe Karte zeigte und Ballack dadurch im WM-Finale fehlte. Inzwischen arbeitet der 63-Jährige als Experte für das Schweizer Fernsehen.
Im exklusiven Interview mit ran spricht Meier über die Probleme beim Videobeweis und äußert sich zum Vorschlag von Ex-Schiedsrichter Manuel Gräfe, der ihn als Schiedsrichter-Chef in Deutschland vorschlug.
ran.de: Herr Meier, haben wir am Dienstagabend beim Champions-League-Halbfinale zwischen Manchester City und Real Madrid, beim Tor von Bernardo Silva zum zwischenzeitlichen 4:2, ein Lehrbeispiel für die Auslegung des Vorteils gesehen?
Urs Meier: Definitiv. Für Schiedsrichter Istvan Kovacs war es das bislang wichtigste Spiel seiner Karriere. Und dann solch eine Szene zu haben, in der der Vorteil dann auch gleich zum Tor führt, das ist schon etwas ganz Besonderes. Mit diesem Vorteil hat er seine Leistung gekrönt, das hat auch mir persönlich viel Freude gemacht.
ran.de: Es gab viele Diskussionen um den VAR in der Bundesliga zuletzt, dabei sollte doch mit der Möglichkeit, die Videobilder anschauen zu können, mehr Gerechtigkeit entstehen. Was läuft aus Ihrer Sicht dabei schief?
Meier: Ich war schon immer der Meinung, dass dadurch die Gerechtigkeit nicht größer wird. Das wurde aber immer wieder zurückgewiesen: Natürlich ist der Videobeweis sinnvoll, aber natürlich nur, wenn er richtig angewandt wird. Das Problem beim Videobeweis - und das ist nicht nur in Deutschland so - ist, dass die Videoassistenten nicht ins Spiel involviert sind. Sie kriegen nur die einzelnen Szenen relativ knapp gezeigt und können dadurch nicht vorausschauend agieren. Der Videoassistent wird immer 'überrascht' von einer Situation, die dann in verschiedenen Kameraperspektiven gezeigt wird. Aber es ist nicht klar, welche Perspektive die richtige ist, um das Vergehen am besten zu zeigen. Gleichzeitig steht man unter enormem Druck. Der Hauptpunkt ist aber, dass durch die TV-Bilder die Absicht nicht erkannt werden kann, diese ist aber zentral für die Entscheidungsfindung der Schiedsrichter.
Urs Meier: "Dafür braucht es viel Fußballverstand"
ran.de: Was bedeutet das?
Meier: Der Schiedsrichter auf dem Platz hat eigentlich die besten Voraussetzungen, um eine gute Entscheidung zu treffen. Darum würde ich die Hauptlast der Entscheidung auch beim Schiedsrichter lassen. Nur bei krassen Fehlentscheidungen, die durch die TV-Bilder offensichtlich sind, müsste der Videoschiedsrichter eingreifen. Das war auch die ursprüngliche Idee der FIFA, bei den Überlegungen zum Videobeweis, um Szenen wie die 'Hand Gottes' von Maradona zu verhindern. Momentan wird aber bei viel kleineren Szenen schon eingegriffen. Dafür braucht es aber viel Fußballverstand. Ist der nicht da, kommt es zu genau solchen Fehlentscheidungen des Videoassistenten.
ran.de: Wie kann dieses Problem des teilweise fehlenden Fußballverstands behoben werden?
Meier: Man muss den Schiedsrichtern viel mehr Fußballverständnis beibringen. Das geht nur in der Zusammenarbeit mit ehemaligen Profis oder Trainern. Dort sollte dann erklärt werden, wie beispielsweise ein Stürmer funktioniert oder was in bestimmten Situationen eigentlich passiert. Erkennst du diese Feinheiten einmal, wird es auch einfacher, diese mit Hilfe der TV-Bilder zu erkennen. Natürlich gibt es jetzt schon Schiedsrichter mit Fußballverständnis, aber es sind zu wenige. Deutschland ist mit diesem Problem nicht alleine.
ran.de: Auch Lothar Matthäus hat nun Ex-Profis als mögliche Video-Assistenten ins Spiel gebracht. Ist das von den Regularien her erlaubt?
