Formel 1
Formel 1 - "Habe Mick Schumacher nicht auf dem Gewissen" - Günther Steiner im Exklusiv-Interview
- Aktualisiert: 22.11.2024
- 12:07 Uhr
Mick Schumacher bleibt in der Formel 1 ohne Stammcockpit. ran hat mit seinem Ex-Teamchef Günther Steiner über den 25-Jährigen gesprochen, aber auch über seinen Zwist mit dessen Onkel Ralf, das vermeintlich entschiedene Titelduell und die Probleme der einstigen Autonation Deutschland.
Das Interview führte Andreas Reiners
Günther Steiner ist vorsichtig geworden.
Der Südtiroler weiß, dass seine Worte zu Mick Schumacher ganz besonders auf die Goldwaage gelegt werden. "Ich habe persönlich nichts gegen Mick", betonte er im ran-Interview. Das Verhältnis zu dessen Onkel Ralf ist allerdings trotzdem zerrüttet.
Dass Mick im Rennen um ein Cockpit bei Sauber bzw. Audi leer ausgegangen ist, überrascht Steiner, der sich gegen Aussagen, er habe Schumacher auf dem Gewissen, vehement wehrt.
Vor dem Grand Prix in Las Vegas (Sonntag ab 7 Uhr im Liveticker auf ran) spricht der frühere Haas-Teamchef aber nicht nur über Mick und Ralf Schumacher, sondern auch über das Titelduell, den Legenden-Status von Max Verstappen, die Krise in Deutschland und Aussichten für 2025.
Das Wichtigste in Kürze
Günther Steiner: Verstappen hat die WM in Brasilien gewonnen
ran: Günther Steiner, der letzte Triple Header steht an. Was kann Max Verstappen jetzt noch aufhalten?
Günther Steiner: Ihn kann nicht viel aufhalten, denn Max ist ein guter Rennfahrer. Was ihn aufhalten kann: Wenn er dreimal nicht ins Ziel kommt. Aber dann müsste schon etwas sehr Komisches passieren, und wir wissen, dass das nicht der Fall sein wird. Max hat mit dem Sieg in Brasilien die Weltmeisterschaft gewonnen.
ran: Wo hat Lando Norris den Titel verspielt?
Steiner: Es war bei Norris nicht nur ein Rennen, sondern mehrere. Er ist im Moment noch nicht bereit, gegen einen Max Verstappen, der ja ein Fuchs ist, zu kämpfen. Er ist noch nicht reif genug, um Weltmeister zu werden.
ran: Was hat Verstappen in diesem Duell vor allem ausgezeichnet?
Steiner: Verstappen hat alle Facetten gezeigt, alle Tricks. Er hat gesehen, dass er Norris im Rennen nicht schlagen kann, weil der McLaren das bessere Auto ist. Und dann hat er einfach versucht, Lando so viele Punkte wie möglich wegzunehmen. Anstatt zu gewinnen, hat er probiert, Lando zu schädigen. Und Lando und McLaren sind darauf reingefallen, haben das Spiel nicht verstanden. Die Entscheidungen der Stewards haben auch nicht geholfen, in Austin zum Beispiel. McLaren hat als Team nicht früh genug verstanden, dass sie beide Titel holen können, die waren erstmal happy, überhaupt Rennen zu gewinnen. Deswegen haben sie viel Zeit verspielt, als sie das Thema Stallorder nicht richtig im Griff hatten. Und nicht richtig wahrhaben wollten, dass sie alles abräumen konnten.
ran: Was fehlt Norris grundsätzlich noch zum Champion?
Steiner: Er muss die Ellenbogen ausfahren. Die guten Racer der Formel 1 sind Lewis Hamilton, Max, Fernando Alonso. Zu denen fehlt ihm noch etwas. Diese Aggressivität, einfach gewinnen zu wollen, auch mal unangenehm zu werden, um einen Sieg nach Hause zu fahren.
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Max Verstappen noch nicht bei den ganze Großen
ran: Für Verstappen wäre es der vierte Titel. Wo würden Sie ihn im Konzert der Legenden einreihen?
Steiner: Ich glaube, er ist einer der Großen. Er ist ein sehr guter Fahrer, macht eigentlich wenig Fehler, jetzt auch unter Druck, ist immer schlau. Die Top fünf sind für mich Ayrton Senna, Michael Schumacher, Lewis Hamilton, Niki Lauda und Jackie Stewart. Das sind für mich die ganz Großen. Und gleich dahinter kommt Max. Und wenn er in den nächsten fünf bis zehn Jahren noch zwei, dreimal den Titel holt, dann ist er vorne dabei. Es ist nur eine Nummer, die ihm fehlt. Sonst hat er alles.
ran: Was bedeutet das aktuelle Kräfteverhältnis für die kommende Saison? Geht das jetzt nächstes Jahr so weiter und bleibt so eng?
