Bundesliga
FC Bayern München: St. Pauli-Boss Oke Göttlich exklusiv: "Uli Hoeneß haben wir einiges zu verdanken"
- Aktualisiert: 31.03.2025
- 11:18 Uhr
- Philipp Kessler
Vor dem Duell David gegen Goliath beim FC Bayern spricht St. Paulis Boss Oke Göttlich über die Riesenunterschiede in der Bundesliga und die Wertschätzung für die frühere Hassfigur Uli Hoeneß.
Von Philipp Kessler
Es ist ein Duell, das ungleicher kaum sein könnte: Rekordmeister FC Bayern hat am Samstag Aufsteiger FC St. Pauli in der Bundesliga nur knapp mit 3:2 geschlagen.
Auch Oke Göttlich sieht den krassen Unterschied zwischen den Klubs aus München und Hamburg.
Der Präsident des Kiez-Clubs setzt sich seit 2019 im Präsidium der DFL für die Interessen der kleineren Vereine ein. Trotzdem sind sich beide aber in einigen Punkten einig.
Im Gespräch mit ran äußert sich Göttlich über das bevorstehende Liga-Duell, den neuen Genossen Uli Hoeneß, Paulis alternative Wege, die Club-WM im Sommer und Vorschläge für einen faireren Wettbewerb.
Das Wichtigste in Kürze
ran: Der Kader der Bayern hat einen Marktwert von 856 Millionen Euro, der von St. Pauli liegt bei 54,18 Mio. Euro. Ein Duell wie Goliath gegen David.
Göttlich: Natürlich ist das Duell total ungleich. Und es ist ja einer unserer sportpolitischen Kritikpunkte, die in der Liga immer wieder angebracht werden: Die Kluft wird zu groß. Das bedeutet in diesem Fall einen ca. 15-fachen Marktwert – das ist ein Abstand, da er auch durch ständige harte Arbeit nicht aufzuholen ist. Neun von zehn Spiele werden die Bayern in der Regel gegen Teams unserer Kaderwertqualität gewinnen. Aber wir hoffen natürlich, dass wir dieses eine Momentum nutzen können. Sportpolitisch muss man klar feststellen, dass die Differenz zwischen dem Ersten und Letzten der Kaderwerttabelle in der englischen Premier League deutlich geringer ist. Dass wir oben immer die gleichen Teams haben werden, ist ein Problem, auf das die nationale Liga hinzusteuert. Wir müssen uns Gedanken machen, inwieweit wir noch ein wirklich attraktives Liga-Umfeld bieten, für das dann auch Sender bereit sind, viel Geld zu bezahlen.
Bayern-Ehrenpräsident Uli Hoeneß half dem FC St. Pauli
ran: In den 80ern waren der FC Bayern und Uli Hoeneß die großen Reizfiguren der St. Pauli-Anhängerschaft. Doch als es dem Verein wirtschaftlich schlecht ging, half der frühere Münchner Manager sofort. Er organisierte im Juli 2003 gemeinsam mit dem FC St. Pauli ein Freundschaftsspiel der Bayern am Millerntor gegen den damaligen Drittligisten und beließ alle Einnahmen von 200.000 Euro bei den Hamburgern. Welche Meinung haben Sie von Hoeneß?
Göttlich: Als FC St. Pauli haben wir Uli Hoeneß einiges zu verdanken. Ich habe ihn zweimal persönlich getroffen und wir haben wirklich einen guten Austausch gehabt, einmal ganz zu Beginn meiner Amtszeit und jetzt gerade jüngst. Dementsprechend sind wir froh, dass wir mit dem FC Bayern – mit Jan-Christian Dreesen und Michael Diederich – ein gutes Verhältnis haben. Wir haben auch mit Herrn Hainer immer mal wieder Kontakt. Das ist äußerst sinnvoll – auch wenn wir auf die sportpolitischen Dinge aus unterschiedlichen Fallhöhen draufgucken. Der FC Bayern hat ja auch Finanzprobleme, wenn man so will. Und zwar Finanzprobleme gegenüber PSG und ManCity. Wir haben eben Finanzprobleme gegenüber dem FC Bayern München. Und interessanterweise sind unsere Lösungswege gar nicht so ganz weit voneinander entfernt. Es geht um Regulierung. Karl-Heinz Rummenigge spricht von Salary Cap, Oke Göttlich von Kader Cap. Es gibt durchaus Überschneidungen.
ran: Seit 2019 vertreten Sie im Präsidium der DFL die Interessen der kleineren Clubs und kämpfen beispielsweise um eine fairere Verteilung der TV-Gelder. Wie sieht Ihre Wunschvorstellung aus, damit die Schere kleiner wird?
