Fußball-WM der Frauen
DFB-Frauen bei der WM: Das Scheitern bahnte sich an
- Aktualisiert: 04.08.2023
- 17:27 Uhr
- Justin Kraft
Einen Tag nach dem bitteren wie blamablen WM-Aus beginnt bei der Frauen-Nationalmannschaft die Ursachenforschung. Einige Gründe für das Scheitern sind tief im DFB verankert.
Die Fassungslosigkeit und Enttäuschung stand den Spielerinnen ins Gesicht geschrieben, mit einer Analyse taten sie sich schwer. Selbst Alexandra Popp fand kurz nach dem 1:1 gegen Südkorea und dem damit verbundenen frühen Aus bei der WM 2023 keine Worte für das, was passiert war.
Das, was passiert ist, überraschte intern alle. So sehr, dass laut "dpa" nicht alle Spielerinnen und Delegationsmitglieder in einem oder zwei Fliegern untergebracht werden konnten. Man hatte fest mit dem Achtelfinale geplant.
So sehr, dass selbst das Szenario, als Gruppenzweite die K.-o.-Runde zu erreichen, nicht wirklich Thema gewesen sein soll – bis zur Niederlage gegen Kolumbien. Erst dann sollen kurzfristige Reisepläne für den Fall der Fälle entworfen worden sein.
Dem Team fehle es an "positiver Arroganz", analysierte "ZDF"-Kommentatorin Claudia Neumann während des harmlosen Auftritts am Donnerstag. Arroganz fehlt dem DFB offenbar nicht – ohne positiv. Das sollte ein Teil der Analyse sein, die jetzt dringend notwendig sein wird.
Denn die Europameisterschaft scheint offenbar die Ausnahme gewesen zu sein und nicht die Regel. Ein Ereignis, das geprägt war durch einen besonderen Turnierverlauf, einen großen Teamgeist und das nötige Quäntchen Glück, das man im Turnier immer benötigt.
DFB-Frauen: Es gibt keine Ausreden
Man könnte es sich jetzt natürlich einfach machen. Marina Hegering war nicht fit, mit Carolin Simon fiel eine wichtige Spielerin kurz vorher aus, Lena Oberdorf stand in der Vorbereitung nicht zur Verfügung, Giulia Gwinn und auch Linda Dallmann fehlten – diese Liste könnte man sogar noch fortführen. Ausfälle sind sicher ein Grund dafür, dass dieses Team nie den Rhythmus fand.
Doch die Qualität im Kader wäre da gewesen. Nicht nur, wenn man auf die Spielerinnen blickt, die mitgereist sind. Maximiliane Rall vom FC Bayern München wurde beispielsweise daheimgelassen, obwohl sie die Defensive um ein Profil hätte ergänzen können, das es so nicht gab. Die 29-Jährige kann viele verschiedene Positionen spielen und sie hat ein besseres Feingefühl für die Balance aus Defensive und Offensive als beispielsweise Svenja Huth.
Huth war die Kompromisslösung für die rechte Abwehrseite. Eine Angreiferin, die Gwinn vertreten sollte. Schon in der Vorbereitung war absehbar, dass das kompliziert wird, dass defensiv zu viele Löcher vorhanden sind. Trotzdem blieb Martina Voss-Tecklenburg bei ihrer Entscheidung. Nachdem sich auch noch Felicitas Rauch verletzte, bestand die Abwehr nur noch aus zwei echten Defensivspielerinnen. Dass das zu eklatanten Abstimmungsproblemen führen könnte, war absehbar. Südkorea und Kolumbien spielten das aus.
Es ist eine von vielen Entscheidungen, mit der die Bundestrainerin diesmal kein gutes Händchen bewies. Auch im Mittelfeld fand sie nie die notwendige Stabilität. Die Mischung stimmte nicht. Große Abstände, wenig Ruhe am Ball, schwaches Positionsspiel – Dinge, die auch Lena Lattwein kritisch anmerkte. Eine Spielerin, die für den VfL Wolfsburg neben Oberdorf zu einer wichtigen Säule gereift ist – in der Nationalelf hinter einer oft zu blassen Sara Däbritz keine Rolle spielt.
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DFB-Frauen: Taktisch und strategisch nicht überzeugend
Neben personellen Entscheidungen muss sich die Bundestrainerin auch fragen, ob sie den Unterschied zwischen Europameisterschaft und Weltmeisterschaft unterschätzt hat. Es war absehbar, dass Deutschland in allen drei Gruppenspielen den Ball bekommen würde. Und es war klar, dass das in der Vergangenheit ein großes Problem war.
Bei der EM waren Dänemark, Spanien, Frankreich und England deshalb "dankbare" Gegner, weil sie selbst mitspielen wollten und offensiv agierten. Es ist kein Zufall, dass Deutschland sich mit Österreich damals besonders schwertat.
