Champions League, 3. Spieltag
FC Bayern bei Galatasaray - Gala-Boss Fatih Demireli im ran-Interview: "Wenn man etwas ändern muss, schaut man hier nach Deutschland"
- Aktualisiert: 24.10.2023
- 12:38 Uhr
- Martin Volkmar
Im ran-Interview spricht Fatih Demireli, "Director Research and Development" bei Galatasaray Istanbul, über seine Zeit im Sportjournalismus, den Wechsel in die Führungsebene beim türkischen Top-Klub, Transferverhandlungen und die Bedeutung des Champions-League-Duells mit dem FC Bayern.
Aus Istanbul berichtet Martin Volkmar
Für Fatih Demireli ist das Champions-League-Duell zwischen Galatasaray Istanbul und Bayern München "das Spiel meines Lebens" (ab 18:45 Uhr im Liveticker auf ran.de und in der ran-App).
Der Deutsch-Türke ist in München geboren und aufgewachsen und hat dort auch bis Oktober 2022 gelebt und als Sportjournalist gearbeitet.
Dann änderte sich sein Leben praktisch über Nacht, als ihm sein Lieblingsverein, der türkische Rekordmeister Galatasaray Istanbul, einen Job in der Klubführung anbot – und der 40-Jährige annahm.
Vor dem Aufeinandertreffen mit dem FC Bayern spricht Demireli bei ran über seinen Seitenwechsel, seine neuen Aufgaben, den deutschen Fußball als Vorbild für den türkischen und seine ersten Transferverhandlungen.
ran: Sie sind in München geboren, aber schon immer Galatasaray-Fan. Wie kam es dazu?
Fatih Demireli: Ich bin als Kind schon sehr früh mit meinem Papa zu Bayern gegangen. Aber als ich mit acht, neun Jahren zum ersten Mal bei Galatasaray war, war ab da alles Gala in meinem Leben.
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ran: Wann waren Sie dort das erste Mal im Stadion?
Fatih Demireli: Jedes Jahr in den Sommerferien sind wir mit den Eltern für vier Wochen nach Istanbul zu den Großeltern und haben dort Urlaub gemacht. Aber für mich stand vor allem immer der Stadionbesuch im Vordergrund. Das war für mich als kleiner Junge im alten Stadion natürlich etwas ganz Besonderes. Mein Vater war ja schon immer Gala-Fan. Er hat früher in Deutschland die Spiele immer über ein altes Funkradio live verfolgt. Und er hat mich auch zum ersten Mal mit ins Stadion genommen und seitdem war es eigentlich die große Liebe.
ran: Sie haben ab Mitte der 2000er erste Schritte im Sportjournalismus gemacht bei "Sport1", haben danach für "bundesliga.de" und "Spox" gearbeitet. Wie kam der engere Kontakt zum türkischen Fußball zustande?
Fatih Demireli: Ich habe natürlich auch immer über türkischen Fußball geschrieben und irgendwann bin ich dann von den türkischen Medien entdeckt worden, für die ich aus der Bundesliga berichtet habe. Ich war dann auch regelmäßig im türkischen Radio und Fernsehen als Experte dabei und irgendwann der "Mister Deutschland", also der erste Ansprechpartner für die dortigen Medien. Ich glaube, meine eher zurückhaltende und sachliche Art ist ganz gut angekommen.
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Fatih Demireli: "Fußballerische Ausbildung in Deutschland genießt sehr guten Ruf"
ran: Wie ging es weiter?
Fatih Demireli: Ab 2008 ungefähr haben dann die ersten Vereine angerufen und mich nach meiner Meinung gefragt, wenn sie einen Spieler aus dem deutschsprachigen Raum verpflichten wollten. So bin ich auch erstmals direkt mit Galatasaray in Kontakt gekommen. Es gab damals auch schon die Möglichkeit, mehr in diesem Bereich tätig zu werden. Aber ich fühlte mich als Journalist durch und durch, weil ich das immer werden wollte und das einfach gerne gemacht habe. Also habe ich geholfen, wenn ich irgendwie helfen konnte, aber ohne die journalistische Distanz zu verlieren.
ran: Sind Sie auch deshalb so in den Fokus geraten, weil Deutschland der zweitwichtigste Markt für den türkischen Fußball ist?
