Handball-EM 2024
Handball-EM 2024: Fünf Erkenntnisse zur Deutschland-Pleite gegen Frankreich
- Aktualisiert: 17.01.2024
- 16:18 Uhr
- Jonas Rütten
Frankreich verpasst Deutschland den ersten Dämpfer auf der Jagd nach einer Medaille bei der Heim-EM. Die DHB-Auswahl verlor am Ende verdient gegen eine Top-Nation, weil es nach wie vor eine Problemposition gibt und die "schwarzen Löcher" zwar kleiner werden, aber noch nicht ganz verschwinden. Fünf Erkenntnisse aus dem letzten EM-Vorrundenspiel.
Aus Berlin von der Handball-EM berichtet Jonas Rütten
Die deutsche Handball-Nationalmannschaft wird am Donnerstag ohne Punkte in die Hauptrunde mit Island, Österreich, Ungarn und Kroatien starten. Nach der knappen, aber verdienten 30:33-Niederlage gegen Titel-Mitfavorit Frankreich ist klar, dass ab jetzt eine Devise das Heim-Turnier der DHB-Auswahl bestimmen wird: Verlieren oder nur Unentschieden spielen verboten!
Er sei trotz der Niederlage "unglaublich stolz auf die Jungs", betonte Bundestrainer Alfred Gislason auf der Pressekonferenz nach dem Spiel. Die "Weltauswahl" (Andreas Wolff) aus Frankreich wäre aber eben eine Nummer zu groß gewesen, obwohl man "am Ende drin im Spiel" gewesen sei.
Tatsache: Deutschland schnupperte lange an der Sensation – denn das wäre ein Sieg über Frankreich durchaus gewesen. Doch noch fehlt dem DHB-Team etwas zur absoluten Handball-Weltspitze. ran erklärt in fünf Erkenntnissen, was die Gründe dafür genau sind und welche positiven Seiten die Niederlage hatte.
Das Wichtigste in Kürze
Handball-EM: DHB-Kader ist (noch) nicht breit genug für die Top-Nationen
Es genügte nur ein kurzer Blick auf den Statistik-Bogen der EHF zum Spiel, um Bundestrainer Gislason und so ziemlich alle Einschätzungen der deutschen Spieler zum Spiel gegen Frankreich zu bestätigen. Im engen Fight mit dem Rekordweltmeister (Hier gibt's die Highlights im Video) war der DHB-Auswahl am Ende die Luft ausgegangen - und das im wahrsten Sinne des Wortes.
"Wir waren am Ende ein bisschen müde“, antwortete Gislason auf die Frage, warum es am Ende nicht ganz gereicht hatte. Und auch Lukas Mertens hob die große Belastung des Großteils der deutschen Starting-Seven hervor, sprach davon, dass Frankreich eben ohne Probleme auch mal den Weltklasse-Leuten wie Dika Mem eine Verschnaufpause geben könne, ohne einen dauerhaften Einbruch fürchten zu müssen.
Und genau das trennt Deutschland aktuell noch von der Handball-Weltelite, zu der Frankreich ebenso zählt wie Schweden oder Dänemark. Während Frankreich eine laut Wolff "Weltauswahl", ja sogar eine "Traum-14", aufstellen könne, hat Deutschland aktuell auf dem allerhöchsten Niveau wohl "nur" eine Traum-8 bis Traum-9.
Während Frankreich-Trainer Guillaume Gille munter und immer wieder durchwechseln konnte (kein Spieler außer Keeper Remi Desbonnet stand insgesamt länger als 42 Minuten auf dem Feld), mussten zahlreiche DHB-Stars in einem intensiven und physisch hoch anspruchsvollen Spiel fast durchspielen, während drei Spieler keine einzige Sekunde und zwei nur knapp drei Minuten bekamen. Vier DHB-Stars kamen am Ende auf mindestens 51 Minuten Spielzeit.
Kapitän Johannes Golla spielte beispielsweise 58:13 Minuten – und das im defensiven wie offensiven Zentrum der Schlacht, am Kreis und im Mittelblock. "Ich hätte ihm vielleicht zwei, drei Minuten Pause geben müssen, aber dann ist das Spiel vielleicht weg, weil er eben so wichtig ist", sagte Gislason angesprochen auf die fehlende Entlastung von der Bank.
