Rettig neuer DFB-Geschäftsführer: Wie sich "Schweinchen Schlau" mit dem Establishment anlegt
Rettig vs. Establishment
Der DFB macht Andreas Rettig zum Bierhoff-Nachfolger und holt sich damit seinen schärfsten Kritiker der letzten Jahre ins eigene Haus. Der 60-Jährige ließ in der Vergangenheit kaum eine Gelegenheit aus, sich mit dem Establishment anzulegen.
"König der Scheinheiligen" als Heilsbringer
"König der Scheinheiligen", "Schweinchen-Schlau", "Zwecknostalgiker" - Rettig zieht immer wieder Unmut auf sich. Er selbst bezeichnet sich als Traditionalist, den die Kommerzialisierung im Profi-Fußball stört. Die WM in Katar boykottierte er öffentlichkeitswirksam. Zehn Monate später soll ausgerechnet er den DFB-Karren wieder aus dem Dreck ziehen.
Rettig muss ein Teamplayer sein
Das kann nur gutgehen, wenn die Polarisierung aufhört, sagte Grünen-Chef Omid Nouripour im "Doppelpass". "Wenn er sich nicht hinstellt, jetzt komme ich hier und erkläre euch allen, wie es geht. Wenn er ein Teamplayer ist." Das war er in der Vergangenheit nicht immer. ran zeigt eine Chronologie der Rettig-Streitigkeiten.
Rettig bei der DFL: Fans lieben ihn, Vereine weniger (2013-2015)
Nach Manager-Jahren im Vereinsfußball und Mitwirkung bei der Revolutionierung der Nachwuchsarbeit beim DFB Ende der 90er Jahre übernahm Rettig 2013 den Posten des DFL-Geschäftsführers. Unter seiner Führung verbesserte sich das Verhältnis zu organisierten Fangruppierungen. Mit dem ein oder anderen Verein und mit dem DFB stand er auf Kriegsfuß.
Rettig legt sich mit dem DFB an (2013)
Als der DFB 2013 nach Robin Dutts Abschied einen neuen Sportdirektor suchte, forderte Rettig Mitspracherecht und zog den Ärger von Präsident Wolfgang Niersbach auf sich: "Wenn nun ein Mann, der noch kein halbes Jahr bei der DFL angestellt ist, so ziemlich alles und jeden in unserem Verband infrage stellt, ist dies anmaßend und völlig unangebracht."
Rettig verweigert RB Leipzig die Lizenz (2014)
2014 verweigerte Rettig als DFL-Geschäftsführer RB Leipzig nach deren Aufstieg die Lizenz für die zweite Liga. Er fürchtete, der von Red Bull gesponserte Verein würde gegen die 50+1-Regel verstoßen. Eine Regel, die besonders Rettig sakrosankt ist. Weil der Lizenzierungsausschuss ihn damals überstimmte, durfte Leipzig auch ohne Rettigs Segen im Bundesliga-Unterhaus antreten.
Rettig verweigert RB Leipzig die Lizenz (2014)
Übrigens: Vorstandsboss bei RB war damals Oliver Mintzlaff. Vielleicht eine Erklärung dafür, warum der heutige Red-Bull-Chef Mintzlaff in der Nationalmannschafts-Taskforce unmittelbar nach Rettigs Ernennung das Handtuch warf.
Streit um Verteilung der TV-Gelder (2015-2019)
2015 löste Rettig auf eigenen Wunsch seinen Vertrag auf. Es zog ihn zurück zum Vereinsfußball und er heuerte als kaufmännischer Leiter beim Zweitligisten FC St. Pauli an. Besser dotierte Angebote aus der Bundesliga soll der Idealist abgelehnt haben. Konsequent ist er immerhin. In seiner Zeit in Hamburg legte er sich erneut mit dem Establishment an. Streitpunkt damals: Die TV-Gelder.
Rudi Völler vs. "Schweinchen-Schlau" (2015)
Rettig kämpfte für eine gerechtere Verteilung der TV-Gelder. Er stellte einen Antrag bei der DFL, wonach investorenunterstützte Vereine künftig keine TV-Gelder mehr erhalten sollen. Damit zog er auch Rudi Völlers Unmut auf sich. Der damalige Leverkusener Sportdirektor bezeichnete Rettig als "Schweinchen Schlau". Nach heftiger Kritik der Bundesliga-Klubs zog Rettig seinen Antrag wieder zurück.
"Schweinchen-Schlau" reloaded (2016)
Wenige Monate später unternahm Rettig einen zweiten Anlauf. Statt des DFL-Vorstandes sollten nun Mitglieder des Ligaverbandes über die Verteilung der TV-Gelder entscheiden. Rummenigge bediente sich bei Völlers "Schweinchen-Schlau"-Zitat und forderte Rettig auf, der DFL das Vertrauen entgegenzubringen, das ihr zusteht.
"Zwecknostalgiker" Rettig kämpft für 50+1 (2018)
Im Frühjahr 2018 entschieden sich die deutschen Klubs für die Beibehaltung der 50+1-Regel. Rettig, der sich lautstark gegen Investoren ausgesprochen hatte, wurde von FCB-Boss Rummenigge als "Ideologe" und "Zwecknostalgiker" bezeichnet. Rettigs Konter: "Rummenigge war ein erstklassiger Stürmer." Gemeint war wohl: Aber eben kein erstklassiger Funktionär.
