Premier League
FC Arsenal: Der späte Durchbruch von Wunderkind Martin Ödegaard
- Aktualisiert: 22.01.2023
- 15:30 Uhr
- ran.de
Himmel, Hölle und zurück: Mit 16 Jahren galt Martin Ödegaard als Jahrhundert-Talent. Sechs Jahre später, bei seinem Abschied von Real Madrid, als Transferflop, als uneinglöstes Versprechen. Erst jetzt beim FC Arsenal gelingt dem einstigen Wunderkind der späte Durchbruch.
Von Carolin Blüchel
München - "England liegt Ödegaard zu Füßen", hatte die "Daily Mail" schon vor wenigen Wochen getitelt. Seitdem zeigt der Kapitän des FC Arsenal Spieltag für Spieltag, warum. Am Sonntag gegen Manchester United (ab 17:30 Uhr im Liveticker) kann er es erneut unter Beweis stellen.
Ausgerechnet Martin Ödegaard, das ewige Jahrhundert-Talent. Mit 16 Jahren war der Norweger im Winter 2015 mit tonnenweise Vorschusslorbeeren von Strömsgodset IF zu Real Madrid gewechselt. Doch der Durchbruch blieb aus.
Nach mehreren Leihen verkauften die "Königlichen" ihren Transferflop für eine verhältnismäßig niedrige Ablöse an den FC Arsenal. Ein Glücksfall, wie sich herausstellte. Bei den Londonern ging beim mit 24 Jahren immer noch jungen Offensiv-Juwel endlich der Knoten auf. Ödegaard ist in der Weltspitze angekommen.
Arsenal auf Meisterkurs
In dieser Saison führt er sein Team zielstrebig in Richtung Meisterschaft. Der ersten seit dem Triumph der "Unbesiegbaren" im Jahr 2003/2004. Nach zwölf ungeschlagenen Spielen in Folge steht Arsenal derzeit auf Platz eins der Premier League – bereits fünf Punkte vor Manchester City, bei einem Spiel weniger.
"Die Premier League verneigt sich vor seinem neuen Phänomen", schreibt die spanische "AS". Es stimmt. Ödegaard wird auf der Insel von Fans und Experten aktuell als bester Spieler der Liga gefeiert. Noch vor Stars wie Kevin De Bruyne oder Erling Haaland.
Arsenals Trainerlegende Arsene Wenger kam im norwegischen TV zuletzt aus dem Schwärmen nicht mehr heraus. "Ich mag ihn und die Art und Weise, wie er den Fußball so einfach aussehen lässt. Er hat sich sehr gut entwickelt. Es ist erstaunlich."
Geht es nach dem aktuellen "Gunners"-Coach Mikel Arteta, ist der 24-Jährige trotz Topform noch lange nicht an seinem Leistungszenit angelangt: "Er kann in allem noch besser werden. Er will es wahrscheinlich mehr als jeder andere auf diesem Platz, jeden Tag. Er wird ganz oben sein."
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Europäische Topklubs jagten Teenager Ödegaard
Wie es sich dort anfühlt, dürfte Ödegaard noch vage in Erinnerung haben. Schon Ende 2014 war er als jüngster norwegischer Nationalspieler einst von nahezu allen europäischen Topklubs umworben worden. Real Madrid, FC Barcelona, FC Liverpool, Manchester City, Manchester United, FC Arsenal, FC Bayern München, Borussia Dortmund, Ajax Amsterdam, die Liste ließe sich beliebig fortführen.
Die Familie begab sich auf Europa-Tour, der Junior absolvierte Probetrainings am Fließband. Und die Vereine überboten sich gegenseitig. Doch um Geld ging es den Ödegaards zumindest nicht in allererster Linie.
Vater Hans, selbst ein ehemaliger Fußballer, wollte sicher gehen, dass sein Sohn schon in jungen Jahren mit den Besten trainierte. Real Madrid war seinerzeit der einzige Klub, der dieses Versprechen abgab.
Das Offensiv-Talent sollte mit den Topstars um Cristiano Ronaldo trainieren und durch Spielpraxis in der zweiten Mannschaft schnell an die "Galaktischen" herangeführt werden. Mit Zinedine Zidane als Trainer der zweiten Mannschaft hatte Real einen gewichtigen Trumpf im Ärmel.
