Motorsport Formel 1
George Russell über FIA-Präsident: Fahrer "haben wirklich die Nase voll"
An einer Stelle musste George Russell in der Mittwochs-Pressekonferenz in Las Vegas lachen. Nämlich bei der Frage, ob die Fahrergewerkschaft GPDA, deren Direktor er ist, auf das kürzlich veröffentlichte und ziemlich FIA-kritisch angelegte Statement schon eine Antwort erhalten habe. Da kam dem Mercedes-Fahrer nur ein Grinsen aus: "Nein", lachte er fast zynisch. "Nicht für den Moment. Überrascht mich ein bisschen, um ehrlich zu sein. Aber vielleicht kommt ja noch was."
Daran glaubt Russell wahrscheinlich nicht einmal selbst. Der 26-Jährige, bekannt als einer, der seine Worte weise wählt und nur selten laut wird, machte ausgerechnet in der FIA-Talkshow beim schrillsten Grand Prix des Jahres deutlich, was er hält von der aktuellen Führung des Motorsport-Weltverbandes.
Deren Präsident Mohammed bin Sulayem, so erzählt man es sich zumindest im Formel-1-Paddock, sei die treibende Kraft hinter der Entlassung von FIA-Rennleiter Niels Wittich gewesen, die nach dem Grand Prix von Brasilien Schockwellen durch die Nachrichtenlandschaft geschickt hat.
Wittich war bei den Fahrern nicht mit allem, was er tat, populär. Aber dass er jetzt einfach so geschasst wurde und die Fahrer bei der Entscheidung nicht abgeholt wurden, das trägt nicht gerade zur Entspannung zwischen der Sulayem-Administration auf der einen und den Formel-1-Fahren auf der anderen Seite bei.
"Wir waren nicht informiert. Es war eine Überraschung für uns alle", sagt Russell. "Wir haben als Fahrer oft das Gefühl, dass wir die Letzten sind, die solche Dinge erfahren. Es wäre schön, bei Themen, die uns so unmittelbar betreffen, auf dem Laufenden gehalten zu werden und zu verstehen, welche Entscheidungen getroffen werden."
Wie lange hält Sulayem dem Druck noch stand?
Was nicht ganz so offen ausgesprochen wird, aber viele denken: Sulayem muss von der Spitze der FIA weg. Weder beim Rechteinhaber Liberty Media noch bei den Teams noch unter den Fahrern hat der Präsident viele Freunde. Seine bizarren Auftritte mögen das eine sein. Aber für die Fahrer hat er 2024 bei den Sachthemen den Bogen überspannt.
Das beginnt bei den überteuerten Superlizenzen, die sich manch ein junger Fahrer kaum leisten kann, geht über die hohen finanziellen Strafen, bei denen die Fahrer gern wissen würden, ob das Geld sinnvoll eingesetzt wird oder ob damit nur First-Class-Flüge von FIA-Funktionären bezahlt werden, und endet bei der Strafe für Max Verstappens "Fuck"-Aussage bei einer FIA-Pressekonferenz in Singapur. Die brachte das Fass zum Überlaufen.
Mit ihrem Statement auf Instagram attackierte die GPDA den FIA-Präsidenten höchstpersönlich und legte zum ersten Mal öffentlich auf den Tisch, worüber hinter vorgehaltener Hand schon seit Jahren gesprochen wurde. "Nach all den Dingen, die dieses Jahr passiert sind, wollten wir gemeinsam aufstehen und einen transparenten Dialog mit der FIA einfordern", erklärt Russell.
"Der Abschied von Niels ist ein perfektes Beispiel dafür, dass wir eben nicht Teil dieser Gespräche sind. Wir wollen mit der FIA zusammenarbeiten, im Interesse des Sports, den wir alle so lieben. Es ging darum, ein bisschen Druck zurückzuspielen, damit sie endlich mit uns und der Formel 1 zusammenarbeiten."
Dass man das letztendlich über Instagram gemacht habe, findet Russell nicht verwerflich: "Die Zeiten ändern sich. Die Fans sind ein riesiger Bestandteil dieses Sports. Wenn wir von Offenheit und Transparenz sprechen, und jeden einschließen wollen, im Interesse eines großen Ganzen, dann ergibt es Sinn, solche Dinge auf einer Social-Media-Plattform zu posten."
