Mann des Abends bei Real Madrid
Antonio Rüdiger: So wird er zum Trumpf im EM-Rennen - ein Kommentar
- Veröffentlicht: 18.04.2024
- 17:15 Uhr
- Jörg Runde
Dass Antonio Rüdiger in Manchester zu Reals Matchwinner wird, ist die Krönung einer Entwicklung, die dem deutschen Nationalspiel nur wenige zugetraut hatten. Ein Kommentar.
Von Jörg Runde
Ganz kurz hielt Antonio Rüdiger inne. So, als wäre er sich nicht ganz sicher, dass er diesen vermutlich wichtigsten Elfmeter seiner Karriere tatsächlich verwandelt hat.
Was dann folgte war ein einziger Jubellauf, der erst bei den Teamkollegen und dann auf dem Zaun bei den Real-Fans stoppte und später von den Lobeshymnen der Teamkollegen und der spanischen Presse abgelöst wurde.
Ohne Zweifel war Antonio Rüdiger beim packenden Champions-League-Halbfinale zwischen Manchester City und Real Madrid der Mann des Abends.
Mehr als 120 Minuten hatten ihn die City-Fans im Ethiad Stadium gnadenlos ausgebuht. Noch immer werfen sie Rüdiger in Manchester vor, City-Star Kevin de Bruyne im Champions-League-Finale 2021 absichtlich im Gesicht schwer verletzt zu haben.
Dass Rüdiger diese Unmutsbekundungen scheinbar kalt ließen und er nebenbei Top-Scorer Erling Haaland komplett abmeldete, brachte die City-Fans der Verzweiflung nahe. Die spanischen Medien gerieten hingegen ins Schwärmen: "Der größte Verrückte des Weltfußballs hielt wieder einmal eine Verteidigungsvorlesung für den trockenen Haaland", jubelte die "Marca".
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Haaland über 180 Minuten ausgeschaltet
Auch Rüdigers Teamkollegen waren begeistert. "Er hat ja letztes Jahr schon angedeutet, wie man gegen Stürmer wie Haaland spielen kann. Das hat er jetzt bestätigt - und zwar über 180 Minuten", lobte Toni Kroos, um gleich zu ergänzen: "Ich glaube, in solchen Spielen wird Haaland auch nicht oft ausgewechselt. Dass das geschehen ist, ist ein großer Verdienst von Antonio." Überhaupt gebe "Rüdiger der Mannschaft sehr, sehr viel viel", sagte Kroos weiter.
Eine solche Entwicklung hatten dem heute 31-Jährigen zu Beginn seiner Karriere nur die wenigsten zugetraut. Den gebürtigen Berliner umwehte lange Zeit der Ruf, das Leben und den Job etwas zu leicht zu nehmen. So stand das Spiel des hochveranlagten Verteidigers in seiner Bundesligazeit beim VfB Stuttgart zwischen 2012 und 2015 eher für Leichtsinnsfehler statt für seriöse Abwehrarbeit.
Erst auf seinen erfolgreichen Stationen bei AS Rom (2015 bis 2017) und dem FC Chelsea (2017 bis 2022) änderte sich etwas an der Meinung über Rüdiger. Zumindest international erhielt er den Respekt, den er eigentlich schon lange verdient hat.
Hierzulande suchten die Experten selbst nach grandiosen Leistungen wie beim Champions-League-Sieg mit dem FC Chelsea ein Haar in der Suppe. Rüdigers extrovertierte Art passt in Deutschland einfach nicht ins Wunschbild des seriös arbeitenden Innenverteidigers.
Showmätzchen, wie der übertriebene Kniehebellauf bei der deutschen WM-Auftaktniederlage 2023 gegen Japan, verfestigten zuletzt das Bild des überheblichen Fußball-Profis. Bei den Fan-Bundestrainern in den deutschen Wohnzimmern hatte Rüdiger auch wegen solcher Aktionen noch nie einen leichten Stand.
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Das Wichtigste in Kürze
Rüdiger genießt bei Real hohen Stellenwert
Mit dem fortgeschrittenen Alter lässt aber auch Rüdigers Impulsivität nach, ohne dass seine Dynamik in den Zweikämpfen darunter leidet. Vielmehr hat Rüdiger seine Fehlerquote im Aufbauspiel seit seinem Wechsel zu Real Madrid im Sommer 2022 noch einmal deutlich reduziert.
Es ist vermutlich die Ausstrahlung des erfolgreichsten Klubs der Welt und dessen Trainer Carlo Ancelotti, die auch Rüdiger - bei aller Verrücktheit - auf den Pfad der Seriosität gebracht hat.
Dass Rüdiger bei Real ein echter Führungsspieler ist, der intern einen hohen Stellenwert genießt, wird allein schon dadurch klar, dass er im Elfmeterschießen als fünfter und entscheidender Schütze antrat.
Julian Nagelsmann wird die Entwicklung seines Abwehrchefs freuen. Er setzt seit seinem Amtsantritt voll und ganz auf Rüdiger und verteidigt ihn auch gegenüber seinen Kritikern.
Ob er das jetzt immer noch muss? Wohl kaum. Spätestens seit Rüdigers Auftritt in Manchester dürfte auch dem größten Zweifler klar sein, dass aus dem einstigen Wackelkandidaten ein echter Trumpf des DFB-Teams auf dem Weg zum EM-Titel geworden ist.