Fatih Demireli: Ja, die Nationalmannschaft schaut immer nach Talenten mit türkischen Wurzeln, aber eben auch die Vereine, weil die fußballerische Ausbildung in Deutschland einen sehr guten Ruf genießt. Das gilt aber auch ganz grundsätzlich in der türkischen Gesellschaft, in der die Deutschen immer einen besonderen Stellenwert in allen Belangen hatten und haben. Deutschland gilt einfach als Qualitätsmerkmal. Beim Auto und beim Staubsauger, aber eben auch beim Fußball. Du hast immer Deutsche gehabt, die hier super funktioniert haben und die sich auch immer wunderbar in diese Kultur eingelebt haben. Ob es Jupp Derwall, Christoph Daum, Jogi Löw, Stefan Kuntz oder Toni Schumacher waren. Und fast immer haben sie hier etwas hinterlassen. Und deshalb schaut man hier oft, wenn man etwas ändern muss, nach Deutschland.
ran: Sind Sie deshalb bei Galatasaray gelandet?
Fatih Demireli: Auch. Schon bei der ersten Kontaktaufnahme ging es um Nachhaltigkeit, gerade im Nachwuchsfußball. Die Deutschen haben vielleicht mal hier und da eine Delle, aber sie schaffen es trotzdem immer wieder, aus solchen Tälern gestärkt herauszukommen. Deshalb war das immer ein Thema bei unseren Gesprächen und irgendwann hat sich dann das zu einem Job entwickelt.
Galatasaray holte Fatih Demireli aus dem Urlaub nach Istanbul
ran: Das heißt, trotz des vielen Gemeckers hierzulande sind die Deutschen immer noch gern gesehen in der Türkei?
Fatih Demireli: Ja, extrem gern gesehen. Es gibt sehr große Sympathien für die Deutschen hier. Ich glaube, das kann auch jeder Deutsche, der mal hier war, bestätigen. Wenn die Türken merken, dass sie ernst genommen werden, dann geben sie einem viel zurück. Und das ist bei den Deutschen immer so gewesen. Und deshalb gibt es auch das Sprichwort: Beginne es wie ein Türke, beende es wie ein Deutscher. Also die Verbundenheit ist schon sehr groß.
ran: Sie haben von 2016 bis 2020 als Chefredakteur das Sportmagazin "Sokrates" geleitet und nach dessen Ende als freiberuflicher Journalist gearbeitet, daher kam der Wechsel auf die Funktionärsebene im Oktober 2022 zumindest für viele in Deutschland überraschend.
Fatih Demireli: Nachdem es bei "Socrates" nicht mehr weiterging, gab es verschiedene Optionen, unter anderem eben auch der Wechsel in die Spielerberaterszene. Aber ich wollte dem Journalismus eigentlich treu bleiben. In der Türkei habe ich dann in der Phase als TV-Experte jeden Montag für einen großen Sender gearbeitet und wenn ich vor Ort war, war ich auch im Studio zu Gast.
ran: Wie kam es zur Kontaktaufnahme?
Fatih Demireli: Eigentlich kam das aus heiterem Himmel. In der letzten Juliwoche klingelte mein Telefon und Vizepräsident Erden Timur hat sich vorgestellt. Ab da haben wir eigentlich angefangen, ständig zu telefonieren, Ideen ausgetauscht und auch über Transfers gesprochen. Ich habe aber zunächst gesagt, ich bin Journalist, ich kann nicht irgendwelche Sportdirektoren oder Berater im Auftrag von Gala anrufen. Das kann ich mit meinem Job nicht vereinbaren. Ich bin dann in den Urlaub gefahren in die Türkei, doch ab dem Moment, wo ich im Hotel gelandet bin, hat mein Telefon angefangen, zu klingeln und nicht mehr aufgehört. An Urlaub war da nicht mehr zu denken. Ich hatte schon das Ticket für den Zug zurück nach München, aber ich bin stattdessen nach Istanbul geflogen und seitdem auch nie wieder weg. Es ging dann relativ schnell mit dem konkreten Angebot. Im Oktober letzten Jahres habe ich den Vertrag unterschrieben und saß unmittelbar danach im Mannschaftsbus auf den Weg zum Spiel. Seitdem bin ich offizieller Mitarbeiter.