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Steiner: Das kann durchaus durcheinandergewürfelt werden. Nach vier Jahren Entwicklung im gleichen Reglement kann aber niemand wirklich mehr einen riesigen Vorteil finden. Außerdem gilt ein Großteil der Konzentration der Entwicklung der Autos für 2026, wenn das neue Reglement kommt. Das Feld wird daher eher noch näher zusammenrücken.
ran: Glauben Sie, dass McLaren und Norris aus den Fehlern lernen werden?
Steiner: Ich glaube sicher, McLaren lernt. Wie viel sie lernen, muss man sehen. Ich hätte erwartet, dass sie schon jetzt schneller lernen. Sie haben gute Leute, die schon Weltmeister waren. Aber ich glaube, es geht mehr um Selbstsicherheit. McLaren will nicht als arrogant gelten, dasselbe gilt für Lando. Du musst alles dafür tun, um Weltmeister zu werden. Du musst, wie Red Bull, alles auf eine Karte setzen.
Günther Steiner: Hülkenberg zum falschen Zeitpunkt im falschen Auto
ran: Mercedes war im Titelrennen chancenlos, dazu gibt es Sauber/Audi mit bescheidenden Aussichten. Nico Hülkenberg ist der einzige deutsche Fahrer. Aus deutscher Sicht war das Jahr mal wieder enttäuschend…
Steiner: Es gibt Zyklen im Motorsport, im Moment haben wir einige englische Fahrer. Mercedes kommt sicher zurück, denn Mercedes gehört zu den besten Teams. Wenn ich das mit dem deutschen Fußball vergleiche, ist Bayern München zu 90 Prozent vorne. In der Formel 1 ändert es sich ein bisschen mehr, es ist auch gut, dass niemand diese ewige Dominanz hat. Audi tut sich ein bisschen schwerer im Moment als gedacht. Da habe ich mehr erwartet. Das haben alle. Man muss dem neuen Management ein bisschen Zeit geben, das Richtige zu machen und in die Spur zu finden. Nico bräuchte mal die Chance, in einem sehr guten Auto zu sitzen. Er ist immer zum falschen Zeitpunkt im falschen Auto. Nico wäre Podium-Material. Diese Möglichkeit hat er nie gehabt. Logischerweise hängt das auch mit ihm zusammen. Er hat entschieden, wo er hingeht und muss sich an die eigene Nase fassen. Er muss jetzt hoffen, dass Audi mit dem 2026er-Reglement einen Schub bekommt. Denn nächstes Jahr wird Audi bestimmt nicht vorne mitfahren.
ran: Sind wir Deutschen zu verwöhnt, was die Formel 1 angeht, gehören wir nicht mehr zur Weltspitze?
Steiner: Ja, Deutschland war sehr verwöhnt mit Michael Schumacher. Alles, was nach ihm kam, war gefühlt weniger wert. Aber alle guten Dinge haben ein Ende, im Moment eben aus deutscher Sicht. Aber es werden sicher wieder gute Dinge kommen.
ran: Wo sehen Sie die Probleme bei der einstigen Autonation Deutschland?
Steiner: Nach Schumacher ist das Interesse zurückgegangen, weil man immer erwartet hat, zu dominieren. Das ist nicht passiert. Und dann wurde die Krise ausgerufen, es gab auch keine Rennen mehr in Deutschland. Deutschland ist die Autonation und ich finde es schade, dass das Geld nicht gefunden werden kann, um einen Grand Prix zu veranstalten. Man hat super Rennstrecken, alles wäre da. Man bräuchte nur ein bisschen Hilfe der Autohersteller, der Regierung, um ein Rennen zu haben. Das würde bestimmt auch helfen.
ran: Was muss gemacht werden, um den Nachwuchs zu pushen, dass mehr Fahrer den Weg nach oben schaffen?
Steiner: Das ist eine Geldfrage. Das kommt immer auf die Unterstützung der Teams und der Hersteller an. Alle anderen Nationen bekommen das irgendwie hin, Deutschland aber nicht. Was auch an der Sättigung vom Rennsport nach Schumacher liegt. Deswegen haben weniger junge Leute angefangen. Und deswegen ist jetzt ein Loch da. Aber es ist nie zu spät. Deutschland hatte nach Michael mit Sebastian Vettel einen sehr guten Rennfahrer, der aber nie anknüpfen konnte an die Schumacher-Popularität. Es war also nicht so, dass niemand da war. Es ist einfach ein bisschen schwieriger geworden.
ran: Es gibt die Nachwuchsleute Oliver Goethe und Tim Tramnitz. Was sehen Sie da für ein Potenzial?