Göttlich: Allein mit dem Vertrieb des Geldes werden wir am Ende nicht weiterkommen. Es geht um Regulierungen, die wir uns gemeinschaftlich angucken müssen: Kaderobergrenzen, Multi-Club-Ownership-Grenzen und eine Form von Salary Cap gemessen am Gesamtumsatz.
ran: Bis wann soll eine für alle Clubs passende Lösung gefunden werden?
Göttlich: Wenn die Bayern und St. Pauli schon einig sind, kann das nicht so lange dauern… (lacht) Im Ernst: Es sind Gesetzgebungen, es sind juristische Themen. Es ist logisch, dass man das sehr gut vorbereiten muss. Ich mache das Ganze jetzt seit elf Jahren. Als ich damals was von Salary Caps gesagt habe, wurde ich in der Liga belächelt. Inzwischen gibt es eine Brücke zwischen dem Tabellenersten und -15. – das ist zumindest schon positive Entwicklung.
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Pauli-Boss Göttlich ein "Freund" der Club-WM
ran: Wie sehen Sie die im Sommer in den USA erstmals stattfindende große Club-WM der FIFA? Quasi als Trost für alle Nicht-Teilnehmer soll an alle ein Teil aus dem Solidaritätstopf von 250 Millionen Euro ausgeschüttet werden.
Göttlich: Ich bin kein Freund dieses Wettbewerbs. Ich bin ein Gegner der weiteren Ungleichgewichtung, die dort passiert. Deshalb ärgert mich das sehr. Der Solidartopf ist ein Minimal-Konsens, der über alle nationalen Ligen verteilt wird und der am Ende nichts ausmacht gegenüber den Millionen, die zum Beispiel die deutschen Teilnehmer in diesem Wettbewerb dort zusätzlich verdienen werden. Nehmen wir das Beispiel Borussia Dortmund: Für die lässt sich das kommende Jahr, in dem sie vielleicht nicht europäisch spielen werden, leichter kompensieren – trotz sportlicher Weniger-Leistung. Das finde ich ein Stück weit unfair anderen gegenüber, die diese Mittel nicht generieren können.
ran: Hat ein Großteil der Traditionsvereine zu lange auf die Traditionskarte gesetzt und es verpasst, sich den Marktgegebenheiten anzupassen?
Göttlich: Das lässt sich nicht so pauschal sagen. Der FC Bayern ist ja auch ein Traditionsteam. Sie haben das sehr gut umgesetzt, auch in ihrer Satzung. Wir sehen uns übrigens nicht als zurückgebliebenen Traditionsclub. Im Gegenteil. Ich würde uns als sehr modernen Club bezeichnen. Wir haben mit der Genossenschaft ein sehr modernes Finanzierungskonzept aufgesetzt. Wir haben unsere alternativen Modelle, die nicht nur Meckern und Dagegensein beinhalten, sondern vor allen Dingen auch zeigen, dass wir kreativ nach vorne denken, lösungsorientiert sind und uns nicht in ein Jammertal zurückkriechen. Wir glauben daran, dass unsere Kraft eher aus der Community entsteht, als dass sie ausschließlich über Firmenkonstrukte am Ende funktioniert.
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ran: Sie treten auch immer wieder als Stimme gegen Vereine wie RB Leipzig auf. Zudem gibt es in Deutschland mit den Werksclubs seit Jahrzehnten Vereine, die genauso stark abhängig von einem Konzern sind wie Leipzig von Red Bull.
Göttlich: Leverkusen und VW mit Wolfsburg sind kritisch zu beäugende Modelle. Im Sinne der Steuerzahler, weil natürlich Gewinn- und Verlust-Abführungsverträge den Konzernen zugutekommen. Wolfsburg und Leverkusen kosten damit indirekt eher dem Steuerzahler und Staat Geld.
ran: Sind Sie generell gegen Kommerzialisierung?
Göttlich: Das ist mir zu einfach. Kommerzialisierung ist immer so ein Todschlagwort. Es gibt sehr gute und sinnvolle Dinge, was Modernisierung von Infrastruktur und Technologie sowie Digitalisierung angeht, wofür man natürlich auch Geld braucht, das man investieren muss, um die bestmöglichen Bedingungen schaffen zu können. Ob wir jetzt die Halbzeitshow in der Fußball-Bundesliga brauchen, ist aber eine andere Frage. Die Leute mögen es beim FC St. Pauli sehr puristisch und genießen es, mit sich zu sein – und brauchen nicht noch eine Dauerbeschallung mit Lasershow sowie Präsentationen der Ecken, Kopfbälle und drei Screens am Platz, wo noch siebenmal der VAR hoch- und runtergespielt wird.
ran: Der FC Bayern hatte zuletzt immer wieder Diskussionen um Sponsorings wie das von Qatar Airways oder aktuell Ruanda. Wie stehen Sie dazu und würden Sie solche Sponsorings auch für den FC St. Pauli eingehen?
