Jugendwahn, DFB-Absturz, Corona-Folgen: Die Fußball-Lehren 2020
Die Fußball-Lehren des Jahres 2020
Das Fußballjahr 2020 neigt sich dem Ende entgegen. Aufgrund der Corona-Pandemie wird es auch im Sport als eines der außergewöhnlichsten Jahre in die Geschichte eingehen. Trotzdem und genau deswegen haben die vergangenen zwölf Monate zahlreiche Probleme verstärkt und Entwicklungen mit sich gebracht. Die Fußball-Lehren des Jahres 2020.
Die Jugend wird wichtiger – und jünger
Es ist nicht nur dem fehlenden Geld und ausbleibenden Transfers geschuldet, dass die Jugend eine immer wichtigere Rolle auch bei den Topklubs spielt. Und dass diese Jugend dort auch immer jünger wird. Dortmunds Youssoufa Moukoko, der als frisch 16-Jähriger bereits die Rekorde als jüngster Bundesligaspieler, jüngster Champions-League-Spieler und jüngster Bundesligatorschütze aller Zeiten eingeheimst hat, ist da nur die auffälligste Personalie. In Leverkusen hat sich mit Florian Wirtz ein 17-Jähriger zum Stammspieler aufgeschwungen, beim FC Bayern hat sich der ebenso junge Jamal Musiala einen wichtigen Platz in Hansi Flicks Kader erarbeitet – um nur zwei Beispiele aus der Bundesliga zu nennen. Auch international gibt es ähnliche Entwicklungen, was Teenager angeht: Real Madrid vertraut dem 19-Jährigen Rodrygo, bei Barcelona durften Pedri und bis zu seiner schweren Verletzung Ansu Fati (beide 18) regelmäßig ran.
Corona als mögliches Ende der Serienmeister
Jeder Verein hat mit den Auswirkungen der Pandemie zu kämpfen, wenn man sich die Tabellen der internationalen Topligen ansieht, muss man aber festhalten: Leistungstechnisch scheinen vor allem die Big Players und Serienmeister unter der enormen Belastung des eng gestrickten Kalenders nach Wiederaufnahme des Spielbetriebs zu leiden. Italiens Serienmeister Juventus feiert Weihnachten auf dem 6. Platz, Barcelona steht auf Rang 5, Manchester City – in den vergangenen drei Spielzeiten zweimal Meister und einmal Vize – dümpelt auf dem 8. Platz umher und auch Paris Saint-Germain ist nur auf Rang 3 zu finden. Dafür dürfen Underdogs wie Sassuolo, Real Sociedad oder Leicester glänzen und in ihren Ligen für frischen Wind sorgen.
Die Bayern bleiben unerreichbar
Entsprechende Hoffnungen, dieses Favoritenstraucheln könnte auch der Bundesliga eine spannende Saison ohne Erfolg für Abomeister Bayern München zur Folge haben, werden derweil immer leiser. Der Rekordmeister ist international durch Wettbewerbe wie Supercup und Klub-WM sogar noch mehr eingespannt als mancher Konkurrent und kämpfte zuletzt mit großen Verletzungssorgen. Und trotzdem ist es so einfach wie (für viele) ernüchternd: Die Bayern sind eben da - und punkten, egal, wie widrig die Umstände sind. Als Paradebeispiel darf das letzte Spiel vor der Winterpause herhalten, in dem die Münchner den formstarken Tabellenführer aus Leverkusen in der Nachspielzeit niederrangen und sich selbst Platz eins wiederholten.
Finanzieller Wahnsinn könnte sich tatsächlich rächen
Die Coronakrise und ihre Begleiterscheinungen waren der Katalysator für viele Entwicklungen. Was die Fußballklubs aus wirtschaftlicher Sicht angeht, standen und stehen einige Vereine näher am finanziellen Abgrund als je zuvor. Egal, ob die finanzielle Schieflage durch relativ kurzfristigen Transferwahnsinn bedrohlich wurde oder eine jahrelange Misswirtschaft vorliegt: noch nie waren so viele große Fußballvereine näher an einem tatsächlichen Bankrott wie 2020. Barca konnte sich nur durch den bereits zweiten Gehaltsverzicht seiner Spieler retten, Schalke bekam einen Kredit in Millionenhöhe vom Staat Nordrhein-Westfalen. Und weil das endgültige Ende der Pandemie trotz Impfstoff noch nicht in Sicht ist, kann es durchaus sein, dass das Unvorstellbare passiert – und Klubs von der Landkarte verschwinden.
Mit Mut und Offensivfußball zum Erfolg
Es ist nicht lange her, da war das Spiel gegen Ball und Konterfußball der heißeste Trend in der Bundesliga – was sich entsprechend negativ auf das fußballerische Niveau auswirkte. Vor allem die Hinrunde der laufenden Saison hat aber eindrucksvoll gezeigt, dass es auch anders geht – und zwar sehr gut. Übrigens auch für Vereine mit den unterschiedlichsten Voraussetzungen. Topklub Bayer Leverkusen begeistert ebenso wie Underdog Union Berlin und sogar Aufsteiger Stuttgart mit mutigem, offensivem Fußball. Und diese Vereine haben vor allem auch eines: Erfolg!
Eine Nationalmannschaft, die niemanden interessiert
In einem halben Jahr beginnt die Europameisterschaft, nach Vorfreude im deutschen Fanlager sucht man aber vergebens. Nicht zuletzt das katastrophale 0:6 gegen Spanien hat deutlich gemacht, dass die Nationalmannschaft abgesehen vom (vielleicht zu) ewigen Bundestrainer Jogi Löw und der immer noch wütenden Bierhoffisierung von Verband und Team auch fußballerisch ein simples Problem hat: das Spielermaterial. Auch anderthalb Jahre nach der großen Zäsur infolge der Schmach bei der WM 2018 ist es Löw immer noch nicht gelungen, ein hochklassiges Team mit frischen Gesichtern zu formen. Dafür gibt's immer mehr Stimmen, die sich die Rückkehr der "Alten", namentlich Thomas Müller, Jerome Boateng und Mats Hummels, wünschen.
Der Fußball ist und bleibt eine heilige (und gierige) Kuh
Zu Beginn war der Fußball ein Aushängeschild in der Coronakrise. Die Sicherheits- und Hygienekonzepte, welche die DFL entwickelte, wurden weltweit in verschiedensten Bereichen übernommen und mit der Wiederaufnahme des Spielbetriebs lieferte der Sport ein wohltuendes Stück Normalität in diesem Ausnahmejahr. Mittlerweile ist der Fußball aber wieder so unantastbar und profitgierig wie eh und je: Aus der Diskussion um die Maßnahmen im zweiten Lockdown waren die Kicker von Beginn an raus und trotz der immer noch wütenden Pandemie drückten die Verbände unnötige Wettbewerbe (wie Nations League oder den europäischen Supercup) und die damit verbundenen Reisen, teils sogar in Risikogebiete, ohne Rücksicht auf Verluste durch. Fußballklubs und -spieler sind eben auch in dieser Hinsicht etwas gleicher als der Rest.