Steiner: Die Jungs sind nicht schlecht. Die brauchen Unterstützung, zum Beispiel von der deutschen Autoindustrie, um zu sehen, wie weit sie gehen können. Es gibt viele talentierte Fahrer, die aber vielleicht nicht genug Talent haben, um ganz vorne in der Formel 1 mitzufahren. Die beiden müssten jetzt mal zeigen, was sie draufhaben.
ran: Worauf würden Sie als Teamchef bei den Jungs ganz besonders achten, wenn es darum geht, sie in die Formel 1 zu holen?
Steiner: Grundsätzlich würde ich ihnen so viele Chancen geben wie möglich, in Formel-1-Autos zu sitzen. Es ist wichtig für die Jungs, dass sie mit Formel-1-Autos fahren, auch wenn die aus der älteren Generation sind. Da kann man schon viel sehen, wie gut sie sind und ob sie gut genug sind, um sich weiterzuentwickeln und ob es sich lohnt, Geld zu investieren.
Günther Steiner: Vorsichtig bei Mick Schumacher
ran: Mick Schumacher hat keinen Platz bekommen für 2025: Überrascht Sie das unter dem Strich, es gab ja durchaus ein paar Möglichkeiten?
Steiner: Die Formel 1 ist ein schwieriges Geschäft. Ich habe gedacht, dass er bei Audi den zweiten Sitz bekommt. Als gesagt wurde, dass Bottas den nicht bekommt, dachte ich, er hätte eine Chance. Ich habe mit Mattia Binotto nicht darüber gesprochen, weil ich mich da nicht einmische. Denn jedes Wort, das ich über Mick sage, wird zehnmal umgedreht und verwendet. Deswegen bin ich vorsichtig geworden, denn ich habe ja persönlich nichts gegen Mick. Er ist ein guter Fahrer und es wäre gut für den deutschen Motorsport, wenn Mick in der Formel 1 wäre.
ran: Die Kombination Hülkenberg/Schumacher wäre für Audi doch die logische und passende Kombination, oder nicht? Warum hat man darauf verzichtet?
Steiner: Ja, eigentlich schon. Aber vielleicht wollten sie gerade nicht zwei deutsche Fahrer haben. Audi ist ein globaler Konzern, man muss es auch so sehen. Man kann da nicht das Nationalteam Deutschland werden, denn Audi will Autos in der ganzen Welt verkaufen und nicht nur in Deutschland.
ran: Hat Schumacher in Zukunft noch eine Chance auf die Formel 1 oder ist der Zug abgefahren?
Steiner: Es wird schwierig, das muss man sagen. Aber Nico Hülkenberg ist auch nach drei Saisons wieder zurückgekommen. Deswegen ist es nicht unmöglich, zurückzukommen. Auch nach dieser Zeit nicht.
ran: Wie sollte er die Zukunft am besten angehen?
Steiner: Eine gute Möglichkeit wäre für ihn, wenn er mal einspringen könnte als Ersatzfahrer, wie zum Beispiel Oliver Bearman bei Haas, um zu zeigen, was er wirklich kann. Und Mick hat bei Mercedes bestimmt viel dazugelernt. Ich würde versuchen, in einer Meisterschaft mitzufahren, um den Rennskill beizubehalten. Und bei Mercedes ist er gut aufgehoben, da macht er im Simulator die ganzen Entwicklungen der neuen Autos mit.
Günther Steiner: "Diese Aussage ist ziemlich daneben"
ran: Was sagen Sie zu Vorwürfen, wie zum Beispiel von Hans-Joachim Stuck, sie hätten Mick Schumacher "kaputt gemacht", sie hätten ihn auf dem Gewissen?
Steiner: Das ist mir egal. Strietzel kennt die Hintergründe nicht. Und logischerweise bekommt er damit auch viel Aufmerksamkeit für sich. Viele Leute machen so etwas aus politischen Gründen, um in die Medien zu kommen. Ich habe Mick Schumacher nicht kaputt gemacht, ich habe ihn nicht auf dem Gewissen. Das kann ich ganz klar so sagen. Ich will ja niemanden kaputt machen. Ich stehe doch nicht morgens auf, um Leute kaputt zu machen. Ich war Teamchef und musste eine Entscheidung treffen. Das hat nichts mit kaputt machen zu tun. Wieso sollte ich Mick kaputt machen? Was habe ich davon? Diese Aussage ist ziemlich daneben, muss ich sagen.
ran: Würden Sie in der Hinsicht heute trotzdem etwas anders machen?