Meier: Die letzte Entscheidung trifft immer noch der Schiedsrichter. Beim Einsatz der Ex-Spieler geht es vor allem darum zu erkennen, was falsch war. In Sachen Foulspiel, Schwalben und teilweise auch bei der Frage ob absichtliches oder unabsichtliches Handspiel, könnten ehemalige Profis tatsächlich helfen. Wie sie dann eingesetzt werden, ob sie in der Schulung oder sogar mit bei den Videoschiedsrichtern sitzen, ist dann erst einmal zweitrangig. In meiner Position als TV-Experte bin ich inzwischen oft der gleichen Meinung wie Ex-Spieler bei vielen Entscheidungen, auch weil ich durch sie viel an Fußballverständnis gewonnen habe. Die Absicht an einer Handlung erkennt ein ehemaliger Profi-Spieler und darum müssen wir in Zukunft mit ihnen zusammenarbeiten, da sie bestimmte Dinge noch einmal besser aufzeigen können. Denn wenn ich die Gedanken der Spieler besser nachvollziehen kann, treffe ich auch bessere Entscheidungen. Natürlich können wir es auch weiterhin ohne die Einbindung von Ex-Spielern machen, aber dann werden wir weitere bittere Erfahrungen machen und es werden viele Fehler passieren. Als ich mit Jürgen Klopp beim ZDF zusammenarbeitete, habe ich ihm gesagt, dass ich ihn schon zehn Jahre früher hätte brauchen können. Er hat mir so viel über Taktik und Verhalten auf dem Platz gezeigt. Das wäre für meine Karriere als Schiedsrichter sehr wertvoll gewesen.
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"Pass von Manuel Gräfe kam etwas überraschend"
ran.de: Manuel Gräfe hat sie als Schiedsrichter-Chef in Deutschland beim DFB vorgeschlagen, können Sie sich das vorstellen?
Meier: Der Pass von Manuel Gräfe kam etwas überraschend. Aber ich bin nicht in der Lage, den Ball zu verwerten, sondern der liegt jetzt woanders. Andere Leute müssen entscheiden, ob das eine Variante sein kann oder nicht. Ich bin offen für vieles und mein Herz schlägt noch immer für die Schiedsrichterei. Ich bin mit dem deutschen Fußball aufgewachsen.
ran.de: Und wenn Sie tatsächlich in der Position des Schiedsrichter-Chefs beim DFB wären, was würden Sie verändern?
Meier: Ich habe bereits vor acht Jahren, in meinem Buch 'Mein Leben auf Ballhöhe', geschrieben, was ich damals auch dem DFB vorgeschlagen habe. Das Ganze müsste professioneller aufgestellt werden, in allen Bereichen. Gewisse Strukturen müssten verändert werden, man kann nicht so weitermachen wie bisher. Aber wie ich bereits sagte: Das Problem ist nicht nur in Deutschland da. Die Schiedsrichterei ist überall noch sehr amateurhaft in ihren Strukturen. Es war in Deutschland ein guter Schritt, die Schiedsrichter auszulagern vom DFB, aber dann müssen auch die entsprechenden finanziellen Mittel zur Verfügung gestellt werden, damit der Teil auch wachsen kann. Es gibt einiges, was verändert werden müsste.
ran.de: Sie sind also ein Verfechter von Profi-Schiedsrichtern?
Meier: Die Referees, die in Champions League, Europa League und den großen internationalen Ligen pfeifen, können nicht mehr unter dem Amateur-Status geführt werden. Für mich ist schon lange klar, dass die Professionalisierung auch bei den Schiedsrichtern kommen muss. Die Verbände fragen dann immer, ob professionelle Referees dann auch besser pfeifen. Ich verweise dann auf eine Diskussion in den 70er Jahren im Schweizer Fußball-Verband, ob Profi-Fußballer auch besseren Fußball spielen. Die klare Antwort ist 'Ja' und die Diskussion ist bereits lange beendet. Die Profis haben mehr Zeit für ihr Hobby und mehr Zeit für die Regeneration und sie werden besser trainiert. In den deutschen Fußball-Profiligen müsste die 19. Mannschaft die der Schiedsrichter sein, inklusive der gesamten Struktur der anderen 18 Mannschaften wie Trainer, Fitnesscoach und Physiotherapeut.
Das Interview führte Markus Bosch
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