Motorsport Formel 1
Irre Erfolgsstory: Dieser Formel1.de-Artikel brachte Allengra in die Formel 1!
Die Geschichte von Allengra in der Formel 1 ist in vielerlei Hinsicht erzählenswert. Auch, weil es in Zeiten, in denen viel schwarzgemalt wird über den Zustand Deutschlands als Industrie- und Innovationsland, eine deutsche Erfolgsgeschichte ist - die noch dazu ziemlich unkonventionell begonnen hat.
Am 8. Februar 2020 klickte sich Niels Junker, zum damaligen Zeitpunkt 26 Jahre jung und ein glühender Formel-1-Fan, durch die neuesten Nachrichten auf dem Nachrichtenportal Formel1.de. Bei einer Story, verfasst von den Journalisten Norman Fischer und Adam Cooper, blieb er hängen. Titel: "Benzinflussmesser: FIA eröffnet Ausschreibung für Einheitshersteller".
Junker, geboren 1993 in Rumänien und aufgewachsen im tiefsten Oberbayern, hatte an der TU München Wirtschaftsingenieurwesen studiert und war dann ins Unternehmen seines Vaters Raul eingestiegen. Der galt damals wie heute als "Daniel Düsentrieb", als Tüftler der alten Schule, und hatte sich im Jahr 2005 mit der Allengra GmbH in Ravenstein selbstständig gemacht.
Junker sen. hatte sich auf sogenannte Durchflussmesser spezialisiert, also kleine Sensoren auf Ultraschallbasis, die zum Beispiel in Heizsystemen eingesetzt und als Wärmemengenzähler verbaut wurden. Später entwickelte er seine Produkte weiter und entdeckte unter anderem die Kaffeemaschinenindustrie als Zielkundschaft.
8. Februar 2020: Der Tag, an dem alles begann ...
Am 8. Februar 2020, kurz vor Überschwappen der Coronapandemie von Asien nach Europa, saß jetzt also sein Sohn Niels mit seinem iPhone da und las Zeilen wie: "Die FIA reagiert auf die anhaltenden Gerüchte um einen möglichen Motorentrick von Ferrari und hat eine Ausschreibung für einen einheitlichen Benzindurchflussmesser gestartet."
Junker jun. hörte regelmäßig Kevin Scheurens Formel-1-Podcast Starting Grid, und jetzt war er über diese Story gestolpert. "Dann habe ich meinen Vater angerufen und gesagt: 'Pass auf, da ist eine Neuausschreibung. Vater, wir müssen das machen!' Aber mein Vater sagte: 'Formel 1, das ist die Spitze des Motorsports. Das können wir nicht. Das können wir nicht machen.'"
Doch Junker jun. ließ nicht locker. Schon 2019 hatte es in der Formel 1 Gerüchte gegeben, dass Ferrari in Zusammenhang mit dem Benzindurchfluss systematisch getrickst haben soll, um mehr Leistung aus dem Hybridmotor zu kitzeln. "Dieses ganze Hin und Her, da haben wir doch immer gesagt, wahrscheinlich messen die falsch, Vater", erinnert sich Junker.
Im Februar 2020 flog der Skandal auf, doch Details darüber, wie Ferrari mutmaßlich getrickst hatte, wurden vom Automobil-Weltverband FIA nicht veröffentlicht. Dass ein paar Wochen davor eine Ausschreibung für neue Benzindurchfluss-Sensoren herausgegeben wurde, kann man im Nachhinein als Vorbote für das werten, was wenig später Gewissheit werden sollte.
Darüber, wie Ferrari getrickst haben könnte, gibt es heute, fünf Jahre später, plausible Theorien. Eine geht so: Die Sensoren arbeiteten damals mit einer Frequenz von 2.200 Hertz, tasteten die Durchflussrate also 2.200 Mal pro Sekunde ab. Der Abstand zwischen den Frequenzpunkten war konstant - und damit seitens der Motorenhersteller manipulierbar.
Ferrari soll dann seine Benzinpumpe so justiert haben, dass deren Peaks immer genau zwischen den 2.200 Messpunkten lagen. So könnte in Wahrheit mehr Benzin durchgeflossen sein, als der Sensor erfassen konnte. Raul und Niels Junker hatten beim Formel-1-Schauen in der Familie oft über den Fall gesprochen und vage herumgesponnen, wie man das Problem lösen konnte.
Niels Junker: Interview am Formel1.de-Stammtisch
Am 25. Januar 2025 war Junker jun. Gast am monatlichen Mitgliederstammtisch auf dem YouTube-Kanal von Formel1.de. Über den Ferrari-Fall spricht er heute nicht mehr. Über die Geschichte, wie es dann doch noch geklappt hat mit der Formel-1-Ausschreibung, aber schon. Und das in diesem Rahmen auch noch sehr gern, weil er jahrelang selbst Mitglied der Formel1.de-Community war.