Mit dem FC St. Pauli: Göttlich träumt von Teilnahme an Europa
Göttlich: Es steht dem FC St. Pauli nicht zu, die Sponsorenpartner des FC Bayern zu bewerten. Es gibt immer Partner, die Dinge in ihrer Organisation etwas anders handhaben, als sich das der Verein vorstellt – und umgekehrt. Wir leben gerne in einer Symbiose mit unseren Partnern, wo wir uns gegenseitig Feedback geben. Im Dialog ist der FC St. Pauli stark. Es ist bei uns ein Erfolgsmodell, weil Partner gerne mit uns zusammenarbeiten. Damit bekommen sie ein gewisses Umfeld, wo sie das Gefühl haben, dort gemeinschaftlich mit Marken agieren zu können, die für gewisse Werte stehen. Ob das zum Beispiel Mitarbeiter- und Mitarbeiterinnen-Themen, Diversitätsthemen, ökologische Themen oder Mitarbeiterbindungsprogramme sind. Da ist der FC Bayern natürlich eine Riesengröße, die immer mit den Besten der jeweiligen Industrien zusammenarbeitet. Wir bemühen uns immer mit denen zu arbeiten, die am besten zu passen.
ran: Können Sie ein Beispiel nennen?
Göttlich: Wir freuen uns über lebenslange Partnerschaften, die wir beispielsweise mit "Viva con Agua" aufgebaut haben. Vor über 15 Jahren haben wir uns dort als erster Verein im Profisport weltweit an einer Nichtregierungsorganisation (NGO) beteiligt. Niemand hat damit gerechnet, dass diese NGO mit dem Verkauf von Wasser so viel Geld verdient, dass sie am Ende auch unser offizieller Wasserpartner werden kann. Auch dort haben wir einen Give-and-Take-Moment geschaffen, der einzigartig ist in der Fußball-Bundesliga. Wenn ich mir etwas wünschen dürfte, wäre es genau das: Dass wir mit aufstrebenden Firmen, die mit transformativen Energien zu tun haben, frühzeitig partnerschaftlich arbeiten, um sich gegenseitig größer zu machen.
ran: Ist der FC St. Pauli zu idealistisch, um im geldgetriebenen Fußballgeschäft Riesen-Erfolge zu feiern?
Göttlich: Wir hören das oft: Weil wir vermeintlich zu politisch seien, seien wir zu idealistisch, um erfolgreich Sport machen zu können. Wir haben eine ganz andere Wahrnehmung und meinen, wir können ganz schön viel für das, was wir sind. Und zwar, sehr ambitioniert uns auch auf das sportliche Umfeld zu konzentrieren und unsere politischen Ambitionen trotzdem nicht zu lassen. Unsere politischen Ambitionen, dass eine bessere Welt möglich ist, wo Menschen liebend gerne zusammenleben und nicht über Social-Media-Hass übereinander herfallen. Mir ist in Deutschland insgesamt viel zu viel Bewertung unterwegs. Wir gehen unseren Weg. Wir sind Teil der Bundesliga, das wollen wir gerne bleiben. Wir wollen den möglichst erfolgreichsten Sport repräsentieren, um auch Werte und politische Themen mitzutransportieren. Wir wollen auch kritisch sein, das geht den Leuten manchmal auf den Senkel. Wir wollen bei sportpolitischen Themen immer auch unbequem bleiben und für unsere Haltungen streiten. Wir wollen disruptiv denken und nicht immer nur alles toll finden, wie es gerade ist, sich freuen, dass das Geld der TV-Anstalten durchs Dach regnet. Wir kritisieren, geben Feedback, um Dinge besser oder auch mal anders zu denken.
ran: Seit 2014 sind Sie Präsident des FC St. Pauli, zudem sind Sie auch im Präsidium der DFL und Mitglied im DFB-Vorstand. Wie lange wollen Sie Ihre Tätigkeiten im Fußball noch ausüben?
Göttlich: Solange mich die Leute noch ertragen können… (lacht)
ran: Was ist Ihre Vision für den FC St. Pauli?
Göttlich: Es wäre schön, wenn es mal mit der Teilnahme an einem europäischen Wettbewerb klappen würde. Das ist die große Utopie und das Lebensziel vieler Fans. Aber im Ernst: Ganz langsam versuchen wir, uns Schritt für Schritt als Bundesligist zu etablieren. Das ist unsere Aufgabe. Und dafür versuchen wir auch, aus München etwas mitzunehmen.