Ein Satz der Bände spricht. Hatte Gislason in den beiden vorangegangenen Spielen noch jedem Spieler mindestens ein paar Minuten Einsatzzeit gegeben, so verzichtete er gegen Frankreich gänzlich auf Rune Dahmke, Martin Hanne und Justus Fischer. Renars Uscins bekam noch die meisten Minuten der jungen Garde der U21-Weltmeister (knapp 10), Nils Lichtlein hatte es erneut nicht in den 16er-Spieltagskader geschafft.
Deutschland fehlt im Vergleich zu den Top-Nationen wie Frankreich noch die qualitative Breite im Kader. Die Betonung liegt dabei auf noch. Lichtlein, Fischer, Hanne und Uscins werden sich weiterentwickeln und in den kommenden Jahren wird auch ihre Stunde in solch großen Spielen schlagen.
Externer Inhalt
Deutschland vs. Frankreich - Handball-EM: Die Noten der DHB-Stars
Deutschland – Frankreich: DHB-Team offenbart eine Problemposition
Möglicherweise könnte gerade Hanne dem deutschen Spiel in den kommenden Jahren etwas geben, dass sie auf ihrer Problemposition nach wie vor hat - und die liegt trotz Juri Knorrs unbestreitbarer Genialität als Strippenzieher im Rückraum. Genauer gesagt ist das Problem eher eine Facette des Rückraumspiels.
"Es fehlt die Wurfkraft aus dem Rückraum", erklärte Gislason bezüglich der Baustellen, die er noch bei seiner Mannschaft sehe. "Das ist im Vergleich zu Frankreich nicht zu übersehen." Und tatsächlich: Während Deutschland am Ende bei vier Toren aus 17 Versuchen von der 9-Meter-Linie stand, waren es bei den Franzosen elf Tore bei 14 Versuchen. Ein himmelweiter Unterschied!
Deutschland musste im Gegensatz zu Frankreich immer wieder spielerische Lösungen gegen die physisch so überlegene Defensive finden. Jedes Tor war letztendlich das Zeugnis von harter Arbeit oder guten Anspielen an den Kreis und auf Golla. Eben da hatten die Franzosen ihre größte Schwäche in den ersten beiden Gruppenspielen offenbart, sich im Spielverlauf aber immer besser darauf ein- und Golla zwischenzeitlich kaltgestellt.
Das deutsche Spiel lahmte in der Folge merklich. Abschlüsse von Uscins, Kai Häfner oder auch dem eigentlich so wurfgewaltigen Hünen Sebastian Heymann wurden immer öfter geblockt. Hannes Stärke liegt in seiner Explosivität und im Eins-gegen-Eins. Hätte er das ein oder andere Länderspiel mehr auf dem Buckel (er steht bei erst vier), hätte er der DHB-Auswahl möglicherweise etwas geben können, was die Problemposition etwas kaschiert.
DHB-Team bei der Handball-EM: Die "schwarzen Löcher" sind noch nicht verschwunden
Die Angst vor den "schwarzen Löchern" im deutschen Spiel war vor der EM groß. Als derartige hatte Gislason jene Phasen im deutschen Spiel im Kalenderjahr 2023 beschrieben, in denen die junge Mannschaft gerade in der zweiten Halbzeit immer wieder dazu neigte, den Faden zu verlieren und Vorsprünge fahrlässig zu verspielen.
Die gute Nachricht zuerst: Die "schwarzen Löcher" im deutschen Spiel sind mittlerweile sehr viel kleiner geworden. Die schlechte Nachricht: Gegen Frankreich offenbarte sich, dass sie nicht gänzlich verschwunden sind. Die DHB-Auswahl erwischte gleich zwei offensiv verheerende Phasen mit über sieben Minuten ohne eigenen Torerfolg.
Die erste knifflige Phase zwischen der 17. Und 24. Minute überstand Deutschland weitestgehend schadlos, weil Wolff und David Späth beim Siebenmeter stark parierten. Die zweite Phase von der 48. bis zur 56. Minute entschied dann jedoch das Spiel. Frankreich zog von 27:27 auf 30:27 davon und konnte nicht mehr eingeholt werden.
