Raketenangriff in Saudi-Arabien
Formel 1 und Sportswashing: Der Zwiespalt zwischen Kohle und Moral
- Aktualisiert: 26.03.2022
- 13:17 Uhr
- ran.de / Andreas Reiners
Die Formel 1 ignoriert Anschläge oder Menschenrechtsverletzungen und fährt in Ländern wie Katar oder Saudi-Arabien. Nicht erst durch den Raketenangriff in Jeddah ist klar: Die Königsklasse steckt in einem Dilemma zwischen finanziellen Interessen und Werten.
München - "Sportswashing" hört sich harmlos an. Der Begriff beschreibt allerdings ein Problem, das den Sport zu einem nicht unwesentlichen Teil im Griff hat.
"Sportswashing" steht für den Missbrauch eines Sport-Events durch autoritäre Staaten, um den eigenen, oft schlechten Ruf aufzupolieren.
Olympia in Peking. Paralympics in Peking. Fußball-WM in Katar. Und die Formel 1 in Saudi-Arabien. Oder in Katar. Oder in Bahrain.
Um nur ein paar Beispiele zu nennen. Nur aus diesem Jahr wohlgemerkt.
Ein surreales Bild
Es ist nicht einfach nur ein surreales Bild, wenn der Glitzerzirkus Königsklasse in Jeddah mit all seinem Pomp und Protz seine Zelte aufschlägt und seine Runden dreht, während ein paar Meter weiter eine Ölraffinerie mit Raketen angegriffen wird und lichterloh brennt.
Diese Szene zeigt mahnend mit dem Finger auf eine Art Pakt mit dem Teufel, wie Kritiker die Zusammenarbeit großer Verbände wie dem Fußball-Weltverband FIFA oder dem Automobil-Weltverband FIA mit Staaten wie Katar oder Saudi-Arabien nennen.
Sie legt den Finger in die Wunde.
Und was macht die Formel 1?
"The Show must go on"
The Show must go on, wie immer. Es gab eine Krisensitzung, in der sich - so wird immer klarer - die Fahrer nicht einig waren, ob sie weiterfahren sollen.
Denn wie die "BBC" berichtet, soll eine "signifikante" Anzahl an Fahrern Zweifel an der Austragung haben. Der "BBC"-Bericht wiederum ist durchaus brisant.
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Denn die Fahrer wurden "davon überzeugt, das Rennen zu fahren, nachdem sie von den Bossen weitere Informationen erhalten hatten", schreibt die "BBC". Ein Teil dieser Informationen soll die möglichen Folgen einer Absage beinhaltet haben, "zum Beispiel die Frage, wie leicht Teams und Fahrer das Land verlassen könnten, wenn das Rennen nicht stattfände".
Sollte dem so sein, wäre das ein Skandal, aber für viele sicher auch keine große Überraschung.
Denn aus rein finanzieller Sicht kann die Formel 1 kaum "Nein" sagen. Saudi-Arabien greift tief in die Tasche, soll 60 Millionen Dollar pro Rennen zahlen, insgesamt soll der mehrjährige Deal 900 Millionen Dollar wert sein.
Katar wiederum sprang 2021 für Australien ein und wird ab 2023 fester Bestandteil des Rennkalenders, für rund eine Milliarde Dollar, wie es heißt. Die Formel 1 argumentiert ähnlich wie die FIFA mit einem positiven kulturellen Wandel, der gefördert und unterstützt werden soll.
Wandel passiert nicht über Nacht
"So ein wichtiger Wandel passiert nicht über Nacht, kultureller Wandel braucht Zeit. Aber große Events können die positive Entwicklung beschleunigen. Deshalb spielt auch die Formel 1 eine wichtige Rolle", hatte F1-Chef Stefano Domenicali bei der Katar-Premiere im vergangenen Jahr erklärt.
Die Frage ist ja: Passiert er überhaupt?
Er glaube nicht, dass es zur Verbesserung der Situation beitrage, wenn man die Länder abschotte und sage, dass man dort nichts veranstalten wolle, so Domenicali. "Es wird das Gegenteil bewirken. Das bedeutet nicht, dass alles perfekt ist. Aber was wir tun, geht sicher in die richtige Richtung."
Die Staaten zahlen ungern Millionensummen, um dann kritisiert oder gar düpiert zu werden - Anschläge oder Menschenrechtsverletzungen hin oder her. Deswegen wird in Jeddah mit aller Macht versucht, zu beruhigen: Die Sicherheit sei gewährleistet, heißt es.
Deshalb werde jetzt auch Druck ausgeübt, glaubt "Sky"-Experte Ralf Schumacher. "Es geht um politischen Einfluss und viel Geld. Die Formel 1 hat einen langfristigen Vertrag und will den nicht riskieren."
Ex-Weltmeister Damon Hill schrieb auf Twitter: "Wie unpassend ist das? Kein Grund zur Beunruhigung. Das Rennen läuft. Es wird interessant zu sehen sein, wie damit umgegangen wird. Die F1 spielt buchstäblich mit dem Feuer."
Viele Fahrer schweigen
Ein Problem: Die heutigen Fahrer halten sich oft zurück, verstecken sich gerne hinter der Formel 1, die schon die richtige Entscheidung treffen wird, lassen nur Worthülsen raus oder schweigen komplett. Dabei hätten sie das Standing und die Reichweite, möglicherweise etwas zu bewirken.
Wer in dieser Hinsicht in Saudi-Arabien schmerzlich vermisst wird, ist Sebastian Vettel. Der Deutsche nimmt schon länger kein Blatt mehr vor den Mund, äußert sich zu gesellschaftlichen Themen und eckt damit an, wie er verrät.
"Da gibt es Leute, die unheimlich gerne Einfluss nehmen wollen auf das, was ich dazu sage. Sie wollen das Risiko einer Konfrontation minimieren", sagte Vettel der "dpa". Er sei nicht gerade der beliebteste Fahrer in den Augen der Formel-1-Organisation: "Mir kann aber niemand sagen, was ich zu sagen oder nicht zu sagen habe, auch wenn das nicht gerne gesehen wird, was ich dann sage."
Und deshalb sprach Vettel, der in Saudi-Arabien aufgrund seiner Corona-Infektion weiterhin fehlt, auch über den moralischen Zwiespalt.
Vettel: "Wie mutig kann man sein?"
Und fragte: "Wie unabhängig kann man sein, wenn man auf der Lohnliste steht?" Oder: "Wie mutig man sein kann, wenn man bezahlter Gast ist?"
Das Dilemma: "Es ist ein Spagat zwischen finanziellen Interessen, um den Sport so auszutragen, wie wir ihn kennen, und der kritischen Betrachtung." Der Moral also.
"Eigentlich sollte es eine einfache Frage sein", so Vettel: "Es geht ja um Vorbilder, gerade auch für junge Leute. Einerseits ist es Unterhaltung, anderseits hat man auch Verantwortung und sollte schauen, dass man mit den richtigen Werten und Symbolen vorangeht." Es gebe gewisse Werte, für man einstehen müsse, weil sie größer seien als finanzielle Interessen, so Vettel.
Leider sieht das nicht jeder so. Deshalb ist "Sportswashing" überhaupt erst möglich. Und auch so gefährlich.
Andreas Reiners
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