EM 2024
EM 2024 - Erik Meijer exklusiv: "Es ist lächerlich, was England geboten hat"
- Aktualisiert: 10.07.2024
- 16:14 Uhr
- Andreas Reiners
Die Niederlande trifft am Mittwoch (ab 21:00 Uhr im Liveticker) im EM-Halbfinale auf England. Wir haben uns mit Erik Meijer über den netten Onkel Koeman, lächerliche Engländer, heiße Weghorst-Diskussionen und die Chancen von "Oranje" unterhalten.
Das Interview führte Andreas Reiners
Nein, genießbar sind die Engländer bei dieser EM nicht.
Findet auch der frühere Bundesliga-Spieler Erik Meijer. "Es ist nicht so, dass ich mich hinsetze mit einem Bier und ein bisschen Pommes und sage: 'Jetzt genießen wir mal die Engländer', sagte der 54-Jährige im ran-Interview.
Beschäftigt hat er sich natürlich trotzdem mit den "Three Lions", auch weil seine Niederländer am Mittwoch (ab 21:00 Uhr im Liveticker) im EM-Halbfinale auf die Engländer treffen. Mit dem besseren Ende für "Oranje", um am Ende wie 1988 den EM-Titel in Deutschland zu holen?
Wir haben uns mit Meijer nicht nur über die EM-Chancen der Elftal unterhalten, sondern auch über den netten Onkel Ronald Koeman, lächerliche Engländer, heiße Weghorst-Diskussionen und das DFB-Team.
Das Wichtigste in Kürze
ran: Erik Meijer, nach der Vorrunde waren sie nicht so begeistert von ihren Niederländern. Wie sieht es vor dem Halbfinale aus?
Erik Meijer: Ich war nicht zufrieden. Das erste Spiel war okay. Gegen Frankreich war es prima, weil sie uns in der Quali mal alle Ecken vom Platz gezeigt haben. Da haben wir null Chance gehabt. Und gegen Österreich waren wir offensiv gut, aber defensiv haben wir so viel weggegeben, dass jede Mannschaft gegen uns gewonnen hätte. Und dann sehe ich eine Trotzreaktion, die Jungs haben sich zusammengesetzt und haben sich die Meinung gegeigt. Und dann kam ein Spiel gegen Rumänien, das wir auch 8:0 hätten gewinnen können. Und auch gegen die Türkei haben wir gezeigt, dass wir Charakter in der Mannschaft haben. Also zuerst war ich sehr kritisch, jetzt bin ich sehr positiv.
ran: Was vor allem fehlte, war die Konstanz in den Leistungen. Was muss sonst dringend besser werden?
Meijer: Bei der Torausbeute gab es echte Defizite. Wir haben sehr viele Chancen kreiert in all diesen Spielen. Aber wir haben nicht getroffen und sind stattdessen in Rückstand geraten. Und das hilft uns natürlich nicht.
Erik Meijer: Deshalb ist Oranje bereit für England
ran: Ist "Oranje" bereit für England?
Meijer: Ja, wir sind bereit. Ich denke, dass wir voller Selbstvertrauen sind, weil wir schon sehr happy damit sind, dass wir das Halbfinale erreicht haben. Und jetzt etwas freier spielen können. Im Gegensatz zu den Engländern, da stehen 1,5 Milliarden Euro Marktwert auf dem Platz. Und die haben bis jetzt nur für rund 150.000 Euro Qualität gezeigt. Es ist lächerlich, was diese Mannschaft uns Zuschauern geboten hat. Ich weiß, dass die Saison lang ist und ich weiß auch, dass die Jungs viele Spiele gemacht haben. Aber es ist ja unglaublich, was sie bislang für einen Fußball gespielt haben. Es ist sehr schwierig, ein Tor gegen sie zu schießen, ja. Aber es ist nicht so, dass ich mich hinsetze mit einem Bier und ein bisschen Pommes und sage: 'Jetzt genießen wir mal die Engländer.'
ran: Sie haben den Marktwert erwähnt, die Spiele sind wahnsinnig zäh und uninspiriert. Wie erklären Sie sich das?