Ödegaard: Absturz eines Wunderkindes
Ein cleverer Schachzug im Wettbieten dürfte auch gewesen sein, dass Vater Hans Ödegaard als U11-Trainer verpflichtet wurde. Millionengehalt inklusive. Was dann passierte, war der dramatische Absturz eines Wunderkindes.
Weil er kaum mit der zweiten Mannschaft trainierte, war Ödegaard weder spielerisch noch menschlich ins Team integriert. Das sorgte für miese Stimmung. Als auch noch die Leistungen ausblieben, verschlechterte sich dem Vernehmen nach auch das Verhältnis zu Zidane.
Bei den Profis war gegen namhafte Konkurrenz wie Toni Kroos, Luka Modric, Casemiro, Isco und Federico Valverde sowieso kein Kraut gewachsen. In sechs Jahren kam Ödegaard somit auf magere elf Einsätze. Reals Versprechen löste sich in Luft auf.
Ödegaard wird immer wieder verliehen
Der Norweger flüchtete zwischendurch in die Niederlande, zunächst auf Leihbasis nach Heerenveen, dann nach Arnheim. So wirklich überzeugen konnte er nicht, auch wenn leichte Steigerungen abseits der großen Öffentlichkeit durchaus erkennbar waren.
Erst in der Saison 2019/2020 bei Real Sociedad (ebenfalls auf Leihbasis) stellte Ödegaard sein großes Talent endlich konstant unter Beweis. Mit dem Verein aus San Sebastian gewann er den spanischen Pokal und wurde in "La Liga" überraschend respektabler Sechster.
Zidane, mittlerweile Cheftrainer bei Real, holte ihn zurück, nur um ihn im Winter 2021 wieder enttäuscht an den FC Arsenal auszuleihen.
Durchbruch beim FC Arsenal
Die "Gunners" befanden sich damals mitten im Umbruch. Trainer Arteta war im Begriff, eine junge, schlagkräfte Truppe mit Zukunftsperspektive aufzubauen. Ödegaard passte offenbar ins Konzept des früheren Guardiola-Assistenten. Trotz durchschnittlicher Leistungen in der Rückrunde eiste Arsenal den offensiven Mittelfeldspieler nach Saisonende für 35 Millionen Euro aus Madrid los.
Arteta baute das frustrierte Talent neu auf. Er suchte das Gespräch mit dem sensiblen Norweger, band ihn frühzeitig in Entscheidungen mit ein, übergab ihm Verantwortung und Vertrauen. Ödegaard zahlte alles zurück.
Von Beginn an zog er die Strippen im offensiven Mittelfeld. Ob als Torschütze, Vorbereiter oder kreatives Gehirn der "Gunners". Ödegaard wurde zur heißesten Waffe. Folgerichtig machte ihn Arteta noch in derselben Saison zum Kapitän.
Der Hype um sein Talent habe ihn lange belastet, so der Coach damals über seinen Schützling: "Jetzt hat er seinen Platz gefunden. Er ist wirklich glücklich hier. Er hat das Umfeld, die Leute und die Spielanteile, um es zu genießen."
Arsenal profitiert von Reals Ungeduld
Dabei glänzt Ödeegard nicht nur spielerisch. Seine zurückhaltende Art gepaart mit der skandinavischen Kämpfer-Mentalität haben den Blondschopf längst zum neuen Publikumsliebling gemacht. In der Kabine wird er trotz seines jungen Alters als Ratgeber geschätzt. Die lange ungewohnte Zuneigung scheint das frühere Wunderkind noch mehr zu beflügeln.
Und während sich die Vereinsbosse in Madrid verwundert die Augen reiben, kann sich Arsenal-Ikone Ian Wright einen galaktischen Seitenhieb nicht verkneifen: "Das ist ein Junge, den Real Madrid gekauft hat, als er noch 15 war. Sie sahen etwas in ihm, hatten aber offensichtlich nicht die Geduld, um die Früchte zu ernten. Davon profitiert Arsenal jetzt vielleicht."
Vielleicht hat es aber auch einfach einen einfühlsamen Trainer wie Arteta gebraucht, um beim ewigen Talent die richtigen Knöpfe zu drücken.