WM 2022
WM 2022 - Fans, Sponsoren, Liga: Das DFB-Aus und die Folgen für den deutschen Fußball
- Aktualisiert: 06.12.2022
- 14:18 Uhr
- ran.de
Das blamable Vorrunden-Aus bei der WM in Katar stürzt den deutschen Fußball in eine Krise. Die Gründe dafür sind allerdings schon seit Jahren bekannt: Entfremdung, anhaltende Nachwuchsprobleme und fehlenden Kompetenz im Verband.
Von Carolin Blüchel
München - Im katarischen TV hielten sie sich den Mund zu und winkten zum Abschied. Als hämische Reaktion auf den Mund-zu-One-Love-Protest der DFB-Elf gegen die Fifa vor dem Japan-Spiel.
Viel schlimmer sind aber der Spott oder zumindest die Gleichgültigkeit in Deutschland nach dem Vorrunden-Aus der Nationalmannschaft bei der WM. Nur 17,43 Millionen sahen das entscheidende Gruppenspiel gegen Costa Rica in der "ARD". Eine halbe Million weniger als das EM-Finale der deutschen Frauen gegen England im Sommer.
Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass mit "Magenta TV" ein zweiter großer Sender das Spiel übertrug, wenn auch nur im Pay-TV. Sei's drum. Die schwindende Unterstützung blieb selbst den Protagonisten nicht verborgen.
"Ich habe das erste Mal miterlebt, dass man teilweise das Gefühl hatte, ob sich nicht der eine oder andere online sogar ein bisschen mehr über Misserfolg freut", klagte Niclas Füllkrug. Sein Gefühl täuschte ihn nicht.
WM-Stimmung wollte hierzulande nicht aufkommen. Das umstrittene Gastgeberland dürfte dabei aber nur ein kleiner Mosaikstein gewesen sein.
DFB-Team: Entfremdung von den Fans
Vielmehr hat sich die Nationalmannschaft längst von ihren Fans entfremdet. Es ist die Folge eines jahrelangen Missmanagements des DFB.
"Für mich ist der Funke nicht unbedingt übergesprungen", stellte "ARD"-Experte Bastian Schweinsteiger nüchtern fest. Vom 2014er-Flair ist nichts mehr geblieben. Beängstigend, angesichts der Tatsache, dass die Europameisterschaft 2024 in Deutschland stattfinden wird.
Eine neue Erkenntnis ist das nicht. Bereits nach den erfolglosen Welt- und Europameisterschaften 2018 und 2021 hielt sich der Vorwurf hartnäckig, die Nationalmannschaft sei zu unnahbar, um sich mit ihr identifizieren zu können.
Es muss sich wie Hohn anfühlen, wenn DFB-Direktor Oliver Bierhoff bei vereinzelten öffentlichen Trainingseinheiten medienwirksam davon spricht, dass es das Wichtigste für die Kinder sei, ihre Idole zu treffen.
Externer Inhalt
DFB-Team: Abschottung in der Wüste Katars
In der Realität nämlich schottete sich die Nationalmannschaft in Katar einmal mehr von der Öffentlichkeit ab. Das Trainingsgelände, 100 Kilometer von Doha entfernt, war selbst für Journalisten schwer zu erreichen. Und hermetisch von Sicherheitskräften abgeriegelt.
Mit einer erfolgreichen WM und Gänsehaut-Auftritten hätte die DFB-Elf das Ruder trotzdem herumreißen können. Der Nationalmannschafts-Anhänger ist tendenziell Erfolgs-Fan.
Was den Fußball in Deutschland betrifft, war es vielleicht sogar ein Segen, dass es anders kam. Nach dem dritten Pleiten-Turnier in Folge geht an Konsequenzen eigentlich kein Weg mehr vorbei. Selbst Sponsoren kehren dem DFB schon den Rücken. Wobei das bereits im Vorfeld beendete Rewe-Engagement nur eine Randnotiz ist.
Angesichts des Krieges in der Ukraine und der damit verbundenen Wirtschaftskrise ist für viele Unternehmen Sponsoring ein Luxus, den sie sich gerade nicht leisten können - oder wollen. Und wenn, dann eben nur in einen strahlenden Werbeträger. Doch wer investiert schon gerne in ein sinkendes Schiff?
