Politikum um den Nationalspieler
BVB und die Causa Emre Can: Ein Kapitän ohne sportlichen Wert?
- Aktualisiert: 10.11.2024
- 00:55 Uhr
- Chris Lugert
Emre Can ist von jeher ein Spieler, der enorm polarisiert. Bei Borussia Dortmund ist inzwischen aber ein regelrechtes Politikum um den Kapitän entbrannt.
Von Chris Lugert
Es war eine kleine Geste mit großer Wirkung. Die rechte Hand erst neben das Ohr geführt als Zeichen eines plappernden Mundes, kurz danach den Zeigefinger auf den Mund gelegt. Die Botschaft: Klappe halten!
Nach dem 4:2-Sieg von Borussia Dortmund gegen den 1. FC Heidenheim am vergangenen Freitag ging es vor allem um diese Szene von BVB-Kapitän Emre Can. Dieser hatte sich in der Nachspielzeit den Ball für den Elfmeter geschnappt und mit dem verwandelten Strafstoß das Spiel endgültig entschieden. Und als Torjubel anschließend besagte Geste gewählt.
Der beinharte Mittelfeldspieler ist rund um Borsigplatz und Brackel schon fast ein Politikum geworden. Gegen Heidenheim ließ Trainer Nuri Sahin seinen Kapitän erstmals in dieser Saison am Anfang auf der Bank, es folgte die spielerisch beste Vorstellung unter dem neuen Coach.
Nach zwei rumpelhaften Auftritten gegen Eintracht Frankfurt und bei Werder Bremen lief der Ball gegen Heidenheim plötzlich besser. Ob die Degradierung von Can damit zu tun hatte? Sein Ersatzmann Felix Nmecha spielte zumindest defensiv nur durchwachsen. Offensiv konnte er dem Spiel aber deutlich mehr geben als der 30 Jahre alte EM-Fahrer.
Die Frage, die sich auch vor dem Auftaktspiel in der Champions League beim FC Brügge am Mittwoch (21:00 Uhr im Liveticker) zwangsläufig stellt: Welchen sportlichen Wert hat Can für den BVB?
Das Wichtigste in Kürze
Im zentralen Mittelfeld ist Neuzugang Pascal Groß als Spielgestalter gesetzt, er gibt dem Spiel wichtige offensive Impulse, hält den Künstlern vorne um Julian Brandt oder Karim Adeyemi aber den Rücken frei und sorgt für Balance.
Daneben setzten die BVB-Bosse große Stücke auf den genesenen Nmecha, der fast die komplette Rückrunde der Vorsaison verletzt verpasste. Der 23-Jährige kam im Sommer 2023 für satte 30 Millionen Euro vom VfL Wolfsburg und galt damals als Säule für die Zukunft. Und daran hat sich nichts geändert.
BVB-Mittelfeld gut gefüllt: Can der Leidtragende?
So schwärmte Sportdirektor Sebastian Kehl zuletzt bei "Sky" in höchsten Tönen von Nmecha. "Ich bin total von diesem Spieler überzeugt", sagte Kehl, der betonte, dass er - sofern er gesund bleibt - "unfassbare Fähigkeiten" mitbringe. Vor allem die "Box-to-Box-Elemente" beim gebürtigen Hamburger seien besonders.
Zudem stehen noch Marcel Sabitzer und Youngster Kjell Wätjen im Kader, mit fünf Spielern für zwei Positionen herrscht beim BVB in der Zentrale fast schon ein Überangebot. Ist Can der Leidtragende?
Seine Reaktion nach seinem Treffer gegen Heidenheim kann durchaus als Beleg für eine gewisse Drucksituation gewertet werden. Nach dem Spiel erklärte er kryptisch, die Leute, die er mit seinem Jubel ansprechen wollte, wüssten, dass sie gemeint sind. Es seien jedenfalls nicht die "echten Fans" gewesen. Was darauf schließen lässt, dass er andere Fans meinte.