Frauen-WM - Deutschland gegen Südkorea: Die DFB-Noten zum WM-Aus
Ohnehin ist dieses Auftreten bei der WM keine große Anomalie. Dem Team fehlt es an Lösungen gegen Abwehrreihen, die nicht nur recht tief und kompakt organisiert sind, sondern auch aggressiv das Mittelfeld unter Druck setzen. Technische Fehler, Unsauberkeiten und in der Konsequenz auch Fehlpässe – all das entsteht bei Spielerinnen dieser Qualität unter Druck und genau dann, wenn nicht klar ist, was als nächstes passiert.
Die Ideenlosigkeit gipfelte in den einzigen zwei Mustern, die tatsächlich als solche bezeichnet werden konnten. Zunächst wäre da der hohe Schlag auf Alexandra Popp, verbunden mit der Hoffnung, dass die Wolfsburgerin etwas damit anfangen kann. Die zweite spielerische "Variante" war das Flügelspiel. Dem Druck im Zentrum entgehen und hoffen, dass Klara Bühl, Jule Brand oder die aufrückende Huth mit ihrer individuellen Qualität etwas erreichen. Meist dribbelten sich diese Spielerinnen aber fest, weil sie keine Anschlussoptionen hatten.
DFB-Frauen: Individualismus statt kollektive Unterstützung
Der Halbraum war erschreckend leer, wenn Bühl beispielsweise andribbelte. Da muss die Frage gestattet sein, von welchen "Räumen" die Bundestrainerin immer wieder sprach, wenn sie erklärte, wohin man eigentlich wollte. In Deutschland gibt es seit einigen Jahren übergreifende Debatten darüber, was falsch läuft.
Zu wenig Straßenfußball, zu viel Analytik, zu wenig Individualität? Zumindest auf die Frauen kann das nicht zutreffen. Zockerinnen und Spielerinnen, die es über Dribblings und Überraschungsmomente versuchen wollen, gibt es genug. Struktur hingegen ist Mangelware. Voss-Tecklenburg hat keinen Rahmen gefunden, in dem ihre Spielerinnen sich entfalten können. Stattdessen schien jede auf sich allein gestellt zu sein.
Bei kaum jemandem fiel das so dramatisch auf wie bei Lina Magull. Die Kapitänin des FC Bayern hing komplett in der Luft, hatte bei ihren zwei Auftritten so gut wie keine Aktionen. Ständig rannte das deutsche Team in Unterzahlsituationen, selten hatte es Lösungen dafür parat.
Der Vergleich mit den Männern hinkt an vielen Stellen, aber hier ist ein Problem in der generellen Ausbildung des DFB unverkennbar. Über den kompletten deutschen Profifußball zieht sich dieses Manko, die Ratlosigkeit in der Spielgestaltung.
DFB hat als Gesamtverband ein großes Problem
Auch das ist Teil der Arroganz, die den DFB als Verband umgibt. Einerseits die immer gleichen Parolen von Demut und kritischem Hinterfragen. Andererseits die immer gleichen Probleme seit vielen Jahren, die darauf hindeuten, dass sie nicht ernst genug genommen werden. Deutschland kann sich nicht mehr ausruhen auf dem Talent der Spielerinnen.
Dafür sind andere Nationen zu stark geworden. Die Spitze des Weltfußballs ist enorm breit und auch die vermeintlich "Kleinen" wissen, wie man verteidigt. Es ist aus deutscher Sicht besorgniserregend, mit welcher Selbstverständlichkeit Colin Bell nach der Partie sagte, dass Deutschland "alles versucht" habe. Der Trainer von Südkorea legte damit ganz unbewusst den Finger in die Wunde. "Alles" reicht nicht aus, um Südkorea zu schlagen.
Das Streben nach Titeln liegt in der Fußball-DNA dieses Landes. Doch bevor auch nur ein Titel wieder eine Rolle spielen kann, sollte Grundlegendes stimmen. In der Ausbildung, aber auch im A-Nationalteam selbst. Mit einer der in den vergangenen Jahren häufig erfolgten "Wird schon"-Analysen wird man nicht mehr weiterkommen.
Es muss jeder Stein umgedreht und geprüft werden. Von den Spielerinnen über die Bundestrainerin bis hin zur Verbandsspitze, die das sportliche Scheitern auf allen Ebenen nicht mehr als Zufall abtun kann. Doch gerade auf der höchsten Ebene des DFB, wo seit Jahren derselbe Schlag an Verantwortlichen die Entscheidungen trifft, ist kaum mit einem progressiven Aufbruch zu rechnen.
Fassungslosigkeit und Enttäuschung sind in den zurückliegenden Jahren stete Begleiter gewesen – mit wenigen Ausnahmen. Jetzt scheint es aber auch diese Ausnahmen getroffen zu haben. Der DFB hat ein riesiges Problem.