Ich bin dann in den Urlaub gefahren in die Türkei, doch ab dem Moment, wo ich im Hotel gelandet bin, hat mein Telefon angefangen, zu klingeln und nicht mehr aufgehört.
Galatasaray-Boss Fatih Demireli im ran-Interview, 2023
Demireli über Galatasaray-Job: "Habe quasi bei null angefangen"
ran: Im Fußballgeschäft kann es ja manchmal sehr schnell gehen. Hat Sie dieses Risiko nicht abgeschreckt oder haben Sie sich einen Traum erfüllt?
Fatih Demireli: Sicherlich war der Schritt auf die andere Seite eine Riesenumstellung. Aber ich kannte Istanbul, habe Familie hier und meine Frau ist auch gleich hierhin mitgekommen. Das war für sie auch nicht einfach, sie ist ja meinetwegen schon von Wien nach München gezogen und als sie sich da einigermaßen eingelebt hatte, ging es nach Istanbul – das ist natürlich nochmal ganz was anderes. Ich bin ihr also sehr zu Dank verpflichtet für Ihre Unterstützung, weil sie mich immer in meiner Entscheidung unterstützt hat. Immerhin ist sie auch Gala-Fan.
ran: Wie war die erste Zeit?
Fatih Demireli: Ich habe quasi bei null angefangen, weil ich so einen Job vorher noch nie gemacht hatte. Es ging ja nicht um einen Job im Medienbereich von Galatasaray, sondern einen komplett anderen Bereich, wo ich mich erstmal reinkämpfen musste. Aber ich wollte mir selbst beweisen, dass ich das kann. Der Verein ist ja so groß und bedeutend, dass jeder erstmal darauf guckt, was der Neue macht. Und natürlich besteht immer die Gefahr, egal in welchem Verein der Welt, seinen Job zu verlieren. Aber das habe ich alles in Kauf genommen, weil ich mir nicht irgendwann vorwerfen wollte, so eine Chance bei meinem Klub nicht genutzt zu haben.
ran: Worin lag der Reiz?
Fatih Demireli: Ich hatte das Gefühl, im Journalismus alles gemacht zu haben. Ich bin dieses Jahr 40 Jahre alt geworden und habe die Chance gesehen, einfach eine komplett neue Perspektive kennenzulernen und das in einem Umfeld, was mir, glaube ich, Spaß machen kann. Und ich bin auch jemand, der immer die Herausforderung gesucht hat. Ich kann mich erinnern, als ich 2016 entschieden habe, mit "Sokrates" ein Magazin auf den Markt zu bringen, haben mich auch einige für wahnsinnig erklärt. Aber ich hatte ein gutes Gefühl und bin froh, dass ich es gemacht habe. Und so ist es auch jetzt. Ich habe die Entscheidung keine Sekunde bereut, ganz im Gegenteil.
ran: Wie lautet Ihr genauer Titel und was sind Ihre Aufgaben?
Fatih Demireli: Mein offizieller Titel ist "Director Research and Development", also Direktor für Entwicklung und Forschung. Die Grundidee dahinter war, zu schauen: Wie machen es die Deutschen, wie entwickeln sie sich weiter und welche Mechanismen werden eingesetzt, um dauerhaft Erfolg zu haben? Und genau das war ja auch das Problem des türkischen Fußballs. Talente sind ja mehr als genug da, aber das Problem war immer, die richtige Struktur zu finden. Und genau das war die Idee des Vereins, deshalb gehört gerade die Nachwuchsakademie zu einer meiner wichtigsten Aufgaben. Zusammen mit dem ehemaligen Bundesligacoach Marco Pezzaiuoli, den wir genau dafür geholt haben. Aber auch bei den Profis ist es das Ziel bei Gala, nachhaltiger und beständiger zu arbeiten.
ran: Aber Sie machen auch Transferverhandlungen?