Steiner: Ich musste das Team sehen. Wir sind nach hinten gegangen nach der Pandemie, es waren 2021 und 2022 zwei schwierige Jahre. Wir mussten schneller wachsen und Erfahrung mit reinbringen ins Team. Und Erfahrung kannst du nicht kaufen, das braucht Zeit. Das Einzige, das du kaufen kannst, sind erfahrene Leute. Nico Hülkenberg war erfahren, hat genau dasselbe gemacht wie bei Force India und das Team weitergebracht. Deswegen wurde die Entscheidung getroffen, weil Mick diese Erfahrung nicht hatte. Er war jung. Und ich musste umstellen auf erfahrene Leute, um das Team wachsen zu lassen. Deswegen würde ich diese Entscheidung auch heute wieder treffen. Das hat nichts mit der Person Mick Schumacher zu tun.
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ran: Allerdings wurde auch Ihr Umgang mit ihm kritisiert, auch in der Öffentlichkeit. Hätten Sie in der Hinsicht etwas besser machen können? Oder sagen Sie: So bin ich und damit muss der Fahrer klarkommen?
Steiner: Es ist etwas dazwischen. Man kann immer sagen, dass man irgendetwas hätte besser machen können, auch wenn es nur Kleinigkeiten sind. Wenn ich sage, ich war perfekt, dann wäre ich ein Idiot. Aber jeder hat seinen eigenen Charakter. Auch Mick. Und er muss seinen Charakter nicht an mich anpassen. Genauso wie ich mich nicht an ihn anpassen muss. Man hat keine Verpflichtung, sich zu ändern für eine andere Person. Ich werde meine Herangehensweise nicht ändern. Das hat nichts mit Mick zu tun. So bin ich, so habe ich es immer gemacht in meiner Karriere und werde auch immer so weitermachen.
Günther Steiner: Funkstille mit Ralf Schumacher
ran: Sie sind in der Zeit auch immer wieder mit Micks Onkel Ralf Schumacher aneinandergeraten, wie Sie es auch in Ihrem Buch eindrücklich beschrieben haben. Wie ist es eigentlich um Ihr Verhältnis bestellt? Er war im Sommer ziemlich sauer wegen Ihrer Alpine-Aussage und wollte nicht mehr mit Ihnen vor der Kamera stehen.
Steiner: Das hat er gesagt und dazu steht er. Ich habe auch kein Problem damit. Das kann er so entscheiden. Ich habe nichts Falsches gesagt. Er hat sich die Schlagzeile angeschaut und nicht, was ich eigentlich gesagt habe. Aus meiner Aussage (er würde Alpine nicht dazu raten, Mick Schumacher zu holen, Anm. d. Red.) wurde eine Schlagzeile gemacht, Sie wissen ja, wie das ist. Er hat sich die Schlagzeile angeschaut und auf die reagiert, auf seine Art und Weise, anstatt mich anzurufen und zu sagen, was eigentlich los ist. Er hat mich in den sozialen Medien an den Pranger gestellt.
ran: Wie haben Sie dann darauf reagiert?
Steiner: Ich habe versucht, ihn anzurufen, um ihm zu erklären, dass ich eigentlich nicht gesagt habe, was die Schlagzeile sagt. Und er hat mir eine WhatsApp geschickt und gesagt, er will nicht mehr mit mir sprechen. Ich wollte es klären. Ich habe gesagt, ich bin groß genug, um zu erklären, dass ich eigentlich nicht gesagt habe, was in der Schlagzeile steht. Aber wenn er dafür die Zeit nicht hat und lieber seine ganzen Sachen über soziale Medien abwickelt, kann er das gerne machen. Es steht nicht in meiner Macht, ihm das zu verbieten. Will ich auch gar nicht. Jeder hat seinen Weg.
ran: Wie sieht Ihr Weg aus? Vermissen Sie die Formel 1 und kehren als Teamchef bald zurück?
Steiner: Ich vermisse die Formel 1 nicht, weil ich als TV-Experte immer noch dabei bin. Ich habe noch meine ganzen Beziehungen, kenne die ganzen Leute. Ich würde zurückkehren, wenn es ein Projekt gibt, was mich interessiert, die Energie habe ich und die Erfahrung auch. Aber nur zurückkehren, um einen Job zu haben – das tue ich mir nicht an.