Rückblick auf die WM-Schande
DFB-Team: Amazon-Prime-Doku zeichnet Bild der Verzweiflung
- Veröffentlicht: 04.09.2023
- 12:54 Uhr
- SID
Seit der WM 2022 in Katar ist fast ein Jahr vergangen. Ein Film von Amazon Prime ruft die Schreckgespenster der WM-Schmach nun allerdings wieder hervor. Ratlose Spieler und ein brüllender Trainer - die Dokumentation kommt zur Unzeit.
Der Einsturz des Königreichs beginnt mit knackenden Rissen. "Ich habe nicht gut geschlafen", berichtet Bundestrainer Hansi Flick seiner Mannschaft vor dem Japan-Spiel, er ist genervt, müde und zutiefst frustriert. "Weil wir KEINE Unterstützung aus Deutschland haben." Er ruft: "Aber das darf uns nicht interessieren!"
Vor dem Länderspiel gegen Japan in Wolfsburg am Samstag (ab 20:45 Uhr im Liveticker) lohnt sich dieser Blick zurück auf das WM-Duell und das, was folgte - das Winter-Desaster von Katar. In der Hoffnung auf die Dokumentation eines großen Erfolgs hat der Deutsche Fußball-Bund (DFB) sich hautnah von Amazon begleiten lassen, der SID hat den Vierteiler vor der Veröffentlichung am Freitag gesehen.
Er ist die Chronologie eines Scheiterns: sportlich, politisch. Sportpolitisch. Gesellschaftlich. An der Diskussion um die Regenbogenbinde, am Umgang mit Katar, den Gegnern, der Quartierwahl. An sich selbst. Oder, wie Sprecher Bela Rethy sagt: "Es ist die Geschichte einer Tragödie." Selbstverständlich kommt dies alles inmitten einer tiefen Krise zur Unzeit.
Die Spieler hadern mit ihrer Rolle als Botschafter, denen weit mehr aufgeladen wird als Fußball. "Man muss ja fast ein schlechtes Gewissen haben, wenn man sich freut", sagt Joshua Kimmich, er findet das "extrem traurig". Oliver Bierhoff, der war ja noch da, klagt: "Das kannst du gar nicht gewinnen. Machst du nichts, ist es zu wenig, machst du was, ist es verkehrt."
DFB-Team: Das Wichtigste in Kürze
Diese Ohnmacht frisst sich tief in die Mannschaft. "Wir haben die Binde getragen, für die wir zuerst geprügelt wurden - und jetzt kriegen wir wieder Kritik", beschwert sich Bierhoff: "Was können wir noch machen?" Sie machen die berühmte Mund-zu-Geste, sie ist richtig. Und kommt doch wieder falsch an. "Na dann", sagt Bela Rethy: "Endlich Fußball."
DFB-Doku auf Amazon: Schaubild des Versagens
Endlich Fußball. All or Nothing, so heißt diese Doku, alles oder nichts. Es wird nichts - ein Schaubild des Versagens.
Das ist das Gemeine: Dass die Zusehenden das fiese Ende schon kennen. Dadurch wirken gewisse Dinge sehr unangenehm, zum Beispiel ein Motivationsfilmchen, das Flick am Vorabend des ersten Gruppenspiels präsentiert. Der Flug der Graugänse: "WM 2022 - lasst uns von den Gänsen lernen und gemeinsam unseren großen Flug machen!"
Daraus werden Leitsätze entwickelt: "Wir geben uns gegenseitig Aufwind." Mit dem Wissen ums Scheitern ist das schwer zu ertragen.
Es entsteht der Eindruck, dass Flick seine Mannschaft zwar nicht verliert, aber doch irgendwie an ihr vorbeiredet. Er staucht sie brüllend zusammen, in der Halbzeit gegen Costa Rica: "Die sind blind und ihr macht die stark!" Er flucht nach dem Auftakt: "Fuck off, ey!" Er kämpft mit Unpünktlichkeit bei Sitzungen und damit, seinen Spielern Taktisches nachhaltig einzutrichtern.
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DFB-Team: Auf gute Laune folgt Katerstimmung
Aus anfänglicher guter Laune - Riesenbälle, haha, Trommelworkshop, Himmelslaternen im viel zu weit außerhalb liegenden Wüsten-Quartier - wird bleierne Schwere. Wie sollen Graugänse so fliegen? Flick macht Fehler. Vor dem Spiel gegen Spanien keinen Spieler mit zur Pressekonferenz zu bringen, weil der Weg so weit ist, wird zum Affront gegen die internationalen Medien.
Risse weiten sich. Joshua Kimmich und Niklas Süle schnauzen sich an, Süle droht mit dem Finger: "Laber mich nicht voll, ich sag's Dir!" Flick geht dazwischen. Kimmich kritisiert in der Japan-Nachbesprechung die Taktik, der Trainer reagiert gereizt: "Spreche ich eine andere Sprache?"
Nationalmannschaft: Flick lässt Bayern-Stars zu Hause - Goretzka "extrem enttäuscht"
Die Dokumentation springt in den Zeit- und Handlungsebenen. So entsteht ein großes Bild, interessanter sind die Schlaglichter. Immer wieder: die Binde. Da hält Flick sein Handy hoch: "Der Schweini schreibt mir gerade, dass wir später über das nervige Thema sprechen. Herrlich!"
Vor dem Duell mit Spanien, es wird achtbar 1:1 enden und doch wenig bringen, entwirft Flick das perfekte Bild. "Was nützt dir 'ne Kuh, die zehn Liter Milch am Tag gibt und abends mit dem Schwanz den Eimer umhaut?", fragt er. Ja. Was nützt die?