EM 2024: DFB-team gegen Griechenland
DFB-Team nach Griechenland - Erkenntnisse: Nagelsmann hat nicht nur ein Torwartproblem
- Aktualisiert: 09.06.2024
- 08:58 Uhr
- Martin Volkmar
Mit der EM-Generalprobe gegen Griechenland kann Julian Nagelsmann nicht zufrieden sein. Sie bringt dem Bundestrainer aber einige, möglicherweise wichtige Erkenntnisse.
Vom DFB-Team berichtet Martin Volkmar
Mit einem Appell zur Zuversicht entließ Julian Nagelsmann seine Spieler am späten Freitagabend in Mönchengladbach ins kurze freie Wochenende.
"Ich will nicht, dass wir zurückblicken und sagen, wir hätten etwas verschenkt. Ich glaube extrem an die Mannschaft. Und ich will auch, dass die Mannschaft an sich glaubt", sagte der Bundestrainer nach dem mühsamen 2:1 (0:1) gegen Griechenland:
"Wir können Großes erreichen. Wir werden alles Menschenmögliche tun, um den Titel zu gewinnen."
Am Sonntagabend trifft sich die deutsche Nationalmannschaft dann wieder im Teamquartier in Herzogenaurach, um sich auf das EM-Eröffnungsspiel am Freitag in München gegen Schottland einzustimmen.
Das Wichtigste in Kürze
"Das ist eine Mannschaft mit extremer Wucht, die mit viel Power versucht nach vorne zu spielen", sagte Nagelsmann über den Auftaktgegner, der im letzten Test nicht über ein 1:1 gegen Finnland hinauskam.
"Darauf wollen wir uns vorbereiten und haben dann hoffentlich einen guten Start."
Die Hoffnung auf ein gutes Heim-Turnier sind nach der fast eine Stunde enttäuschenden Vorstellung gegen die Griechen allerdings nicht gestiegen, im Gegenteil:
Die DFB-Auswahl geht mit einigen Zweifeln in die Europameisterschaft.
ran hat die Erkenntnisse des letzten Testspiels zusammengefasst.
1. Das DFB-Team hat ein Torwartproblem
Nach dem erneuten Patzer von Manuel Neuer vor dem 0:1 durch Giorgos Masouras (34.) ist die Torwartdebatte nicht mehr aufzuhalten.
"Was ist mit Neuer los?", fragte "El Mundo Deportivo" aus Spanien. Und die "Daily Mail" meinte: "Die Fans sehen die Zeit gekommen, dass Manuel Neuer seine internationale Karriere beenden sollte."
Trotz allem sprach Nagelsmann seiner Nummer eins sofort nach dem Spiel die volle Rückendeckung aus, Barcelonas Marc-Andre ter Stegen bleibt Bankdrücker.
"Ich nehme bei Manu keine Selbstzweifel wahr und lasse auch keine Diskussion aufkommen. Er hat mein Vertrauen", sagte der Bundestrainer.
"Mir ist bewusst, dass das Thema in den Medien diskutiert wird. Aber ich kann das nicht nachvollziehen. Jeder Deutsche sollte das Interesse haben, dass die Spieler gefestigt sind. Wir werden an der Torwartfrage nicht herumdoktern."
Externer Inhalt
Neuer patzte zuletzt fast in jedem Spiel
Zudem verwies er auf "drei Weltklasseparaden" Neuers, bei dem er "keine Anhäufung von Fehlern" gesehen haben wollte.
Fakt ist allerdings, dass der Bayern-Keeper fast in jedem seiner letzten Spiele in Verein und DFB-Elf einen Bock drinhatte, der meist zu einem Gegentor führte.
"Grundsätzlich muss ich den Ball besser wegbringen, das steht fest für mich, das habe ich auch sofort gemerkt", sagte der 38-Jährige, ließ aber keine Selbstzweifel erkennen:
"Bei beiden Spielen finde ich, dass ich gute Leistungen gezeigt habe. Und so gehe ich auch in die Gruppenphase."
Neuer wird beweisen müssen, dass er nun dem erheblich gestiegenen Druck immer noch standhalten kann.
VIDEO: Manuel Neuer patzt gegen Hoffenheim böse
2. EM-Form dringend gesucht
Das späte und wunderschön erzielte Siegtor von Pascal Groß (89.) übertünchte am Ende ein wenig die Ernüchterung bei den Anhängern zuvor.
In der Verfassung der ersten 45 Minuten, als erstmals die geplante EM-Startelf auf dem Platz stand, droht bei der EM sogar ein erneutes frühes Ausscheiden.
"Nagelsmanns Männer erlitten in der ersten Halbzeit Schiffbruch", kommentierte die "Marca" den desolaten Auftritt.
Abspielfehler, ideenloser Aufbau, keine Spannung
Dafür sorgten gravierende Patzer in der Defensive, zu viele Abspielfehler bei Ballbesitz, ein langsamer und ideenloser Spielaufbau und auch fehlende Körperspannung.
"In der ersten Halbzeit haben wir viele Sachen nicht gut gemacht, haben die Bälle zu einfach hergeschenkt, schon im Aufbau, vorne genauso", sagte Toni Kroos, mit dessen Comeback ja eigentlich alles besser werden sollte:
"Man weiß, dass im Fußball auch solche Halbzeiten dazugehören, ohne dass sich jetzt immer ein komplettes Bild wendet. Wir wussten aber auch, dass wir vielleicht nicht so gut sind, wie wir im März gemacht wurden, aber auch nicht so schlecht wie davor. Von daher muss man ein bisschen die Mitte finden."
