Martina Voss-Tecklenburg: Eine offene Debatte um sie ist nötig! Ein Kommentar
Aktualisiert: 05.08.2023
15:22 Uhr
Justin Kraft
Martina Voss-Tecklenburg und der DFB haben wenige Stunden nach dem Aus der Frauen bei der WM verkündet, dass die Zusammenarbeit fortgeführt wird. Eine offene Debatte um die Bundestrainerin wäre jedoch angebracht gewesen. Ein Kommentar.
Martina Voss-Tecklenburg macht weiter. Das gab die Bundestrainerin gemeinsam mit dem DFB bekannt.
Ein "Weiter so" werde es nicht geben, versprach sie. Doch das zu glauben, fällt schwer. Im Gegenteil erinnert vieles derzeit an die Situation, die die Nationalmannschaft der Männer im Jahr 2018 durchlebte.
Damals kündigte Joachim Löw weitreichende Maßnahmen an. Auch da sollte es kein "Weiter so" geben. Doch die Leistungskurve ging steil nach unten, die Probleme blieben.
Ähnlich wie einst Löw muss Voss-Tecklenburg gerade einen Generationenwechsel bewältigen. Weg von Spielerinnen, die das Nationalteam über Jahre geprägt haben und hin zu jungen Talenten, die auf dem höchsten Niveau geformt werden müssen.
Wie schon ihr Vorgänger Horst Hrubesch und dessen Vorgängerin Steffi Jones scheitert sie bisher daran, die richtige Balance im Team zu finden.
Anzeige
DFB-Frauen: Es fehlt eine überzeugende Spielidee
Ja, da war diese Europameisterschaft, bei der das Team alle verzaubern konnte. Doch fußballerisch ist die Entwicklung, klammert man dieses Turnier mal aus, rückläufig. Und selbst in England zeigte die DFB-Elf in Ansätzen jene Schwächen, die ihr nun auf die Füße fielen. (Hier geht es zur ausführlichen Analyse)
Deutschland hat herausragende Fußballerinnen. Doch Deutschland hat, so muss man es mittlerweile feststellen, keine überzeugende Spielidee. Kritik gab es dazu auch aus dem Kreis der Spielerinnen – wenn auch sehr vorsichtig. Lena Lattwein beispielsweise merkte an, dass die Abstände im Mittelfeld nicht passten, das Positionsspiel nicht gut genug sei. Das ist nicht neu. Schon vor der EM und zwischen den beiden Turnieren kam das Team dahingehend nie in einen Rhythmus.
Es ist Kritik, die unweigerlich auf das Trainerteam zurückzuführen ist. Joti Chatzialexiou, Sportlicher Leiter der Nationalmannschaft, erklärte nach dem Ausscheiden, dass die Leistungsspitze in Deutschland nicht breit genug sei. Doch das greift viel zu kurz. Gerade in Mittelfeld und Angriff gibt es kaum einen Kader auf der Welt, der so viele Spielerinnen auf Top-Niveau hat. Dafür muss man seinen Blick aber weiten.
Externer Inhalt
Dieser Inhalt stammt von externen Anbietern wie Facebook, Instagram oder Youtube. Aktiviere bitte Personalisierte Anzeigen und Inhalte sowie Anbieter außerhalb des CMP Standards, um diese Inhalte anzuzeigen.
DFB-Frauen: Voss-Tecklenburg macht sich angreifbar
Voss-Tecklenburg stritt zuletzt ab, zu viel auf Wolfsburg-Spielerinnen zu setzen. Gegen Südkorea standen acht VfL-Profis in der Startelf. Mit Chantal Hagel, die im Vergleich zur Frankfurterin Sophia Kleinherne eher im Mittelfeld zu Hause ist, wurde die verletzte Felicitas Rauch durch eine Klubkollegin ersetzt.
Die besondere Verbindung nach Wolfsburg ist in den letzten Tagen medial kritisch beäugt worden. In der Vergangenheit gab es schon häufiger Entscheidungen gegen formstarke Spielerinnen und für formschwache Wolfsburgerinnen.
Fußball-WM 2023: Die Gewinner und Verlierer der Gruppenphase
Die Gewinner und Verlierer der WM-Gruppenphase So schnell geht es: Vor wenigen Tagen fand noch die Eröffnungsfeier der Weltmeisterschaft 2023 in Australien und Neuseeland statt und schon stehen die Achtelfinals auf dem Programm. Einiges ist seitdem passiert und ran zeigt die großen Gewinner sowie Verlierer des bisherigen Turniers.
