Handball-WM
Handball-WM: Nach Deutschland-Aus - Ist Alfred Gislason noch der Richtige?
- Veröffentlicht: 01.02.2025
- 12:59 Uhr
- Andreas Reiners
Die deutschen Handballer haben ihr selbst gesetztes Ziel bei der WM verpasst. Einige Probleme zogen sich durch das Turnier, konnten aber nicht abgestellt werden. Bundestrainer Alfred Gislason rückte daher in den Fokus.
Nein, Johannes Bitter hatte keine Lust auf Polemik.
Oder billige Ausreden, lahme Entschuldigungen. Denn das ist nicht immer die Lösung. Die deutsche Handball-Legende stellte deshalb klar, dass der Schrittfehler vor dem 30:31 nach Verlängerung im Viertelfinale gegen Portugal tatsächlich ein ahndungswürdiger war.
Aber als Ausrede für das deutsche WM-Aus? "Ich finde es schwierig, das jetzt als ausschlaggebenden Faktor für unser Ausscheiden zu benennen. Das wäre mir zu einfach", sagte er im ran-Gespräch.
Wesentlich komplizierter stellt sich da schon die Suche nach den Gründen für das DHB-Aus gegen Portugal dar.
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Die Ursachen für die Niederlage gegen die Überraschungsmannschaft des Turniers mögen auf den ersten Blick auf der Hand liegen, denn sie waren das ganze Turnier über bereits ein augenscheinliches Problem, begleiteten das DHB-Team wie ein bleierner sportlicher Schleier, bremsten die Truppe von Bundestrainer Alfred Gislason immer wieder aus.
Das Wichtigste in Kürze
DHB-Team: Die bekannten Fehler und Probleme
Verschlafene Anfangsphasen mit Rückständen als Hypothek, zu viele technische Fehler, keine passende Abstimmung, eine mangelnde Chancenverwertung, dazu gegen die Portugiesen auch lange Zeit eine fehlende Emotionalität oder Härte – es stellt sich vor allem die Frage, warum die deutsche Mannschaft die oft angesprochenen Unzulänglichkeiten auch im siebten Turnierspiel nicht abstellen konnte.
"Ich habe viele Turniere gespielt, und es gibt manchmal diese Situationen, in denen du nicht in deinen Flow kommst", sagte Bitter. Dieser fehlende Flow, diese nicht vorhandene Leichtigkeit im Auftreten, zog sich ebenfalls durch das Turnier und ist wichtiger, als man denken könnte. Denn ohne ein selbstsicheres Selbstverständnis gehen andere Faktoren wie Tempo und Automatismen ein Stück weit verloren, "dann fühlst du dich gehemmt, verkrampft, bist gedanklich zu langsam", sagte der Weltmeister von 2007.
Beim Olympia-Silber wurden die Deutschen von dieser Leichtigkeit noch durch das Turnier getragen. Was dann auch dazu führte, dass damals so ein dramatisches Viertelfinale gegen Frankreich mit einem deutschen Sieg endete.
Oder anders gesagt: Mit einem Flow hätte der letzte Angriff in der regulären Spielzeit gegen Portugal womöglich zum Siegtreffer geführt. Oder Johannes Golla hätte den entscheidenden "Schrittfehler-Treffer" erfolgreich wegverteidigt.
"Es gab Momente, in denen es sich besser angefühlt hat – aber insgesamt fehlte diese Selbstverständlichkeit, die uns in Paris getragen hat", sagte Bitter, der aus eigener Erfahrung weiß, dass es manchmal diesen einen Auslöser braucht: "Ein Spiel, in dem alles funktioniert – und plötzlich läuft es wieder von alleine. Diesen Moment hatten wir bei der WM nicht."
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DHB-Team: Auch der Faktor Zeit spielt eine Rolle
Für Ex-Nationalspieler Sören Christophersen spielt neben dem Flow aber auch der Faktor Zeit eine große Rolle. "Wie schnell kann ich Automatismen verinnerlichen? Wie bekomme ich mehr Sicherheit ins Spiel? Wie kann ich das im Training optimieren? Gerade bei einer WM oder EM ist der Ablauf extrem eng getaktet", betonte der Sportchef des Bundesligisten TSV Hannover-Burgdorf im ran-Gespräch.
Es gebe kaum Spielraum, um große Impulse zu setzen. "Und offenbar war es in diesem Turnier nicht möglich, das Ruder entscheidend herumzureißen", so Christophersen.