Ex-Sportdirektor Dutt prognostizierte Krise vor zehn Jahren
Typisch für eine Krise: Kritiker kommen jetzt von überall her. So zum Beispiel Robin Dutt, der von 2012 bis 2013 DFB-Sportdirektor war.
Heute sagt er: "Ich habe damals schon auf zwei Dinge vorausgeschaut. Dass die Nationen von der Leistungsdichte enger zusammenrücken und man nicht mehr automatisch Halbfinal-Plätze erreicht. Und wir haben damals schon auf die Problematik in der Defensive hingewiesen."
Vor allem die Außenverteidiger und die Ausbildung klassischer Stürmer seien ein Problem gewesen, erklärte Dutt bei "Sky" weiter.
Damals wie heute war die Nachwuchsarbeit ein Problem.
Weil Dutt vom behäbig agierenden Verband nicht gehört wurde, warf er schon ein Jahr später frustriert hin. Er habe nun zehn Jahre geschwiegen, aber jetzt sehe er die Möglichkeit "etwas Öl ins Feuer zu gießen", damit sich die Dinge vielleicht diesmal schneller ändern.
Dutt: Hansi Flick muss Bundestrainer bleiben
Es wäre dringend nötig. Schon beim WM-Triumph 2014 musste mit Benedikt Höwedes ein Innenverteidiger auf der linken Seite aushelfen.
Gleichwohl warnt Dutt davor, sich aufgrund der verpatzten WM von Bundestrainer Hansi Flick zu trennen.
"Wir versuchen, dieses Pflaster mit einem neuen Trainer auszuwechseln. Ich hoffe sehr, dass wir das nicht machen. Denn die Wunde darunter eitert und blutet weiter. Der Trainer ist ganz sicher nicht das Problem. Denn dann suchen wir auch in 16 Jahren noch nach einem Weltmeistertitel."
Sammer: DFB braucht wieder einen Sportdirektor
Ähnlich sieht es Matthias Sammer. Der BVB-Berater ging bei "Magenta TV" noch härter mit dem Verband ins Gericht. Der frühere DFB-Sportdirektor beklagte, dass eben jene Position im Deutschen Fußball-Bund wegrationalisiert worden sei.
"Ich habe genug Fehler gemacht in meinem Leben. Aber den Fehler, diese Position abzuschaffen, auf die Idee musst du erstmal kommen."
Ein Sportdirektor gebe die großen Linien vor, so Sammer weiter. Zudem brauche der DFB "alle zwei Jahre ein Korrektiv, um an den kleinen Stellschrauben in die richtige Richtung zu drehen".
Rekordnationalspieler Lothar Matthäus sei ein geeigneter Kandidat für die Rolle. Auch Sammer selbst könne sich vorstellen, den DFB bei einer Reform in anderer Funktion zu unterstützen.
Kein Push für die Bundesliga und die Nachwuchsarbeit
Wie sicher Flick und DFB-Direktor Bierhoff aktuell im Sattel sitzen, ist unklar. Präsident Bernd Neuendorf erwartet in dieser Woche eine Analyse des Versagens in Katar und will darauf basierend eine Entscheidung treffen.
Der Druck ist groß, weil auch für in der Bundesliga die Sorgen vor einem anhaltenden Abwärtstrend groß sind.
Wie richtungweisend das Abschneiden der Nationalmannschaft auch für die Liga ist, zeigt die jüngere Vergangenheit. In den vergangenen Jahren gingen die Zuschauerzahlen - auch nach der Pandemie - immer weiter zurück.
Mit schwindendem öffentlichem Interesse wird es aber auch immer weniger Kinder geben, die Lust haben, in die Fußstapfen der DFB-Stars zu treten. Und damit immer weniger künftige Außenverteidiger- oder Mittelstürmer-Talente.
Sommermärchen 2.0 bei Heim-EM möglich
Trotzdem aller Schwarzmalerei gibt es aber noch Hoffnung. Auch das beweist der Blick zurück.
Auf das Ausscheiden in der EM-Gruppenphase 2004 folgte der große Knall mit dem Rücktritt von Teamchef Rudi Völler und nur zwei Jahre später unter Jürgen Klinsmann 2006 schließlich das Sommermärchen.
Wieso sollte aus der aktuellen Krise bei der Heim-EM 2024 also keine neue Erfolgsgeschichte entstehen? Ein Sommermärchen 2.0?
Vorausgesetzt, der DFB hat den Schuss jetzt gehört.