Meijer: Es ist nur einer, der bestimmt, wie eine Mannschaft spielt, und das ist der Trainer. Southgate spielt einen sehr effektiven Fußball, so wie Didier Deschamps das auch mit Frankreich macht. Das ist nicht schön, sie bekommen fast keine Gegentore, aber sie stehen beide im Halbfinale. Also irgendwie machen sie doch vieles richtig. Defensiv stehen sie sehr gut, aber offensiv ist es für mich nicht der Fußball, den ich gerne sehe und mit dem ich aufgewachsen bin.
ran: Können Sie nachvollziehen, dass Southgate so massiv in der Kritik steht, obwohl sie im Halbfinale stehen?
Meijer: Ja, weil ich das Gefühl habe, dass auch seine eigenen Spieler an dem System zweifeln. Ich sehe ab und zu eine Körpersprache bei den Engländern, die nicht pro Trainer ist. Ich glaube, dass die Stars in der Mannschaft, Harry Kane, Jude Bellingham und John Stones, bestimmen, wie sie spielen.
ran: Bei den Niederlanden ist es ähnlich. Trainer Ronald Koeman wurde während des Turniers auch teils massiv kritisiert. Welches "Problem" haben die niederländischen Medien mit ihm bzw dem Team?
Externer Inhalt
Erik Meijer: "Koeman ist kein Nagelsmann"
Meijer: Koeman ist ein Trainer der älteren Garde, er ist kein Julian Nagelsmann, der den Fußball neu erfunden hat oder eine andere Art spielt. Koeman setzt auch auf Defensive, aber was ich gut finde: Er schaut darauf, welche Spieler er im Kader hat und richtet seinen Fußball danach aus, wie der am besten zur Mannschaft passt. Das macht er in meinen Augen genau richtig.
ran: Und was müsste er besser machen?
Meijer: Der Romantiker, der den niederländischen Fußball mit zwei Außenspielern, Schnelligkeit und Kombinationen sehen will, wird unter Koeman ein bisschen enttäuscht. Aber ich bin nicht der Romantiker. Ich würde gerne Europameister werden. Da musst du auch etwas defensiver denken oder etwas vorsichtiger sein.
ran: Ist die Kritik also ungerecht?
EM-Prämien für deutsche Klubs: So viel bekommen Bayern München, Borussia Dortmund & Co.
Meijer: Ja, ich finde sie ein bisschen ungerecht, denn wir spielen, wenn Memphis Depay spielt, im Grunde ohne echten Stürmer. Er war zudem fast ein halbes Jahr nur verletzt, er ist nicht in seiner besten Verfassung und damit kommst du trotzdem bis ins Halbfinale. Das ist erstaunlich, das finde ich gut. Doch offensiv haben wir sehr viele Möglichkeiten und wir haben die Leute eingesetzt, als es nötig war. Als wir einen Brecher brauchten, haben wir Wout Weghorst gebracht. Als wir Tempo benötigten, kam Donyell Malen. Von der Bank bekommen wir die Tore. Du musst als Trainer das Spiel lesen können, um zu wissen, wen du bringen kannst.
ran: Sind die Ansprüche für die vorhandenen Möglichkeiten also dann doch zu groß?
Meijer: Ja, wir denken ab und zu, dass wir jedes Jahr Weltmeister werden müssen. Wir haben sehr viel Selbstvertrauen, haben eine große Klappe und wollen allen zeigen, wie man Fußball spielt. Allerdings gibt es auch noch Gegner. Und dann fällt uns das Getue manchmal auf die Füße.
ran: In der Heimat gibt es auch heiße Diskussionen, ob Joker Wout Weghorst von Beginn an ran sollte. Sollte er?