Platz fünf bei der WM 2023, Rang vier bei der EM 2024, Silber bei Olympia, nun Platz sechs – war diese WM für die junge deutsche Mannschaft ein Rückschritt? Gislason hatte das nach dem Aus bereits zurückgewiesen.
Und auch die beiden Experten sind sich einig.
DHB-Team: Ist die WM ein Rückschritt?
"Das wäre mir zu plakativ", sagte Christophersen: "Der Sport ist schnelllebig. Das Erreichte von gestern wird zur Erwartung von morgen." Und die Erwartung war dann nicht mehr wie sonst das Mindestziel Viertelfinale, sondern das Halbfinale, zumindest die Chance auf die erste WM-Medaille seit 18 Jahren. Wobei es nicht nur um die Erwartung von außen geht - auch die Mannschaft selbst hatte den Anspruch, um eine Medaille zu spielen.
"Doch das Spiel gegen Portugal wurde denkbar knapp nach Verlängerung verloren, und damit schlägt das Pendel in Richtung Ernüchterung aus. Aber ich würde nicht pauschal von einem Rückschritt sprechen", sagte Christophersen.
Auch Bitter sieht keinen Rückschritt, sondern Paris eher als Ausreißer nach oben. Der sechste Platz ist demnach in etwa der Status Quo. Das DHB-Team liegt irgendwo zwischen Medaillenkandidat und auf theoretischer Tuchfühlung zur Weltspitze. Ruft die Mannschaft das volle Potenzial ab, kann sie jeden Gegner schlagen. Und dieser Status Quo "ist erst mal gar nicht so dramatisch", sagte Bitter.
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DHB-Team: Noch nicht in der Weltspitze
Doch das Potenzial müsse dauerhaft abgerufen werden können, so der frühere Weltklasse-Torhüter. Also, "ohne darauf zu hoffen, dass es einfach 'klick' macht. Die Herausforderung ist jetzt, eine Konstanz auf hohem Niveau zu entwickeln, damit wir nicht nur dann gefährlich sind, wenn es perfekt läuft, sondern auch dann, wenn es nicht rund läuft."
Aber genau da liege das Problem, betonte der Sportdirektor des HSV Hamburg: "Emotionalität, Grundtugenden, Konstanz – das sind die Faktoren, die uns in entscheidenden Momenten noch fehlen. Wenn wir es nicht schaffen, in diesen Flow zu kommen, dann wird es extrem schwer, auf Augenhöhe mit der absoluten Weltspitze mitzuhalten."
Da das sportliche Abschneiden, die genannten Probleme und die Tatsache, dass sie partout nicht abgestellt werden konnten, vor allem in den Arbeitsbereich des Bundestrainers fallen, mehrte sich nach dem Aus die Kritik an Gislason.
DHB-Team: Gislason steht in der Kritik
Für den Isländer ist aber klar, dass es für ihn und das Team im März mit der EM-Qualifikation weitergeht. "Warum nicht?", antwortete der 65-Jährige auf die Frage, ob er weitermachen werde. Die Mannschaft sei mit den Problemen, die sie hatte, überragend umgegangen: "Sie ist als Mannschaft auch gewachsen, trotz der Probleme." Auch deswegen sei "das Turnier kein Rückschritt".
Ob Gislason noch der Richtige sei, sei eine Frage, die jetzt nicht emotional oder vorschnell beantwortet werden dürfe, findet Christophersen: "Es geht darum, sich in Ruhe hinzusetzen, das Turnier sachlich zu analysieren und herauszuarbeiten, wo Potenziale liegen und was zukünftig anders gemacht werden muss."
Das große Ziel ist die Heim-WM 2027, bis dahin will man eigentlich endgültig dauerhaft in der Weltspitze mitmischen. Viel Zeit bleibt dafür nicht mehr.
Es bringe jetzt nichts, reflexartig eine Diskussion über den Bundestrainer loszutreten, eine reißerische Debatte helfe an dieser Stelle niemandem, sagte Christophersen: "Die Verantwortlichen im DHB müssen jetzt bewerten, welche Strukturen gebraucht werden, um erfolgreicher zu spielen."
Vielmehr sieht er es kritisch, "dass in Deutschland oft in Extremen diskutiert wird. Läuft es gut, wird alles hochgejubelt, läuft es schlecht, wird sofort alles infrage gestellt. Das ist mir zu simpel."
Polemik ist eben nicht immer die Lösung.