An einer Stelle grätscht ein Journalist, Ian Parkes von der New York Times, dazwischen. Er möchte wissen, ob es denn wirklich so schwierig sein kann, einen persönlichen Termin beim FIA-Präsidenten zu bekommen. Worauf Russell entgegnet, dass nicht der Termin das Problem sei, sondern dass sich dann nach einem Termin wirklich etwas ändere.
Wofür Russell die FIA kritisiert
"Dass die Versprechen eingehalten werden, die früher einmal gemacht wurden, scheint eine größere Herausforderung zu sein", formuliert Russell diplomatisch. "Vielleicht war der FIA nicht klar, wie ernst wir es meinen. Wir haben dieses Jahr, und auch letztes Jahr schon, über einige Themen gesprochen als Fahrer, und wir sind uns da alle ziemlich einig."
"Wir haben eine Vorstellung davon, in welche Richtung die Dinge gehen sollen, und an der einen oder anderen Stelle haben wir das Gefühl, dass ein Richtungswechsel notwendig ist. Wir wollen mit der FIA zusammenarbeiten, das hinzukriegen. Aber wir hatten das Gefühl, dass sich da nichts tut. Zumindest nicht, was den Präsidenten direkt betrifft."
Man wisse aus der Vergangenheit, "dass sich nichts tut, wenn wir was sagen". Das sei jetzt "schon seit ein paar Jahren" so, bedauert Russell - der dementsprechend auch die Frage nach seinem Vertrauen in den FIA-Präsidenten eher ausweichend beantwortet: "Da bin ich mir nicht so sicher."
"Wir erleben ja gerade sehr viele personelle Abgänge bei der FIA. Es scheint nicht die stabilste Organisation zu sein. Vielleicht war es auch deswegen so schwierig, einige der Änderungen zu implementieren, die wir uns gewünscht hätten", sagt Russell und unterstreicht: "Einige Fahrer haben wirklich die Nase voll von der Situation, weil es sich immer in die falsche Richtung bewegt."
Warum die Geldstrafen den Fahrern so wichtig sind
Eins der Themen, das die Fahrer mit am meisten bewegt, sind die Geldstrafen, die sie an die FIA bezahlen müssen. Diese sind in den vergangenen Jahren in der Höhe eskaliert. Die Fahrer rümpfen insofern die Nase, als einige das Gefühl haben, die FIA kassiert ab, um sich schickere Hotels und bessere Flüge für ihre Funktionäre leisten zu können.
Ein Grund, warum am Beginn der Präsidentschaft Sulayem mit den Fahrern besprochen wurde, das Geld aus den eingehobenen Strafen zweckgebunden einzusetzen. Etwa für die Nachwuchsförderung, Forschung im Sicherheitsbereich oder die Weiterbildung von Rennfunktionären. Doch bis heute weiß keiner so genau, was mit den Strafen geschieht.
Russell ärgert das: "Vor ein paar Jahren, als ein neuer FIA-Präsident gewählt wurde, wurde viel über Transparenz gesprochen und darüber, wofür das Geld eingesetzt werden soll. [...] Es gibt viele Fahrer, die sich diese Strafen locker leisten können. Aber es gibt auch Rookies, die nicht eine Million Dollar mal so aus dem Ärmel schütteln."
Aber: "Wenn wir wissen, wofür das Geld eingesetzt wird, im Nachwuchs-Motorsport oder für Ausbildungsprogramme, dann okay, dann tragen wir das gern mit. Wir wünschen uns einfach Transparenz. Und dass die Versprechen eingehalten werden, die uns mal gemacht wurden."
Die aktuelle Amtszeit von Sulayem als FIA-Präsident endet übrigens 2027. Der Araber ist der zwölfte Präsident in der Geschichte des Motorsport-Weltverbands. Sein Vorgänger Jean Todt war zwei Amtszeiten zu je sechs Jahren im Amt, von 2009 bis 2021. Davor war Max Mosley Verbandspräsident (1993 bis 2009).