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Jogi Löw: Ein Bundestrainer, der über den Dingen steht

  • Aktualisiert: 13.10.2020
  • 13:11 Uhr
  • ran.de/Christian Stüwe
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© 2020 Getty Images

Das DFB-Team gewinnt gegen die Ukraine, überzeugt aber nicht. Jogi Löw erklärt, dass zwar jeder Kritik äußern darf, er aber nicht gewillt ist, diese anzunehmen. Was eines der Kernprobleme der Nationalmannschaft in diesen Tagen ist.

München - Fast zwölf Jahre spielte Bastian Schweinsteiger in der Nationalmannschaft unter Joachim Löw. Ganz frisch war Schweinsteiger Nationalspieler geworden, als Löw im Juli 2004 nach der Europameisterschaft in Portugal den Posten des Co-Trainer unter Jürgen Klinsmann übernahm.

Gemeinsam erlebten die beiden viele Höhen und Tiefen, der Höhepunkt war natürlich der Gewinn der Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien. Weshalb es schon ein wenig überraschend war, dass Schweinsteiger nach dem 2:1-Sieg des DFB-Teams in der Ukraine recht deutlich die Probleme im Spiel der deutschen Mannschaft analysierte und seinen ehemaligen Chef kritisierte.

"Ich glaube, dass es der Mannschaft guttun würde, öfter in der gleichen Formation zu spielen", sagte Schweinsteiger als "ARD"-Experte: "Insgeheim will die Mannschaft wissen, gerade wenn es Richtung Europameisterschaft geht: Wie spielen wir? Wer sind unsere Spieler? Wie sind unsere Taktiken?"

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Auch Schweinsteiger vermisst die Identifikation

Die Attraktivität sei ein wenig verloren gegangen, man könne sich nicht mehr 100prozentig mit der Nationalmannschaft identifizieren, kritisierte Schweinsteiger weiter. Ähnlich hatte sich kürzlich mit Lothar Matthäus schon ein anderer ganz Großer des deutschen Fußballs geäußert und Löw "taktische Fehler" vorgeworfen. Mit Serge Gnabry gab selbst ein aktueller Nationalspieler nach dem erzitterten Sieg in der Ukraine zu verstehen, dass er sich eine offensivere Aufstellung gewünscht hätte.

"Kritik darf jeder äußern. Aber ich stehe über den Dingen": sagte Löw nach dem Spiel einen bemerkenswerten Satz: "Dass es unterschiedliche Meinungen gibt, das erlebe ich seit 16 Jahren. Ich kann Kritik einordnen."

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Löws langes Schweigen

Ein Bundestrainer, der über den Dingen steht. Diesen Eindruck vermittelt Löw schon länger, sowohl in seinem Auftreten, wie auch bei seinen Maßnahmen als Fußballtrainer. Kritik von außen lässt er selten an sich heran, selbst wenn diese von verdienten Ex-Spielern mit mehr als 100 Länderspielern kommt.

Nach dem Debakel bei der WM in Russland durfte Löw seinen Job behalten. Lange schwieg er, von danach erhofften und versprochenen Neustart und Euphorie ist wenig zu spüren. Der erste Sieg im Jahr 2020 in der Ukraine ändert daran nichts.

Warum kommen Havertz und Werner erst so spät?

Bei den Fans ist Löw schon lange nicht mehr unumstritten. Nun äußern sich auch vermehrt Experten und ehemalige Weggefährten kritisch, wie die Beispiele Schweinsteiger und Matthäus zeigen. De 60-Jährige lässt deren Einschätzungen jedoch einfach abprallen.

Es sind vor allem Löws personelle Entscheidungen, die immer wieder Kritik hervorrufen. Gegen die ersatzgeschwächte Mannschaft aus der Ukraine wählte Löw eine sehr defensive Formation, junge Offensiv-Stars wie Timo Werner und Kai Havertz saßen fast die komplette Spielzeit auf der Bank. Immer wieder wechselte Löw in den vergangenen Partien durch, eine Stammelf ist nicht zu erkennen. Spieler, die im Verein nicht zum Zug kommen, wie Dortmunds Nico Schulz, reisen zur Nationalmannschaft.

Beim 3:3 gegen die Türkei verspielte das DFB-Team gleich dreimal eine Führung, beim 1:1 gegen Spanien im Herbst kassierte Deutschland den späten Ausgleich, nachdem Löw sehr defensiv ausgewechselt hatte. Löw sortierte Thomas Müller und Jerome Boateng aus, was grundsätzlich eine nachvollziehbare Entscheidung war, um den Neustart nach der WM 2018 anzugehen. Da er dies aber endgültig tat, gab es kein Zurück, als beide unter Hansi Flick beim FC Bayern wieder groß aufspielten.

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Löw traf schon früher kontroverse Entscheidungen

Die kontroversen Personalentscheidungen des Bundestrainers sind aber kein Phänomen der letzten zwei Jahre, schon zuvor sorgten seine Maßnahmen immer wieder für Aufregung. Etwa als er Leroy Sane aus dem Aufgebot für die WM 2018 strich. Oder als bei der WM 2014 den kantigen Innenverteidiger Shkodran Mustafi im Achtelfinale gegen Algerien hinten rechts aufbot, wo dieser mit den kleinen, wendigen Angreifern der Algerier seine liebe Mühe hatte. Oder als ausgerechnet Feingeist Toni Kroos den italienischen Spielmacher Andrea Pirlo im Halbfinale der EM 2012 ausschalten sollte - was überhaupt nicht funktionierte.

Letztlich gab Löw das gute Abschneiden meistens Recht, der WM-Titel 2014 macht ihn in gewisser Weise unangreifbar. Doch nun scheint dieser Bonus so langsam aufgebraucht, der Bundestrainer und die Nationalmannschaft, nach dem WM-Debakel in gewisser Weise auf Bewährung, schaffen es nicht, die Herzen der Zuschauer zurückzugewinnen. Die Entfremdung zwischen Fans und der Mannschaft, einst Deutschlands liebstes Kind, wird immer größer. Das ist nicht nur Löws Schuld, aber er hat seinen Anteil daran.

Kann sich Löw noch neu erfinden?

Denn eigentlich sind die Voraussetzungen alles andere als schlecht. Der FC Bayern gewann gerade mit einer ganze Reihe Nationalspielern die Champions League, dazu kommen Spieler wie Werner oder Havertz, die für hohe Ablösesummen in die Premier League gewechselt sind. Das DFB-Team hat unter weit schlechteren personellen Bedingungen schon große Erfolge gefeiert, man denke etwa an die Vizeweltmeisterschaft 2002.

Das Potenzial dieser Mannschaft mit Blick auf die EM 2021 abzurufen, ist nun der Job des Bundestrainers. "Wir haben einen Plan, und den wollen wir durchsetzen. Jetzt denkt mancher vielleicht, ich bin arrogant. Aber wir werden unseren Plan trotzdem durchführen, um eine junge und hungrige Mannschaft zur EM zu bringen", sagte Löw vor dem Nations League-Spiel gegen die Schweiz am Dienstag (20:45 Uhr im Liveticker auf ran.de). Klar zu erkennen ist dieser Plan bislang aber nicht, was eben auch die prominenten Kritiker bemängelten.

Joachim Löw macht nach 16 Jahren im Amt des Bundestrainers nicht den Eindruck, sich neu erfinden zu wollen. Das müsste er aber wohl, um die Euphorie rund um die Nationalmannschaft wieder zu wecken und die Kritiker verstummen zu lassen.

Christian Stüwe

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