Drei Teams, null Tore
Champions League: Ohne Stürmer geht es nicht - ein Kommentar
- Aktualisiert: 13.04.2023
- 06:44 Uhr
- ran.de
Die erste Hälfte der Champions-League-Viertelfinals ist gespielt, ein übergreifendes Fazit lässt sich nach diesen vier Spielen bereits ziehen: Die falsche Neun ist tot, lange lebe der echte Stürmer. Ein Kommentar.
Von Chris Lugert
Es war die wohl widersprüchlichste Eheschließung zwischen Trainer und Spieler, die es seit langer Zeit gab. Erling Haaland, der Prototyp eines kantigen, bulligen Strafraumstürmers, wechselt zu Pep Guardiola - jenem Trainer, dem durchaus eine Allergie gegen exakt jenen Spielertyp nachgesagt wurde.
Guardiola war es einst, der beim FC Barcelona die "falsche Neun" einführte - mit Erfolg, dank Lionel Messi. Barca und Pep, das stand für Zauberfußball. Andere Klubs ließen sich inspirieren und es entbrannte eine Debatte, ob der klassische Mittelstürmer möglicherweise vom Aussterben bedroht sei, wie einst der Libero.
Knapp 15 Jahre nach den ersten Auswüchsen dieser seltsamen Entwicklung feiert der Mittelstürmer ein beeindruckendes Comeback. Und ausgerechnet die Champions League, der Treffpunkt der Größten des europäischen Fußballs, wird zur Bühne dieser Wiederauferstehung. Nun ist es die falsche Neun, die auf dem Sterbebett liegt.
Bayern, Chelsea, Neapel - keine Stürmer, keine Tore
Die Viertelfinals sind erst zur Hälfte gespielt, doch schon jetzt lässt sich ein klarer Trend erkennen: Ohne echten Stürmer hat ein Klub in dieser Saison keine Chance auf den Henkelpott. Drei der acht Teams gingen ohne gelernten Zentrumsstürmer in ihre Duelle: der FC Bayern, der FC Chelsea und die SSC Neapel. Torausbeute dieser drei Klubs? Null Tore, drei Niederlagen.
Die Gründe waren dabei unterschiedlich. Napoli hat natürlich Victor Osimhen, aber der Nigerianer fehlte im Spiel bei der AC Mailand verletzt. Und schon klappte in der - mit Osimhen - vielleicht spektakulärsten Offensive Europas nichts mehr. Auch den Bayern fehlte beim Gastspiel bei Manchester City in Eric Maxim Choupo-Moting ihr einziger Stürmer verletzt, aber generell mangelt es im Bayern-Kader an Qualität im Sturmzentrum.
Und Chelsea? Die "Blues" haben seit vergangenem Sommer gefühlt 50 Spieler gekauft, ein Stürmer von Weltformat war allerdings nicht dabei. Kai Havertz macht es gut, aber seine Paradeposition ist es nicht. Im Auswärtsspiel bei Real Madrid saß der deutsche Nationalspieler dann sogar auf der Bank, im Sturm spielten Raheem Sterling und Joao Felix.
Felix war es, der nach zwei Minuten die große Chance zur Führung vergab. Bei den Bayern war Serge Gnabry kaum zu sehen, Leroy Sane glänzte wie zuletzt häufiger im Auslassen von guten Chancen. Und bei Napoli traf Khvicha Kvaratskhelia nach einer Minute das leere Tor nicht, er legt die Bälle halt doch meist auf für Osimhen. Mit echten Stürmern wären die Spiele vermutlich anders ausgegangen.
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Lang lebe der Mittelstürmer!
Stattdessen schlug die Stunde von Karim Benzema und eben Haaland. Wie immer, möchte man meinen. Denn beide treffen in dieser Saison verlässlich, so wie auch im Vorjahr. Und im Jahr davor. Und in dem davor. Sie verleihen ihren Teams eine Qualität, die einst vergessen schien, aber inzwischen eine Renaissance erlebt.
Kein Wunder, dass der Stürmermarkt derzeit völlig überhitzt ist. Die Bayern haben erkannt, dass die Idee, Robert Lewandowski nicht zu ersetzen, ungefähr so sinnvoll war, wie die Entlassung des Trainers in der entscheidenden Phase der Saison. Aber das ist ein anderes Thema.
Im Sommer soll jetzt ein neuer Neuner kommen. Osimhen, Randal Kolo Muani, Goncalo Ramos, Harry Kane - wer auch immer es wird: Er hat das Toreschießen im Blut. Und das braucht eine Top-Mannschaft heute, vielleicht mehr denn je.
Selbst Pep hat das inzwischen eingesehen und verzichtet kaum noch auf Haaland. Der Norweger wiederum zahlt es mit Rekorden im Überfluss zurück. Haaland und Pep - eine Traumehe, die keiner erwartet hätte. Lang lebe der Mittelstürmer!