Auch wenn Nagelsmann vor dem Spiel eine verpatzte Generalprobe laut eigenen Worten "verboten" hatte, könnte der holprige Auftritt auch der Wachmacher zum letztmöglichen Zeitpunkt gewesen sein.
Gündogan sieht es sogar positiv
Jedenfalls hofft Ilkay Gündogan darauf. "Ich sehe es gar nicht so negativ, ehrlich gesagt. Ich sehe es so, dass das ein Lernprozess ist", meinte der Kapitän:
"Jetzt haben wir noch eine Woche Zeit, mit zwei freien Tagen natürlich, die jeder zu Hause verbringen kann. Aber am Montag geht es wieder los und die Sinne sind geschärft."
Deutschland vs. Griechenland: Noten der DFB-Stars
3. Gegen tief stehende Gegner tut sich die DFB-Elf weiter schwer
Unabhängig von den technischen Fehlern und dem mangelnden Zugriff aufs Spiel wurde zum wiederholten Mal sichtbar, dass das größte Manko in der Offensive liegt.
Nämlich insofern, als dass der deutschen Mannschaft viel zu wenig einfällt, um ein Abwehr-Bollwerk auszuhebeln.
Alle guten Leistungen der vergangenen Jahre kamen gegen Topgegner wie Frankreich oder die Niederlande zustande, die selber das Spiel machen wollen und der DFB-Elf dadurch Räume gab.
Wird es aber eng, weil sich der Rivale weit zurückfallen lässt und den Bus vor dem eigenen Tor parkt, fehlen die Ideen.
Auch Schottland und Ungarn parken den Bus
Genau das jedoch wird die Mannschaft in den ersten beiden EM-Spielen gegen Schottland und Ungarn erwarten.
Tempo, Spielwitz und vor allem Offensivwucht werden daher zwingend benötigt. Insofern machte die zweite Hälfte gegen die Griechen etwas Hoffnung.
"Wir haben insgesamt im Spiel mit Ball zu viel durchs Zentrum gespielt und auch sehr langsam und zu ungenau", kritisierte Nagelsmann. "In der zweiten Halbzeit war viel mehr Schärfe drin."
VIDEO: Matthäus wirbt für Neuer im Tor
4. Groß und Sane bewerben sich für Startelf
Nagelsmann hat sich vor dem Turnier auf eine Teilung seines Kaders in Stammspieler und Herausforderer festgelegt.
Daher will er auch gegen Schottland an seiner Anfangsformation gegen Griechenland weitgehend festhalten, obwohl er aufgrund der ersten Hälfte die halbe Mannschaft durchwechseln könnte.
"Wir haben 13 Spieler, die für die Startelf infrage kommen. Sie ist nicht in Stein gemeißelt. Aber sie wird ungefähr so aussehen wie heute", erklärte der Bundestrainer.
Vor allem Matchwinner Groß und Leroy Sane, der nach seiner Einwechslung für reichlich Wirbel sorgte und das 1:1 von Kai Havertz (56.) vorbereitete, empfahlen sich in Mönchengladbach.
Doch vorerst soll der Bayern-Flügelflitzer nach seinen anhaltenden Schambeinproblemen am Saisonende Joker bleiben.
Nagelsmann: "Brauchen unterschiedliche Spielertypen"
"Jeder Spieler da vorne weiß auch, dass er keine Garantie hat, im Turnier immer von Beginn an zu spielen, weil wir gegen unterschiedliche Gegner auch unterschiedliche Spielertypen brauchen", sagte Nagelsmann dazu.
Das potenzielle Weltklasse-Offensivtrio mit Gündogan, Jamal Musiala und Florian Wirtz wird sich nach der kollektiv komplett enttäuschenden Vorstellung am Freitag allerdings erheblich steigern müssen, sonst wird an Sane und möglicherweise auch anderen Nachrückern wie Thomas Müller und Chris Führich kein Weg vorbei gehen.
Auch Robert Andrich sollte sich im defensiven Mittelfeld nicht nochmal so einen fahrigen und fehlerbehafteten Auftritt leisten, denn Groß zeigte nach seiner Einwechslung genau das Gegenteil. Der Brighton-Profi war ballsicher, aggressiv und hellwach. Er könnte beim EM-Auftaktspiel die große Startelf-Überraschung sein.
VIDEO: Flutschfinger! Netzt verspottet Neuer
5. Ersatzbank kann die große Stärke werden
Neben Groß und Sane brachten auch die Leipziger Außenverteidiger David Raum und Benjamin Henrichs in der zweiten Halbzeit viel mehr Schwung als ihrer Vorgänger Maximilian Mittelstädt und Joshua Kimmich in die Partie.
Henrichs hatte sogar das 2:1 auf dem Fuß, sein herrlicher Distanzschuss knallte aber von der Unterkante der Latte zurück ins Feld.
Auch Schlotterbeck souverän
Generell scheint Nagelsmann tatsächlich genau die richtigen Backups nominiert zu haben, denn auch Nico Schlotterbeck hinterließ als Innenverteidiger einen souveränen Eindruck und gegen die Ukraine hatten die spät ins Spiel gebrachten Deniz Undav und Maximilian Beier für viel Wirbel gesorgt.
„Wenn du draußen sitzt und unzufrieden bist, dann ist es manchmal schwer eine Topleistung zu bringen. Aber die Jungs akzeptieren es und erfüllen ihren Job, weil sie erfolgreich sein wollen", sagte Nagelsmann.
Diese Stärke von der Bank sorgt bei ihm für Zuversicht: "Wenn ich eine Lösung habe - und ich hatte zwei -, dann bin ich trotzdem relativ gefestigt."