Champions League
FC Bayern München: Wie viel Reaktion hat der FCB in Manchester wirklich gezeigt?
- Aktualisiert: 14.12.2023
- 09:41 Uhr
- Justin Kraft
Zwischen der 1:5-Niederlage in Frankfurt und dem 1:0-Sieg in Manchester wurde viel über den FC Bayern München debattiert. Mit dem Sieg in der Champions League zeigte der Rekordmeister aber eine Reaktion – oder?
In den Stunden zwischen der 1:5-Niederlage in Frankfurt und dem Anpfiff im Old Trafford wurde in Deutschland viel darüber debattiert, wie der FC Bayern München reagieren würde. "Es gibt die Gelegenheit, auf einer der größten Bühnen der Welt eine Reaktion zu zeigen", erklärte Thomas Tuchel im Vorfeld.
Viel Enttäuschung, viel Ernüchterung war in den Worten des FCB-Trainers zu erkennen. Wenig von der so gern zitierten Wut. Wütende Bayern, so eine berühmte Erzählung, sind gefährliche Bayern. Auch Thomas Müller forderte, dass der "Wut-Motor" jetzt anspringen müsse.
Nicht wenige hätte es wohl verwundert, hätten die Münchner in England zu einem Sturmlauf angesetzt. Gerade gegen ein Manchester United, das in dieser Saison abermals stark verunsichert ist und vor der letzten Partie in der Gruppenphase der Champions League mit dem Rücken zur Wand stand.
Von Wut aber war nichts zu spüren. Sachlich, ruhig, man könnte von Souveränität sprechen: Mit einem schmalen 1:0-Erfolg rundet der FC Bayern eine fast perfekte Gruppenphase ab. "Die Reaktion haben wir heute gezeigt", analysierte ein zufriedener Manuel Neuer hinterher bei "Prime Video".
Das Wichtigste zum FC Bayern in Kürze
Doch wie befreiend war dieser Auswärtssieg in der Königsklasse wirklich? Wie viel Reaktion haben die Bayern auf den desolaten Auftritt in Frankfurt gezeigt?
FC Bayern München: Probleme lösen sich nicht in Luft auf
"Wir dachten, wir wären schon weiter und sind eines Besseren belehrt worden auf brutale Weise", sagte Tuchel vor dem Spiel in Manchester. Frankfurt hatte die Fragilität einer Mannschaft offenbart, die in den letzten Jahren vor allem eines hat vermissen lassen: Konstanz.
Dass sich die am Wochenende gezeigten Probleme aber mit einem 1:0 bei Manchester United nicht einfach in Luft auflösen, konnte man auch am Dienstagabend beobachten. "ManU hat es gut gemacht", gab Neuer zu: "Gerade mit dem Pressing auf die Innenverteidiger. Es war gar nicht so einfach, unser Positionsspiel und Aufbauspiel durchzuziehen."
Die Red Devils pressten nicht dauerhaft hoch, hatten aber in der ersten und zweiten Halbzeit jeweils Phasen, in denen sie zu einigen Ballgewinnen in der Hälfte der Bayern kamen. Zwar machte das Team von Tuchel diesmal vermutlich nicht die viel zitierten "22 kritischen Fehler", doch sattelfest wirkte der Aufbau nicht.
Abhilfe schafften Jamal Musiala und auch Harry Kane, die sich mehrfach tief fallen ließen, um weitere Anspielstationen anzubieten. In der ersten Halbzeit war das der Schlüssel, um eine offene Anfangsphase unter Kontrolle zu bringen.
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FC Bayern offensiv zu harmlos
Doch das verursachte weitere Probleme: Es dauerte oft zu lange, bis das Sturmzentrum wieder besetzt wurde. Kanes Wege wurden länger, seine gefährlichen Aktionen im Angriffsdrittel waren überschaubar.
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Bayerns Spiel im letzten Drittel war ohnehin sehr fehleranfällig. Zur Halbzeit analysierte "Prime Video"-Experte Matthias Sammer richtigerweise, dass die Münchner offensiv viele Räume hätten, daraus aber viel zu wenig machen würden. Das lag nicht daran, dass sie diese nicht erkannt oder bespielt hätten. Viel mehr war die Entscheidungsfindung ein Problem – wie schon so oft in der Vergangenheit.