In Zeiten des Internets und der sozialen Medien werden Fußballer schnell zur Zielscheibe von Beleidigungen und überzogener Kritik. Auch Can bleibt aufgrund seiner Spielweise davon nicht verschont. Bei der Wahl zum Nationalspieler des Jahres 2023 wurde sein Name zum Running Gag. Er gewann die Auszeichnung, aber nicht aufgrund ehrlicher Wertschätzung.
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Kehl über Can: "Unglaubliche Akzeptanz"
"Ich sehe es schon so, dass ich manchmal ungerecht behandelt werde. Ich habe eine gute EM gespielt, bis auf ein Spiel habe ich immer gespielt. Ja, im Pokal war meine Leistung nicht so gut. Und ich bin der Kapitän, ich weiß, dass ich für vieles meinen Kopf hinhalten muss. Aber es sollte schon gerecht sein", sagte Can ungewohnt offen auf der Pressekonferenz vor dem Spiel in Brügge.
Auch Kehl sieht, dass Can das Thema umtreibt. "Emre ist jemand, der sich sehr viele Gedanken macht, manchmal vielleicht sogar zu viele", sagte er. Can neige dazu, es allen recht machen zu wollen. "Er will überall helfen und Verantwortung übernehmen. Manchmal muss man versuchen, ihm auch diesen Druck zu nehmen", fuhr der frühere BVB-Kapitän fort.
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Can steht fußballerisch nicht gerade für die feinste Klinge. Eine Eigenschaft, die - so sollte man meinen - gerade im Ruhrpott auch nicht die wichtigste ist. Er verkörpert Maloche, doch die BVB-Fans erwarten von ihren Spielern inzwischen deutlich mehr, was der Nationalspieler nicht immer liefern kann. Seine Mentalität aber ist unbestritten.
Can sei ein Spieler, der versuche, "mit ehrlicher Arbeit, mit Akzeptanz für diesen Klub zu stehen", schilderte Kehl. Er habe eine "unglaubliche Akzeptanz in der Kabine, sein Wort hat Gewicht", betont Kehl die Stellung von Can in der BVB-Hierarchie.
Sahin setzte mit Blick auf die zuletzt geäußerte Kritik an Can zu einer wahren Lobeshymne auf seinen Spielführer an. "Emre ist, wie er ist. Und ich bin froh, dass er so ist. Jeder Mensch hat seine Stärken und Schwächen. Ich mag den Menschen Emre, ich mag den Spieler Emre. Wir reden tagtäglich. Natürlich will Emre jedes Spiel spielen, das wollen andere Spieler aber auch", sagte Sahin.
Ersatzbank für Can? Das spricht für den Kapitän
Doch wird Can am Ende dennoch ein Kapitän ohne Spielminuten? Sein großer Vorteil ist seine Flexibilität. Er kann nicht nur im Mittelfeld, sondern auch in der Abwehrzentrale spielen. Mit nur drei gestandenen Innenverteidigern sind die Dortmunder auf dieser Position recht dünn besetzt.
Und auch davon abgesehen glaubt Kehl fest daran, dass Can im Saisonverlauf eine wichtige Rolle spielen wird. "Der Trainer hat bereits angekündigt, dass wir aufgrund der Anzahl der Spiele rotieren werden, und deshalb brauchen wir erwachsene Spieler, die nicht nur das eine Spiel sehen, sondern das große Ganze", sagte er. Man werde "alle brauchen".
Can selbst sieht seine Rolle im BVB-Kader recht entspannt. "Konkurrenzkampf ist immer gut", so der 48-malige Nationalspieler. Seine Jokerrolle gegen Heidenheim sei für ihn "gar kein Problem" gewesen, die Mannschaft "steht über allem". Er versuche, bei seinen nächsten Einsätzen mit Leistung zu überzeugen, um anschließend öfter zu spielen.
Damit er im Saisonverlauf noch genügend Gelegenheiten bekommt, seine Kritiker zum Schweigen zu bringen. Aber nicht nur durch Gesten.