Rettig legt sich erneut mit dem DFB an (2018)
Im selben Jahr attackierte Rettig den DFB. Im Visier Präsident Reinhard Grindel, der als CDU-Mitglied die parteinahe Konrad-Adenauer-Stiftung beauftragte, die Nationalspieler vor der WM in Russland zu briefen. "Wir brauchen neutrale Instanzen und eine Struktur mit professioneller Führung, die glaubwürdig Werte abseits eigener oder parteipolitischer Interessen verkörpern", forderte Rettig damals.
Rettigs Traum, den Fußball menschlicher zu machen (2019)
2019 philosophierte Rettig im Interview mit der "taz" über seine Vorstellungen vom Profi-Fußball. So sollten Lizenzierungsverfahren erweitert werden. Nicht mehr nur Erfolg und Wirtschaftlichkeit sollten eine Rolle spielen, sondern auch Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung. Weitere Ideen: autofreie Spieltage, Spiele ohne Flutlicht, keine Sponsoren in Stadion-Namen. Nicht alle waren begeistert.
Rettig: Keine Chance gegen Oligarchen und Staatsfonds (2019)
Laut Rettig brauche die Bundesliga keine Stars. Sie müsse ihre eigene DNA finden und die nachhaltigste, sozialste und emotionalste Profiliga der Welt werden. Internationalen Erfolg schien er abgeschrieben zu haben. "Man kann einen wirtschaftlichen Wettstreit gegen Oligarchen, Staatsfonds und chinesische Konglomerate aber nicht gewinnen, wenn man wirtschaftlich verantwortungsbewusst handelt."
Rettig fordert Boykott der WM in Katar (2022)
Das größte Ärgernis für Rettig war die Vergabe der WM 2022 nach Katar. Wegen der katastrophalen Menschenrechtslage forderte er den Boykott des Turniers. Der streitbare Funktionär, der zuletzt als Geschäftsführer bei Viktoria Köln tätig war, kritisierte auch das Katar-Sponsoring des FC Bayern, was zu einem wutentbrannten Anruf von Uli Hoeneß im Doppelpass führte, als Rettig dort zu Gast war.
Hoeneß und Rettig streiten sich im Doppelpass (2022)
Hoeneß beschimpfte Rettig als "König der Scheinheiligen", der ja auch im Winter warm dusche und sich damit am Gas der Kataris oder Saudis bediene. Rettig bezeichnete Hoeneß daraufhin als Botschafter von Katar und setzte seinen Boykott öffentlichkeitswirksam um.
Rettig boykottiert WM in Katar (2022)
Statt die Spiele im Fernsehen zu verfolgen, tingelte Rettig durch die Kneipen, die sich dem Boykott mit dem Slogan "Kein Katar in meiner Kneipe" anschlossen. Das Ausscheiden der DFB-Elf verpasste Rettig dem Vernehmen bei einem Weihnachtsmarkt-Besuch in Köln.
Wieder Rettig-Kritik am DFB (August 2023)
Erst im Sommer hatte Rettig erneut zur General-Kritik ausgeholt. Zielscheibe diesmal erneut der DFB: "Der deutsche Fußball hat irgendwann verpasst, den Hebel umzulegen", sagte er bei "watson". Im Verband habe man in der Nachwuchsarbeit "Dinge zu lange vor sich hergeschoben".
Rettig widerspricht Völler (September 2023)
Jetzt kann Rettig, der formal Rudi Völler und Hannes Wolf vorgesetzt ist, die Dinge selbst in die Hand nehmen. Dass er sich dabei nicht den Mund verbieten lassen wird, bewies er gleich bei seinem ersten Auftritt in neuer Funktion. Obwohl Völler mehrfach betont hatte, der Bundestrainer-Einsatz gegen Frankreich sei eine einmalige Angelegenheit gewesen, erweckte Rettig einen anderen Eindruck:
Rettig widerspricht Völler (September 2023)
"Der Rudi wird’s richten", tönte Rettig am Rande des Eröffnungsspiels der Frauen-Bundesliga. "Wir dürfen nicht alles negativ bewerten. Man sieht, was Rudi mit Handauflegen schafft. Wir sollten die ganze Schwarzmalerei mal sein lassen und nach vorne schauen mit Optimismus."
"Rettig tut dem DFB gut"
Für den früheren Bayern-Star Stefan Effenberg, selbst ein Freund deutlicher Worte, ist die Ernennung Rettigs "keine falsche Entscheidung". "Rettig ist ein streitbarer Charakter, der für Reibung sorgt. So ein Mann tut dem DFB gut. Es ist nicht wichtig, dass es jedem gefällt", so Effe im "Doppelpass".
Krach mit Bayern und Leipzig
Das sehen nicht alle im deutschen Fußball so. So traten am Sonntag Karlheinz Rummenigge und Oliver Mintzlaff aus Verärgerung über die Installation Rettigs aus der DFB-Taskforce zurück. Rummenigge monierte vor allem die fehlende Einbindung bei der "diskussionswürdigen Entscheidung".