DHB-Team nach Frankreich-Pleite: Golla widerspricht Gislason
Vor dem Spiel waren sich alle Experten einig: Die Basis für einen Sieg über Frankreich muss in der Defensive gelegt werden. Der Mittelblock mit Golla und Julian Köster muss im Verbund mit Torhüter Wolff stehen.
Wolff, der gegen Nordmazedonien noch geschwächelt hatte, lieferte und zeigte teils herausragende Paraden im freien Eins-gegen-Eins. Am Ende stand er bei 36 Prozent gehaltenen Bällen - eine starke Quote gegen den so gefürchteten Rückraum der Franzosen.
Als "großartig" bezeichnete Gislason die Leistung seines Torhüters – und das tat er zurecht. Auch der gesamten Defensive stellte er auf Nachfrage von ran ein "sehr gut" auf dem Zeugnis aus. Trotz der 33 Gegentreffer, weil viele davon "aus dem Gegenstoß und der schnellen Mitte" gefallen seien.
Doch gerade das wurmte Golla, der seinem Trainer sogar direkt widersprach. "Wir haben in der Abwehr nicht so gut gespielt heute, wie wir das in den ersten beiden Spielen getan haben", sagte er. "Wir wussten, dass wir für fast jeden Fehler bestraft werden. Das ist heute zu oft passiert."
Besonders mit dem ersten Punkt traf Golla durchaus ins Schwarze. Gegen Frankreich hätte Deutschland mindestens die so herausragende Defensivleistung gegen die Schweiz beim Auftaktspiel wiederholen müssen. Durch die viel höhere individuelle Qualität der Franzosen war das Unterfangen aber bekanntlich eine Herkulesaufgabe, die die DHB-Auswahl am Ende auch aufgrund der hohen Belastung der Schlüsselspieler nicht meistern konnte.
Insofern liegt die Wahrheit beim Widerspruch zwischen Golla und Gislason wohl irgendwo in der Mitte. Nicht herausragend, vielleicht auch nicht "sehr gut", aber mindestens "gut".
Wir haben in der Abwehr nicht so gut gespielt heute, wie wir das in den ersten beiden Spielen getan haben.
DHB-Kapitän Johannes Golla nach der Pleite gegen Frankreich
DHB-Team bei der Handball-EM in der Hauptrunde: Trotz Pleite gegen Frankreich ist der Glaube ans Halbfinale gewachsen
Aus der knappen Niederlage und besonders aus dem Spielverlauf können die DHB-Stars aber auch zahlreiche positive Dinge mitnehmen.
1. Die gezeigte Leistung gegen Frankreich hätte wohl gegen jeden der nun kommenden Gegner in der Hauptrunde (Island, Österreich, Ungarn, Kroatien) zum Sieg gereicht. Insofern dürfte der Glaube ans Halbfinale sogar noch gewachsen sein. Es bleibt die Erkenntnis: Jeder Hauptrundengegner ist für Deutschland in dieser Verfassung schlagbar.
2. Die Mannschaft ist absolut intakt und trotzt selbst gegen die Top-Nationen einem großen Rückstand. Kurz nach der Pause war der Vorsprung der Franzosen auf 19:15 angewachsen. Doch die DHB-Auswahl blieb immer in Schlagdistanz, ging sogar noch einmal mit 27:26 in Führung. Selbst wenn es also in einem der Hauptrundenspiele mal düster aussehen sollte, könnte dieses positive Erlebnis aus dem Frankreich-Spiel nochmal Kräfte freisetzen.
3. Die "Bestia Negra" ist schon raus: Spanien war für Deutschland seit dem Triumph im Finale 2016 bei Europameisterschaften ein absoluter Angstgegner. Dreimal traf die DHB-Auswahl in den Hauptrunden 2018, 2020 und 2022 auf die Spanier, dreimal gab’s eine deftige Watschn. Nun hat Österreich dieses Problem gelöst und Spanien sensationell rausgeworfen. Weil Deutschland bereits gegen den zweiten großen Angstgegner Frankreich gespielt hat, geht die DHB-Auswahl historisch befreit in die Hauptrunde.