Champions League
Nach CL-Aus: Krise bei Juventus Turin mehr als nur ein Ronaldo-Problem
- Aktualisiert: 10.03.2021
- 16:54 Uhr
- ran.de / Daniel Kugler
Juventus Turin hinkt den eigenen Ansprüchen aktuell weit hinterher. In der heimischen Liga ungewohnt weit abgeschlagen, setzte es gegen den FC Porto ein unerwartet frühes Aus in der Champions League. Die Gründe für den Einbruch sind vielschichtig.
München/Turin - Juventus Turin hinkt den eigenen Ansprüchen aktuell weit hinterher. Neben dem kläglichen Ausscheiden in der Königsklasse nach Verlängerung im Viertelfinale gegen den FC Porto befindet sich der italienische Meister in der Seria A mit zehn Punkten Rückstand auf Tabellenführer Inter Mailand nur auf dem dritten Platz.
Nach Jahren der Dominanz wirkt das Team im ersten Jahr unter Trainer Andrea Pirlo ausrechenbar und verwundbar wie lange nicht mehr.
Herbe Kritik nach Porto-Ausgleich
Besonders das vorentscheidende 2:2 nach Freistoß für Porto brachte die Gemüter zum Kochen. Superstar Cristiano Ronaldo drehte sich beim Flachschuss weg und verschuldete so den Gegentreffer mit. Die Nachlässigkeit stand symbolisch für die magere Leistung des Superstars an diesem Abend.
"Ein unverzeihlicher Fehler", kritisierte TV-Experte und Ex-Juve-Coach Fabio Capello bei "Sky Sport Italia" und polterte: "Zu meiner Zeit hat man die Spieler ausgesucht, die in die Mauer gehen. Da durfte keiner dabei sein, der Angst vor dem Ball hat. Sie hatten Angst vor dem Ball und sind aus dem Weg gesprungen. Das ist unverzeihlich."
Wie auch gegen Porto wird vermehrt Kritik an den wiederholt einfallslosen Darbietungen von Pirlos Mannen laut. Viele Starspieler tauchen immer wieder ab. So stachen gegen die Portugiesen lediglich sc und der seit Wochen dominante Federico Chiesa heraus.
Capello knöpfte sich nach der Partie speziell die betagten Herren der alten Dame vor: "Man sieht nur die jüngsten Spieler, die in den schwierigen Momenten vorangehen und den Kopf hinhalten. In diesem Team sind Routiniers, die nur auftauchen, wenn sie gewinnen und nicht zu sehen sind, wenn sie verlieren."
Momentaufnahme oder grundsätzliches Mentalitätsproblem? Es deutet vieles auf Zweiteres hin.
Kritik an Ronaldo nimmt kein Ende
Die Kritik an der fehlenden Einstellung im Team wird nicht erst seit dieser Woche immer lauter. So titelte der "Corriere della Sera" bereits nach der Niederlage im Derby d'Italia gegen Inter vor Wochenfrist: "Diese Mannschaft hat weder eine führende Persönlichkeit noch eine Seele. Ronaldo glänzt nicht mehr. In den letzten drei Spielen hat er resigniert und ist nur noch ein ganz normaler Spieler".
Ein vernichtendes Urteil noch vor dem bisherigen Tiefpunkt der Saison, der sich aber mehr und mehr andeutete. Mit dem formschwachen Ronaldo hat die heimische Presse nun den Sündenbock gefunden.
Obwohl die Torquote bei CR7 durchaus weiter stimmt, taucht er grade in den großen Spielen in der Rückrunde ab. Gegen Porto blieb der 36-Jährige in beiden Partien torlos. Und auch in der Liga traf Ronaldo zuletzt - mit Ausnahme gegen den AS Rom - nicht mehr gegen die Top-Teams.
Wurde CR7 bei seiner Ankunft noch frenetisch gefeiert, sieht man seinen Input auf dem Platz mittlerweile immer kritischer. Ex-Nationalspieler Cassano konstatierte kürzlich in der "Corriere dello Sport": "Pirlo will ein Spiel aufbauen, hohen Druck und ein Positionsspiel zwischen den Linien. Und das bedeutet, dass Cristiano nicht viel am Spiel teilnimmt."