Ja, das hat sich so entwickelt. Wenn man an den Spielern interessiert ist und einen Draht zu den Spielern oder zu ihren Umfeldern hat, liegt es natürlich nahe, diese Gespräche zu führen. Gerade bei Spielern mit deutschem Background wie Kaan Ayhan, Kerim Demirbay oder Eyüp Aydin vom FC Bayern habe ich die Gespräche geführt. Es war eine völlig neue Erfahrung, mit erfahrenen Sportdirektoren zu verhandeln, die sich nicht in die Karten schauen lassen. Mit jedem Transfer habe ich ein besseres Gefühl dafür bekommen und es macht auch Spaß, aber man hat natürlich auch eine große finanzielle Verantwortung. Dieses Pokern um jeden Euro war definitiv "learning by doing".
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ran: Können Sie ein Beispiel nennen?
Fatih Demireli: Mein erstes Gespräch war damals über Kaan Ayhan mit dem Sportdirektor von Sassuolo. Eigentlich ein Supertyp, aber wenn es ums Geschäft geht, knallhart. Wenn ich mich erinnere, wie ich mich damals verhalten habe, ist es schon ein sehr großer Unterschied. Ich habe mich da auch weiterentwickelt, weil ich zum Beispiel gelernt habe, Nein zu sagen und meinen Standpunkt zu vertreten.
ran: Haben Sie einen Plan, ob Sie nochmal etwas anderes machen wollen oder würden Sie am liebsten bis zur Rente bei Gala bleiben?
Fatih Demireli: So wie es bisher gelaufen ist und so wie ich mich jetzt fühle, möchte ich eigentlich nichts anderes machen. Ich fühle mich sehr, sehr wohl im Klub und verstehe mich sehr gut mit den Leuten, mit denen ich arbeite, und habe auch einen sehr guten Draht zur Mannschaft und zum Cheftrainer. Natürlich stößt man dann auch gewisse Dinge an und möchte auch sehen, wie sie sich entwickeln. Klar kann es im Fußball immer ganz anders kommen als geplant, aber ich lasse mich nicht von Dingen ablenken, die ich eh nicht beeinflussen kann. Ich kann nur gute Arbeit abliefern und dann schauen, was passiert. Aber Gala ist da auch anders als manch anderer Verein dieser Größenordnung. Hier gibt es viele langjährige Mitarbeiter, die schon manchen Vorstand überlebt haben.
ran: Ist das Duell mit Bayern ein besonderes Spiel?
Auf jeden Fall. Ich war als Kind Fan und später beruflich mit Bayern viel unterwegs und dem Verein immer verbunden. Ich versuche, heute noch jedes Spiel zu schauen. Ich muss aber auch sagen, dass ich dieses Los nicht wollte. Weil ich einfach wusste, dass ich dann wahrscheinlich mehr als 500 Ticketanfragen alleine aus München habe. Und genau so ist es auch gekommen. Aber auf der anderen Seite hat die Begegnung natürlich einen enorm hohen sportlichen Wert und ist deshalb etwas ganz Besonderes. Gerade bei den Türken in München ist das Spiel omnipräsent, da zahlen manche 3000 Euro für eine Karte. Auch für mich als Münchner Türke ist es das Spiel meines Lebens.
Fatih Demireli: Aktuell ist Galatasaray amtierender Meister, hat das Derby gegen Besiktas gewonnen und ist gut in die Champions League gestartet. Wie sehen Sie die Chancen am Dienstag?
ran: Statistisch und historisch gesehen liegt die Favoritenrolle klar bei den Bayern. Sie haben einfach eine Riesenerfahrung in der Champions League und hohe Qualität im Kader, zudem in Thomas Tuchel einen Topmann auf der Trainerbank. Daher sind sie ein natürlicher Favorit auf den Champions-League-Titel. Aber wir haben mit unserem Sieg in Manchester gezeigt, dass wir auch ein Topteam mit vielen erfahrenen Spielern wie Icardi, Ziyech, Muslera oder Saha haben. Unser erklärtes Ziel ist das Weiterkommen und deshalb gehen wir als Gala in jedes Spiel, um es zu gewinnen. Auch gegen Bayern München – gerade zu Hause vor unserem fantastischen Publikum. Aber dazu muss schon alles richtig zusammenkommen und wunderbar passen.