Der berühmte letzte Pass kam in vielen Situationen nicht an. Trotz klarer Überlegenheit erspielte sich das Tuchel-Team kaum hochkarätige Chancen. Aufwand und Ertrag passten nicht zusammen.
In den letzten Monaten war das schon mal besser. Es schien, als würde das Zusammenspiel von Woche zu Woche besser werden. Lösungen, das zeigten die Bayern auch in Manchester, sind da. Doch es ist Sand ins Getriebe gekommen. Für Tuchel ist es eine sehr wichtige Saisonphase. Erstmals muss er in dieser Spielzeit durch ein spürbares Formloch gehen.
FC Bayern zeigt dennoch eine Reaktion
Insofern war die Partie in Manchester aber eben doch eine recht klare Reaktion. "Es war alles da", sagte Tuchel anschließend. Er sprach sogar vom "besten Spiel, das wir in der Gruppenphase gemacht haben". Wie passt das mit dem fehlerhaften Offensivspiel und den Problemen unter Pressingdruck zusammen?
Tuchel hat andere Qualitäten seiner Mannschaft bestaunen dürfen, die nach einer 1:5-Niederlage in Frankfurt entscheidender waren: Wille, Laufbereitschaft, eine resolute Zweikampfführung und ein trotz der Schwierigkeiten abgeklärter Auftritt. Für den Bayern-Trainer war es nicht wichtig, dass sein Team einen wütenden Offensivlauf hinlegt.
Das Risiko, von United ausgekontert zu werden, wäre zu groß und die Verunsicherung vielleicht schnell wieder da gewesen. Stattdessen ließen die Bayern den Ball meist unspektakulär, aber dennoch souverän laufen.
"Wir haben eine stabile Achse auf dem Platz gehabt", sagte Neuer. Stabilität ist etwas, was sich Tuchel auf die Fahne geschrieben hat. Umso mehr dürfte es alle Beteiligten überrascht haben, was am Wochenende passiert ist.
FCB beweist Moral! Thomas Tuchel hochzufrieden
In Manchester aber hat das Team schon deshalb Moral bewiesen, weil auch dort nicht alles von Beginn an funktioniert hat. Man hat sich in die Partie arbeiten, Ballverluste als Team auffangen müssen. Tuchel sah eine Mannschaft, die anders als in Frankfurt bereit war, gemeinsam durch schwierige Phasen zu gehen – und war vermutlich deshalb auch so überschwänglich zufrieden.
Fußballerisch, das weiß der FCB-Coach selbst, ist noch viel Luft nach oben. Doch nach den Ereignissen in Frankfurt war es wichtig, das Vertrauen in die eigenen Stärken wiederherzustellen. Das ist dem FC Bayern zweifellos gelungen.
Kritik am Spielstil der Münchner rührt auch daher, dass sie in den letzten Jahren unter Hansi Flick und Julian Nagelsmann mitunter spektakulären Offensivfußball mit hoher Risikobereitschaft zeigten. Diese Zeiten sind mit Tuchel vorbei. Für ihn war die Leistung bei den Red Devils eine innere Genugtuung, ein Vergnügen. Hinten fast nichts zugelassen, vorn das entscheidende Tor kaltschnäuzig gemacht.
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Einen "Wut-Motor", wie es Müller formulierte, brauchte es dafür nicht. "Wir haben die Dinge klar und direkt angesprochen", sagte Tuchel. Seine Erkenntnis, dass das Team noch nicht so weit ist, wie man selbst dachte, ist auch nach dem 1:0-Sieg in Manchester noch zutreffend. Offensiv wäre auch ohne Risikoerhöhung mehr möglich gewesen.
Und doch ist die gezeigte Reaktion auf das Frankfurt-Debakel Balsam für die bayerische Seele. Dementsprechend ließ es sich auch CEO Jan-Christian Dreesen auf dem berühmten Bankett nicht nehmen, den Blick weit nach vorn zu richten: "Wir haben gezeigt, dass wir zu Recht einer der großen Klubs sind, die auch Ambitionen auf den Titel in der Champions League haben."
Aus den Stunden der Unsicherheit über eine Reaktion zwischen den beiden letzten Auftritten wurde damit recht schnell wieder das Selbstverständnis, das man von den Bayern gewohnt ist. Wie viel das alles wirklich wert ist, wird wahrscheinlich erst das wichtige Heimspiel gegen den formstarken VfB Stuttgart am Wochenende zeigen.