Kein elftes Team
Formel 1 lehnt Andretti ab und unterstreicht damit die eigene Arroganz - ein Kommentar
- Veröffentlicht: 31.01.2024
- 21:15 Uhr
- Chris Lugert
Der Name Andretti wird vorerst nicht in die Formel 1 zurückkehren. Die Art und Weise, wie schroff die Rennserie die Bewerbung des US-Teams ablehnte, macht fassungslos. Ein Kommentar.
Von Chris Lugert
Eigentlich schien alles angerichtet. Michael Andretti, einst selbst Formel-1-Fahrer und Sohn des ehemaligen Weltmeisters Mario Andretti, wollte 2025 mit seinem eigenen Team in die Königsklasse einsteigen. Dazu hatte er mit dem US-Autogiganten General Motors einen starken Partner an seiner Seite, der mit seiner Marke Cadillac in Zukunft die Motoren liefern sollte.
Der Weltverband FIA hatte bereits seinen Segen erteilt, nun musste die Formel 1 selbst noch zustimmen. Doch statt der Freigabe folgte eine Zurückweisung, die arroganter nicht hätte ausfallen können.
In 20 Punkten listete die F1 am Mittwoch auf, warum sie Andretti nicht als Teil ihres Business haben will. Quintessenz der Ausführungen: Andretti brauche die Formel 1 mehr als umgekehrt, das Projekt sei ohnehin wenig erfolgversprechend und überhaupt sei die Rennserie auf das US-Team nicht angewiesen.
Es ist ein Schlag ins Gesicht eines erfolgreichen Unternehmers, der das Andretti-Team zu einem Aushängeschild des amerikanischen Motorsports gemacht hat. Es ist inzwischen mehr als nur ein Rennstall, sondern eine erfolgreiche und florierende Firma.
Das gilt auch für die Formel 1, doch es entsteht immer mehr der Eindruck, als habe die F1 durch ihren kometenhaften Aufstieg der vergangenen Jahre die Bodenhaftung verloren, sonne sich zu gerne in ihrem eigenen Glanz und halte sich für unantastbar.
Das Wichtigste zur Formel 1
Richtig ist: Seit Liberty Media die Geschicke der Rennserie vom ehemaligen Formel-1-Patron Bernie Ecclestone übernommen hat, ist aus dem einstigen Nischenprodukt für Petrolheads eine globale Marke geworden. Weltweit gewinnt die Formel 1 neue Fans, interessierte Länder stehen Schlange, um es in den Rennkalender zu schaffen.
Die Formel 1 ist ein globales Event
Die Action auf der Strecke, die einst der einzige Inhalt eines Wochenendes war, wird immer mehr zu einem Teil eines gigantischen Programms mit Konzerten und anderen Attraktionen. Die Formel 1 ist ein Event geworden, hat sich dadurch aber von seiner einstigen Identität als exklusiver Treffpunkt von Motorsportfans, begeisterten Rennfahrern und Teams, die Blut, Schweiß und Leidenschaft investieren, verabschiedet.
Anders als früher sind die Teams heute keine Zusammenkunft von Privatiers mehr, die ihre Leidenschaft zum Beruf machen und die die unbändige Liebe zum Motorsport verbindet. Wer in die Formel 1 wollte, musste keinen jahrelangen Bewerbungsprozess durchlaufen, sondern durfte sich einfach versuchen. Teams wie McLaren oder Williams haben genau dort ihren Ursprung.
Heute jedoch hat sich die Formel 1 zu einer Liga wie die NFL entwickelt, ein geschlossenes System, in dem die Teams wie Franchises funktionieren. Wer dazugehören möchte, muss einen Mehrwert liefern. Und gigantische Teilnahmegebühren zahlen. 200 Millionen Euro sollte Andretti zahlen und hätte das auch gemacht, denn die bestehenden Teams wollen von ihrem Kuchen natürlich nichts abgeben und entschädigt werden.
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Formel 1 zweifelt an Andrettis Kompetenz
Die Formel 1 sieht sich in einer Position der Stärke. "Wenngleich der Name Andretti bei den F1-Fans einen gewissen Wiedererkennungswert hat, deuten unsere Untersuchungen darauf hin, dass die Formel 1 die Marke Andretti aufwerten würde und nicht umgekehrt", heißt es etwa voller Selbstbeweihräucherung.
Was man dazu wissen muss: Ein Jahr Vorbereitung sind in der Formel 1 tatsächlich sehr wenig. Deshalb war von Anfang an klar, dass ein Einstieg Andrettis für 2026 logischer erscheint, zumal dann tiefgreifende Änderungen im technischen Reglement erfolgen. Andretti für ein Jahr im alten Reglement aufzunehmen, wäre tatsächlich zweifelhaft gewesen.
Allerdings zweifelte die F1 auch für 2026 offen an der Kompetenz Andrettis, schließlich sei die Formel 1 ja "die Spitze des weltweiten Motorsports" und stelle "eine einzigartige technische Herausforderung für die Konstrukteure" dar, die Andretti so noch nie erlebt habe. Mit anderen Worten: Ihr kriegt das ja eh nicht hin!
Formel 1: Alle Neuerungen für die Saison 2024 im Überblick
Damit hat die Formel 1 auch allen anderen Interessenten auf Jahre die Tür zugeschlagen. Denn das Gesamtpaket, das Andretti zu bieten hatte, wird es so kein zweites Mal geben. Zwar hält sich die F1 explizit die Option offen, den Einstieg des Teams für die Saison 2028 noch einmal neu zu evaluieren. Doch ob Andretti nach dieser Abfuhr dann noch Interesse haben wird, bleibt abzuwarten.
Schlechte Nachrichten für Nachwuchsrennfahrer
Eine schlechte Nachricht ist diese Entscheidung auch für die vielen Nachwuchsrennfahrer, die teilweise schon jetzt keinen Platz in der Formel 1 finden, trotz großen Talents. 20 Cockpits sind einfach sehr wenig, jedes Auto mehr wäre hier wichtig.
Paradoxerweise sind es Teams wie Mercedes, Ferrari, Red Bull und Co., die sich teure Nachwuchsprogramme leisten, junge Fahrer in kleineren Rennserien ausbilden, ihnen dann aber keinen Platz in der Formel 1 bieten können. Und gleichzeitig sind es genau jene Teams, die sich gegen mehr Autos im Grid sträuben.
Aktuell kann sich die Formel 1 dieses Selbstbewusstsein erlauben und den Interessenten nahezu unüberwindbare Hürden aufbauen. Das Produkt funktioniert. Doch das ist kein Automatismus.
Es gab auch andere Zeiten, als im Zuge der Finanzkrise 2008/09 reihenweise die Teams ausgestiegen sind. Und Motorsport ist eine fragile Sache, vor allem in der aktuellen Zeit, in der immer mehr auf Nachhaltigkeit geschaut wird.
Vielleicht fällt der Formel 1 die eigene Arroganz bald auf die Füße.