Verlierer: Norwegen Für Norwegen droht diese WM abermals eine Enttäuschung zu werden. Zwar ist die Erwartungshaltung nach der schwachen Europameisterschaft im vergangenen Jahr gesunken, doch bei diesem Turnier unterstreichen sie, dass sie nicht mehr zu den Top-Nationen gehören. Fußballerisch war das in den beiden ersten Partien dünn. Lediglich das letzte Spiel gegen die Philippinen konnte man souverän gewinnen. Im Achtelfinale droht gegen Japan das frühe Aus.
Gewinner: Nigeria Die Afrikanerinnen haben sich in einer Gruppe mit Kanada, Australien und Irland etwas überraschend durchsetzen können. Ein 0:0 gegen Olympiasieger Kanada trotz Unterzahl, ein 3:2-Sieg gegen die Gastgeberinnen aus Australien und letztlich das 0:0 gegen Irland ebneten den Weg ins Achtelfinale. Dort treffen die Nigerianerinnen auf England. Ein Highlight war dieses Turnier für sie jetzt schon.
Verlierer: USA Die USA galten als hochfavorisiert. In einer Gruppe mit den Niederlanden, Vietnam und Portugal reichte es allerdings nur knapp zum zweiten Platz. Beim 0:0 gegen Portugal stand der Einzug in die K.-o.-Phase sogar auf der Kippe. Mit den US-Amerikanerinnen ist weiterhin zu rechnen, doch die überraschend holprige Gruppenphase gibt zu Denken – und beschert ihnen ein mögliches Viertelfinale gegen die Überfliegerinnen aus Japan.
Gewinner: Japan Die Japanerinnen spielen nämlich einen unglaublich ansehnlichen und kompletten Fußball. Defensiv diszipliniert und stabil, stark im Umschaltverhalten und auch in Ballbesitz mit klugen Ideen. Nur wenige hatten Japan in diesem Jahr auf dem Zettel, doch nach dieser Gruppenphase zählen sie zweifelsohne zu den Top-Favoriten.
Verlierer: Kanada Das frühe WM-Aus ist eine Überraschung – oder doch nicht? In jedem Fall war die Erwartungshaltung an ein Team dieser Qualität eine andere. Doch Kanada hatte eine suboptimale Vorbereitung, um es diplomatisch zu formulieren. Die Spielerinnen hatten in den vergangenen Monaten einen langen Kampf um eine gerechte Behandlung geführt. Das dürfte auch die WM beeinflusst haben.
Gewinner: Niederlande Die Niederländerinnen hatten zuletzt keine einfache Zeit. Verletzungen von Schlüsselspielerinnen wie Miedema und das eine oder andere ernüchternde Ergebnis dämpften die Stimmung bei den Vize-Weltmeisterinnen. Doch in der Gruppenphase steigerten sie sich von Spiel zu Spiel, schlugen erst Portugal mit 1:0 und holten dann ein 1:1 gegen die USA. Das 7:0 gegen den Vietnam brachte sie ins Achtelfinale.
Verlierer: Deutschland Der Auftakt war fulminant, der weitere Verlauf maximal enttäuschend: Trotz eines 6:0-Siegs gegen Marokko blieb man leistungstechnisch unter seinen Möglichkeiten. Es folgten eine 1:2-Niederlage gegen Kolumbien und schließlich das erste Aus in der Gruppenphase einer WM überhaupt, weil ein 1:1 gegen Südkorea nicht reichte.
Gewinner: Kolumbien Kolumbien hingegen wusste zu überzeugen und schloss die deutsche Gruppe auf dem ersten Platz ab. Vor dem Turnier standen die Kolumbianerinnen wegen einer vermeintlich zu harten Spielweise in der Kritik. Hier und da war zu erkennen, woher diese rührt. Doch letztendlich blieb alles im Rahmen. Nicht zu kurz kommen sollte, dass Kolumbien ganz nebenbei einen technisch sehr sauberen Fußball spielte.
Verlierer: Spanien An sich ist es kein Drama für die Spanierinnen, hinter Japan auf dem zweiten Platz in die K.-o.-Runde einzuziehen. Zumal dort womöglich ein Turnierverlauf auf sie wartet, der ihnen liegen könnte: Erst die Schweiz und dann die Niederlande oder Südafrika. Trotzdem war die herbe 0:4-Klatsche gegen Japan ein Stimmungsdämpfer. Die Zweifel am ersten Erfolg bei einem großen Turnier sind wieder gewachsen.