Meijer: Das ist schwierig, er hängt so ein bisschen zwischen Stammplatz und Bank. Ich kenne die Rolle, die hatte ich auch oft. Das ist nicht einfach. Der Trainer weiß, wenn er Weghorst auf der Bank hat, dass er den nach fünf Minuten aufwärmen sofort bringen kann. Für den Trainer ist das eine ideale Möglichkeit, jemanden einzuwechseln, der sofort etwas bewirken kann. Bringe ich den von Anfang an, habe ich die Möglichkeit nicht mehr. Das ist ein Zwiespalt. Es gibt Gegner und Spiele, wo man ihn hundertprozentig von Anfang an spielen lassen kann. Ob das Spiel gegen England dazugehört, weiß ich nicht.
ran: Was bedeutet dieses Spiel für die Niederländer? Was den Gegner betrifft, aber natürlich auch das Spiel selbst.
Meijer: Das ist schon groß bei uns. Wenn du siehst, dass Frankreich, Spanien, England und die Niederlande im Halbfinale stehen - das ist schon etwas Schönes. Wir können stolz sein, was wir durch Teamgefüge und den Teamgedanken erreicht haben. Wir haben viele einzelne Spieler, die gut spielen bei ihren Mannschaften. Aber es ist nicht so leicht, daraus noch eine Mannschaft zu machen, die funktioniert. Der nette Onkel Koeman hat das geschafft.
Erik Meijer: Für Southgate wird es schwierig
ran: Wie tickt der "nette Onkel" denn?
Meijer: Ich denke, dass er derjenige ist, der für eine gute Stimmung, ein gutes Gefühl untereinander sorgt. Der ein paar wichtige Leute in seiner Mannschaft zu sich zieht, die für ihn ein verlängerter Arm sind. Er gibt vielen Jungs sehr viel Vertrauen. Da musst du nicht der große Taktiker sein, wichtig ist auch die menschliche Seite. Du musst in die Köpfe der Spieler kommen. Und das schafft er, weil er das alles schon erlebt hat. Dann ist es etwas leichter, den Jungs das zu erklären.
ran: Angesichts der erwähnten Kritik: Ist für den Verlierer die Amtszeit beendet?
Meijer: Ich denke, für Southgate wird es schwierig, wenn er verliert. Bei Koeman bin ich mir sicher, dass es mit ihm auch bei einer Niederlage in Richtung WM 2026 geht.
ran: Generell zieht sich eine gewisse Müdigkeit durch dieses Turnier. Warum sind viele Spieler und Mannschaften nicht in ihrer Top-Verfassung?
Meijer: Ich denke nicht, dass es so sehr an den vielen Spielen in einer Saison liegt. Es liegt noch mehr daran, dass alle Mannschaften gelernt haben, gut zu verteidigen. Wenn Trainer gut ausgebildet sind, um es defensiv gut zu machen, dann ist es als Offensivmannschaft sehr schwierig, da durchzukommen. Die letzten acht Mannschaften spielen fast alle das gleiche System. Dann werden es langweilige Spiele, weil fast keine Fehler passieren. Es war lustig, als wir ein paar Länder dabei hatten, die nichts zu verlieren hatten. Dann passiert was. Aber in den letzten Spielen haben wir nur Mannschaften gesehen, die ungefähr das gleiche spielten. Dann wird Fußball langweilig. Da kann ich dann den US-Amerikaner verstehen, der sagt, "Soccer is boring."
ran: Müssen wir uns daran gewöhnen?
Meijer: Ich fürchte, dass das Niveau nicht schlechter wird. Die Spieler sind immer besser trainiert, die Plätze sind immer besser, die Leute werden immer athletischer. Aber vor allen Dingen werden auch die Trainer immer besser und wollen so lange wie möglich auf ihrem Stuhl sitzen. Und das heißt: Fokus auf das Resultat. Die Unterschiede zwischen den Mannschaften werden immer kleiner. Und wenn Kylian Mbappe nicht in einer Weltklasse-Verfassung ist, kann er nicht den Unterschied machen. Und dann steht das Ergebnis im Vordergrund und damit auch die Defensive.
ran: Was können wir am Mittwoch für ein Spiel erwarten?