"An dem Wochenende, nachdem ich den Artikel von Norman Fischer entdeckt hatte, habe ich meinen Vater immer und immer wieder angerufen. Alle drei Stunden. Irgendwann sagte er: 'Ach, lass mich noch überlegen, lass mich mal drüber schlafen.'" Vater Raul, ein Fitnessfanatiker, zog sich in sein Gym zurück und ließ am Ergometer seine Gedanken kreisen.
"Mein Vater", lacht Junker, "sitzt immer auf dem Fahrrad und schaut dabei Formel 1. Sein Gym ist sein zweites Büro. Rundherum hat er noch seine Gewichte stehen. Da kann er sich abreagieren. Im ersten Stock des Gebäudes ist die Firma, und im zweiten Stock hat er sein Gym. Wenn er zum Meeting ruft, gehen die Mitarbeiter hoch und sprechen dort mit ihm."
Am Sonntagabend klingelte bei Junker jun. das Telefon: "Okay, Niels. Morgen Früh gehe ich ins Büro. Wir machen das!" Der Rest ist Geschichte: Am 10. Februar um 7:45 Uhr stand im Kalender der Allengra GmbH ein neuer Termin. Titel: "F1 Project". Und am 7. November 2024 hatte man tatsächlich den Zuschlag erhalten, offizieller Lieferant für Benzindurchfluss-Sensoren in der Formel 1 zu werden.
Die Story, die Allengra an den Punkt geführt hat, ab 2026 alle Formel-1-Teams zu beliefern (Kostenpunkt: moderate 1.500 Euro pro Sensor), führte Junker zuerst auf FIA.com. "Du schaust auf die Website und schaust auf die aktuellen Ausschreibungen. Dann lädst du eine Excel-Datei runter. Da ist alles drin, um nachzuschauen, ob dein Sensor konform ist oder nicht", erzählt er am Stammtisch.
"Also haben wir uns beworben. Dann kam im März Corona, und wir erhielten eine Mail von der FIA: 'Danke, dass ihr teilgenommen habt, aber wir verschieben das.' Zum Glück hatte mein Vater diese Mail nicht gelesen, sonst hätte er sich sicher aufgeregt! Denn nur drei Stunden später kam die nächste Mail: 'Allengra, uns gefällt euer Konzept, wir würden gern mit euch zusammen dran arbeiten.'"
Vater Junker, von Niels beschrieben als "geborener Ingenieur" und einer, "der es liebt, Herausforderungen anzunehmen", war inzwischen Feuer und Flamme für die Idee, in die Formel 1 einzusteigen. Allengra entwickelte jetzt Sensoren für den Motorsport und stattet seit Jahren auch die Superbike- und die Langstrecken-WM WEC aus. Jetzt also auch die Königsklasse.
Warum sich der Ferrari-Skandal nicht wiederholen kann
Und, übrigens: Der Ferrari-Skandal von 2019 wird sich mit Allengra-Sensoren eher nicht wiederholen. Der deutsch-rumänische Sensor misst mit einer Frequenz von 4.000 bis 6.000 Hertz und ist in seiner Frequenz auch nicht mehr konstant, sondern variabel. Ein Motorenhersteller kann also seine Benzinpumpe nicht mehr so leicht auf die Peaks zwischen den Messpunkten kalibrieren.
"Während wir die ersten Tests für die erste Fuel-Flow-Meter-Version gemacht haben, sind wir zu einem der Motorenhersteller gegangen", erinnert sich Junker. "Die haben uns erzählt, dass sie ein eigenes Team haben, das aus fünf Ingenieuren besteht, die nur danach gucken, wie man den Sensor austricksen kann. Nicht, weil sie tricksen wollen. Sondern weil sie sehen wollen, wie andere tricksen."
Junker, inzwischen 32 Jahre alt, ist inzwischen nicht mehr nur Commercial Director der Allengra GmbH, sondern auch deren Mitgeschäftsführer. Ein deutsches Familienunternehmen, das mit einem innovativen Hitech-Produkt den Sprung aus dem Wohnzimmer mit Formel-1-TV in die Königsklasse des Motorsports geschafft hat.
Es gibt sie noch, die deutschen Erfolgsgeschichten. Und wer mehr über den Weg von Allengra, Raul und Niels Junker in die Formel 1 erfahren möchte, kann jetzt auf dem YouTube-Kanal von Formel1.de den kompletten Stammtisch vom 25. Januar schauen (4:17 Stunden) - und für die nächsten Stammtische am besten gleich selbst Mitglied werden ...