Verstappen jubelt, Norris verärgert
Formel 1: Die rote Flagge in Brasilien war eine WM-entscheidende Farce - ein Kommentar
- Aktualisiert: 04.11.2024
- 13:47 Uhr
- Chris Lugert
Max Verstappen feiert in Brasilien einen mutmaßlich WM-entscheidenden Sieg - auch deshalb, weil die Rennleitung eine skandalöse Entscheidung trifft. Die Rennunterbrechung hätte so niemals passieren dürfen. Ein Kommentar.
Von Chris Lugert
Max Verstappen hat seinen vierten WM-Titel in der Formel 1 so gut wie in der Tasche. Der Husarenritt von Brasilien am Sonntag war ein weiterer Beweis für die Ausnahmestellung des Niederländers, der von Startplatz 17 zum Sieg flog.
Doch einen faden Beigeschmack hat das Rennen in Sao Paulo durch die Rennleitung bekommen, die mit einer skandalösen Entscheidung den Ausgang des Grand Prix maßgeblich beeinflusst hat.
Rückblick: Das Rennen startet unter nassen Bedingungen, an der Spitze muss Polesetter Lando Norris am Start Mercedes-Fahrer George Russell ziehen lassen. Die beiden setzten sich im Formationsflug anschließend ab, Verstappen macht währenddessen Boden gut und liegt schnell auf Platz sechs.
Als der Regen stärker wird, kommen nacheinander mehrere Fahrer in die Box, darunter auch Russell und Norris, um sich neue Intermediates zu holen, also Mischreifen für leichte Nässe. Verstappen aber bleibt draußen und wird somit nach vorne gespült.
Dann trifft die Rennleitung jene fatale Entscheidung. Erst schickt sie das Safety Car auf die Strecke, weil angeblich zu viel Wasser auf der Strecke steht, nach einem Unfall von Williams-Pilot Franco Colapinto unterbricht sie das Rennen dann auch noch.
Die Folge: Alle Fahrer kommen an die Box und dürfen die Reifen wechseln. Verstappen bekommt also einen freien Boxenstopp, während alle anderen, die vorher schon drin waren, in die Röhre schauen. Eine Regel, die Norris im Nachgang scharf kritisierte.
Plötzlich war der Niederländer Zweiter, nach dem Restart krallte er sich Esteban Ocon und fuhr anschließend zu einem ungefährdeten Sieg. Die Art und Weise war beeindruckend - und doch bleiben Zweifel am Zustandekommen des Erfolgs.
Kaum ein Fahrer wechselte auf Full Wets
Was die Entscheidung der Rennleitung so skandalös macht: Nur eine handvoll Fahrer hatte zum Zeitpunkt der Unterbrechung überhaupt Regenreifen für stärkere Nässe aufgezogen. Selbst jene Piloten, die unmittelbar zuvor an die Box kamen, entscheiden sich gegen die sogenannten Full Wets, sondern für neue Intermediates.
Das Wichtigste in Kürze
Wenn die Fahrer auf der Strecke also nicht die Veranlassung sehen, die Reifen für viel Wasser zu nutzen, wie kann dann die Rennleitung zu der Erkenntnis kommen, dass auf der Strecke zu viel Wasser ist? Colapinto-Unfall hin oder her.
Rennleiter Niels Wittich und seine Kollegen haben die Verantwortung, die Fahrer vor unzumutbaren Gefahren zu schützen. In diesem Fall ist das Rennen zu unterbrechen. Sie haben aber nicht den Auftrag, den Piloten und Teams das Denken abzunehmen. Und fast einhellig bestand im Feld offenbar die Meinung, dass Intermediates ausreichend sind.
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Konzessionsentscheidung pro Verstappen?
Besonders pikant wird die Entscheidung deshalb, weil ausgerechnet Verstappen am lautesten eine rote Flagge gefordert hat. Also einer jener Fahrer, die selbst mit abgekauten Inters unterwegs waren, statt in die Box zu kommen und die Reifen zu wechseln. Es wirkt schon schizophren, sich über die Streckenbedingungen zu beschweren, ohne alle verfügbaren Möglichkeiten zu nutzen, um sich an diese Bedingungen anzupassen.
Und weil Verstappen eben kein Idiot ist, sondern extrem clever, wusste er nach den Stopps von Russell und Norris genau, dass er bei einer Unterbrechung der große Profiteur sein würde. Weshalb er mit immer deutlicheren Worten auf die Rennleitung einwirkte. Davon darf sie sich aber nicht beeinflussen lassen.
Es liegt der Verdacht nahe, dass sich Wittich und Co. hier zu einer Konzessionsentscheidung haben hinreißen lassen. Denn im Qualifying wenige Stunden zuvor sorgten sie in Q2 mit einer zu spät geschwenkten roten Flagge nach einem Unfall von Lance Stroll dafür, dass Verstappen keine Chance mehr hatte, sich noch in Q3 zu bringen. Der Red-Bull-Pilot war danach stinksauer.
Ausgleichende Gerechtigkeit also? Verstappen-Fans werden das natürlich so argumentieren. Und ein Funken Wahrheit steckt auch drin. So stark, wie der (noch) dreimalige Champion am Sonntag aussah, hätte er im Qualifying wohl locker auf Pole fahren können. Dann wäre der Weg zum Sieg trotz seiner Motorenstrafe deutlich kürzer gewesen.
Auch Alpine profitiert massiv
Und doch hat die Rennleitung mit ihrer Fehlentscheidung massiv in die WM eingegriffen - übrigens nicht nur bei der Fahrer-WM. Denn neben Verstappen profitierten vor allem die beiden Alpine-Fahrer Ocon und Pierre Gasly von der Unterbrechung, die sensationell auf Platz zwei und drei ins Ziel kamen.
Dieses Top-Ergebnis spülte das französische Team auf einen Schlag von Platz neun in der Konstrukteurs-WM auf Platz sechs nach vorne. Und bei den Konstrukteuren bedeutet jeder Platz bares Geld.
Um es klar zu sagen: Verstappen war der beste Fahrer an jenem Sonntag in Brasilien, der Sieg mehr als verdient und das Ergebnis einer weltmeisterlichen Fahrt. Lando Norris wiederum hat sich durch zu viele Fehler selbst aus dem Spiel genommen. Den größten Fehler beging in Sao Paulo aber die Rennleitung - einen Fehler, der die WM endgültig entschieden hat.