Ronaldo als Hauptschuldigen auszumachen, wäre dennoch zu einfach. Vielmehr legen grade die taktischen Ausführungen Cassanos den Finger in die Wunde und werfen unweigerlich die Frage nach Pirlos Spielidee auf - und ob der Coach dafür auch die geeigneten Spieler zur Verfügung hat.
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Passt der Kader überhaupt zu Pirlos Philosophie?
Ronaldos fehlende Bindung zum Spiel ist eine Sache. Richtig drücken tut der Schuhe aber eine Reihe weiter hinten. Denn gerade im zentralen Mittelfeld fehlt den Turinern die Konstanz und Klasse vergangener Tage.
Arthur, der vergangenen Sommer im Tausch für den langjährigen Mittelfeldanker Miralem Pjanic vom FC Barcelona nach Turin wechselte, war über weite Teile seiner Anfangszeit bei Juventus ein absoluter Schatten seiner selbst und brauchte lange Zeit, um sich auch nur ansatzweise im neuen System zurechtzufinden.
Mit Aaron Ramsey, Adrien Rabiot und Rodrigo Bentancur stehen daneben durchaus erfahrene und talentierte Spieler im Kader. Als wirklichen Leader im Pirlo-System hat sich bis dato aber keiner der Genannten nachhaltig aufgedrängt.
So verwundert es nicht, dass Youngster Weston McKennie, der nach Leihe mittlerweile fest von Schalke 04 verpflichtet wurde, sich binnen kürzester Zeit ins Team spielte und sehr seitdem häufig in der Startelf steht.
Die Probleme sind jedoch längst nicht nur auf einer Positionsgruppe auszumachen, sondern liegen deutlich tiefer.
Juventus fehlt die Weitsicht in der Transferpolitik
Die Transferpolitik der alten Dame über die Jahre war zuletzt immer häufiger gespickt mit teuren Transfers, die in der Mehrheit langfristig ihr Investment schuldig blieben.
Flügelflitzer Douglas Costa kam 2018 für 40 Millionen Euro und wusste anfangs zu überzeugen. Unter Pirlo spielte der Brasilianer dann keine Rolle mehr und wurde nach München zurückverliehen.
Ein weiteres Beispiel ist Costas Positionskollege Federico Bernardeschi, der ein Jahr zuvor für die gleiche Ablösesumme vom AC Florenz kam und seitdem nur selten über die Rolle eines Rotationsspielers hinauskommt.
Oder auch der ewige kommende Superstar Paulo Dybala. Ein zweifelsohne begnadeter Fußballer, der seine Qualitäten immer wieder durchblitzen lässt, sich aber auch unter mehreren Trainern nicht nachhaltig festspielen konnte.
Man könnte die Liste mit Blick auf die Transfer der vergangenen fünf Jahre problemlos fortführen.
Am Ende landet man dann aber unweigerlich wieder bei der Kritik von Capello und Cassano. Es wurde die letzten Jahre schlicht zu wenig auf Homogenität und Mentalität bei der Kaderzusammenstellung geachtet.
Und das muss der aktuelle Trainer nun ausbaden.
Quo vadis, Juventus?
Pirlos Rechtfertigungen nach Spielen wirken aktuell mehr wie leere Phrasen oder Durchhalteparolen als nach zielgerichteten Lösungsplänen. War es bei der Hinspielniederlage gegen Porto noch der Ansatz, der ab Minute eins falsch gewesen sei, konstatierte der 41-Jährige trotz langer Überzahl im Rückspiel, die Turiner hätten mit einem Mann mehr nichts falsch gemacht.
Schlüssig klingt das nicht. Wirklich verdenken will man es dem ehemaligen Mittelfeldstrategen Pirlo jedoch nicht - geht Juventus gerade dieser Tage doch ein ordnender Spieler seines Kalibers so dringend ab. So versucht der Übungsleiter noch das beste aus dem vorhandenen Spielermaterial herauszuholen und stellt sich schützend vor seinen Kader.
Die Ergebnisse sprechen jedoch Bände und zeigen die gefährliche Richtung, in die sich die langjährige europäische Großmacht über die Jahre entwickelt hat.
Daniel Kugler
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