Meijer: Wir werden unser Spiel durchziehen. Wir spielen mit vier Mann hinten, mit zwei defensiven Mittelfeldleuten. Dazu zwei Spieler auf der Zehnerposition. Mit Gakpo und vielleicht mit Malen auf der rechten Seite bekommen wir etwas mehr Tempo. Hoffentlich können wir da jemanden ausspielen, um dann das Zentrum zu füttern. Das wird unser Spiel sein. Bei den Engländern wird es einigermaßen langsamer zugehen. Wir werden ansehnlicher Fußball spielen als die Engländer. Ich hoffe, dass wir das 1:0 machen. Das wäre ja neu, dass wir mal das erste Tor erzielen. Damit wir dann vorne von unserer Schnelligkeit profitieren und im Umschaltspiel die Engländer überraschen können. Das wäre auch generell für das Spiel gut, denn dann passiert was. Dann müssen die Engländer kommen. Je länger es beim 0:0 bleibt, desto langweiliger wird das Spiel.
Erik Meijer: Hoffen auf eine Wiederholung von 1988
ran: Felix Zwayer pfeift das Spiel. Mit Jude Bellingham gibt es eine Vergangenheit, dazu kommt die deutsche Rivalität mit den Niederlanden und England. Solche Ansetzungen werden dann schnell kritisiert. Ist das die falsche Ansetzung?
Meijer: Nein, überhaupt nicht. Ich finde es gut, dass ein Schiedsrichter aus dem Land, in dem die EM stattfindet, einer der beiden Halbfinal-Referees ist. Er hat ja auch die entsprechenden Leistungen gebracht. Und deshalb ist das für mich vollkommen in Ordnung. Und das wird auch vielen Niederländern so gehen.
ran: Was wird für die Niederlande bei diesem Turnier herauskommen?
Meijer: Ich gehe davon aus, dass wir gegen England 2:0 gewinnen. Und im Finale bekommen wir dann eine Wiederholung von 1988, denn wir holen unseren zweiten großen Titel. Wieder in Deutschland. Das wäre unglaublich. Aber erst einmal müssen wir den ersten Schritt machen, und der wird schwer genug.
ran: Zum Abschluss noch eine Frage zur deutschen Nationalmannschaft: Wie fällt da Ihr Fazit aus?
Meijer: Vor einem halben Jahr war es rund um das DFB-Team schwarz, dunkel, schlecht, alles negativ. Dann hat Nagelsmann den Mut gehabt, den Kader umzukrempeln und Leute zu nominieren, die er noch nicht mitgenommen hatte. Und auch Leute mal wegzulassen, die großen Einfluss hatten in der Kabine. Ich finde, dass die Nationalmannschaft gar nicht mal so schlecht gespielt hat. Aber du wirst gemessen an deinen Resultaten. Und das war für Deutschland eigentlich zu wenig. Das Problem war, dass du im Viertelfinale schon das Finale gespielt hast. Da haben die beiden besten Mannschaften gegeneinander gespielt. Aber Deutschland hat gezeigt, zu was sie in der Lage sind. Sie haben gezeigt, dass sie enorm viel Talent in der Mannschaft haben. Und demnächst werden sie zeigen müssen, wie sie die älteren Spieler ersetzen.
ran: Gehört Deutschland wieder zu den Top-Nationen?
Meijer: Deutschland war für mich da noch nie weg. Deutschland ist einer der stärksten Länder der Welt. Und das wird immer so bleiben, weil in den Nachwuchsleistungszentren und in der Bundesliga die Qualität so hoch ist.