Gewinner: Schweden Souverän. Einen anderen Ausdruck gibt es für die Schwedinnen nicht, die ihr Ding durchziehen und ihre Gruppe dominiert haben. Schweden spielt sicher nicht den attraktivsten oder spektakulärsten Fußball, doch die Spielerinnen sind gut aufeinander abgestimmt und es ist schwer, gegen sie Tore zu erzielen. Allerdings gab es auch noch keinen echten Gradmesser. Der folgt nun im Achtelfinale gegen die USA.
Verlierer: Brasilien Brasilien ist einer der Topfavoriten, der es nicht einmal ins Achtelfinale geschafft hat. Nach einem furiosen Auftaktspiel und einem engen und ansehnlichen Duell mit Frankreich, kam der ideenlose Auftritt gegen Jamaika durchaus überraschend. Für Legende Marta war es sehr wahrscheinlich die letzte Möglichkeit, endlich Weltmeisterin zu werden.
Gewinner: Jamaika Die Jamaikanerinnen sind vielleicht die größte Überraschung der Gruppenphase. Immerhin setzten sie sich in einer Gruppe mit Frankreich und Brasilien durch. Im letzten Spiel erkämpfte sich Jamaika ein 0:0 gegen zuvor durchaus starke Brasilianerinnen. Vor allem die starke Defensive überzeugte. Mit einem Torverhältnis von 1:0 geht es in die nächste Runde. Dort wartet nun Kolumbien.
Verlierer: Italien Italien zählt zwar noch lange nicht zu den großen Nationen des Frauenfußballs, doch die Erwartungshaltung ist in den vergangenen Jahren gestiegen. Schon bei der Europameisterschaft gehörte das talentierte Team zu den Geheimtipps, wenn es um positive Überraschungen geht. Sang- und klanglos schied man in der Gruppenphase aus. Diesmal war es enger, aber erneut nicht genug.
Gewinner: Die "Kleinen" Vor der WM haben viele die Aufstockung auf 32 Teams kritisch gesehen. Zu gering wäre die Qualität in der Breite, zu langweilig könnte die Gruppenphase werden. Die "kleinen" Nationen haben nun aber gezeigt, dass sie ordentlich Qualität haben. Favoriten sind ausgeschieden, während Marokko, Südafrika, Nigeria und Jamaika im Achtelfinale stehen. Selbst Nationen wie Panama, Vietnam oder Haiti, die chancenlos waren, zeigten einen großen Kampf. Die Entscheidung zur Aufstockung war absolut richtig.
Nicole Anyomi, Laura Freigang oder eben Kleinherne – allein bei Eintracht Frankfurt gibt es zahlreiche Spielerinnen, die in den vergangenen Monaten trotz starker Verfassung keine echte Chance bekamen. Ganz zu schweigen vom SC Freiburg oder der SGS Essen, die viele Talente hervorbringen. Ähnlich ist es Carolin Simon vom FC Bayern München bis vor Kurzem ergangen.
Mit Maximiliane Rall hat sie eine Teamkollegin, die zu Hause bleiben musste, obwohl ihr flexibles Profil auf der Außenbahn dringend gebraucht worden wäre. Voss-Tecklenburg setzt lieber auf vermeintlich Bewährtes, als Neuem eine Chance zu geben. Damit macht sie sich das Leben nicht nur selbst schwer, sondern sich auch angreifbar.
Anzeige
DFB hätte über Voss-Tecklenburg stärker diskutieren sollen
Vor der EM hat die Bundestrainerin eindrucksvoll bewiesen, dass sie reflektiert ist und dass sie in der Lage ist, ihre Arbeitsprozesse zu verändern. Aus Kreisen der Spielerinnen war damals zu hören, dass Voss-Tecklenburg entspannter, gelassener und vertrauensvoller im Umgang mit ihnen gewesen sei. Nicht mehr so verbissen. Das war Teil des Erfolgsrezepts.
Doch kann sie das auch im taktischen Bereich umsetzen? Nach dem frühen Ausscheiden bei der WM muss man das infrage stellen. Deutschland ist wieder da, wo man vor der Euro 2022 war: Abgehangen und weit weg von dem, was die Topfavoriten bei der WM zeigen. Zwischen den DFB-Frauen 2018 und jenen von heute gibt es keine großen Unterschiede. Die Entwicklung fehlt.
Statt wenige Stunden nach dem bitteren Aus das Fortführen der Zusammenarbeit zu verkünden, hätte man erstmal mit Abstand in die Analyse gehen sollen. Die Option einer weitreichenden Veränderung im Trainerteam hat nichts mit Weglaufen zu tun. Viel mehr hätte es Größe gezeigt, das stärker zur Diskussion zu stellen. Wenn auch erstmal ergebnisoffen und mit allem Respekt vor Voss-Tecklenburgs Verdiensten.