Anzeige
Motorsport Formel 1

Max Verstappen: Das laute Schweigen des Weltmeisters

Article Image Media
© LAT Images

Es war ein lauter Max Verstappen, der da rund ums Saisonfinale in Abu Dhabi etwa gegen George Russell schoss, zuvor auch gegen die britischen Experten, sei es wegen Kritik an ihm selbst oder ihrer Nebenjobs. Angriffslustig, nicht nur auf der Strecke, auch verbal daneben, so kannte man den Niederländer.

Doch wo ist er hin, dieser Verstappen? Ein bisschen scheint es so, als sei die alte Version des Red-Bull-Stars in die Winterpause gegangen - und nie aus dieser zurückgekehrt. Anno 2025 sitzt da bisher ein anderer Verstappen, einer, der sich auffallend handzahm gibt: Beginnend mit der großen Formel-1-Präsentation in London, über die Testfahrten in Bahrain, bis hin zu den Aktivitäten im Vorfeld des Auftaktrennens in Australien.

Eigentlich egal zu welchem Thema, der Weltmeister lässt sich aktuell so gar nicht in die Karten gucken: Ja, stets freundlich, stets höflich, aber vor allem kurz fallen sie aus, seine Antworten. Aussagen zum neuen RB21 etwa? Vage. Eine direkte Reaktion auf die Buhrufe bei der F1-Show in der Londoner O2-Arena? Blieb aus. Lediglich Vater Jos trug Verstappens Verstimmung darüber an die Presse.

"Energieverschwendung": Verstappen fasst sich kurz

Und die Vorfreude auf die neue Saison? Als Autosport, eine Schwesterplattform von Motorsport-Total.com im Motorsport-Network, den Weltmeister in Melbourne darauf anspricht, ob er wegen des zusammengeschobenen Feldes im letzten Jahr der aktuellen Reglementsperiode noch mehr Dramatik im WM-Kampf erwarte, fällt die Reaktion wie folgt aus:

"Das wäre schön, aber das kann man jetzt unmöglich sagen. Man kann darüber spekulieren, aber es ist Energieverschwendung, sich damit zu beschäftigen."

Energieverschwendung. Ein Wort, das Verstappen in jüngerer Vergangenheit schon öfter bemüht hat. Der 27-Jährige, der im Sommer erstmals Vater wird, will sich seine Energie lieber für wichtigere Dinge einteilen als für den ganzen Zirkus, der die Formel 1 mitunter begleitet. Verständlich.

Doch ist es wirklich nur das, der Fokus auf sich, aufs Wesentliche? Oder steckt doch mehr dahinter? Die Schwierigkeiten mit dem neuen Auto zum Beispiel, dem die wenigsten Experten im Fahrerlager aktuell die Fähigkeit zutrauen, titelfähig zu sein. Oder ist es, mehr noch als die Reaktion auf die sportliche Situation, eine Verstimmung Verstappens aufgrund der nach wie vor schwelenden Konflikte zwischen Fahrern und FIA?

Hat ihn das von Präsident Mohammed bin Sulayem ausgesprochene Fluchverbot tatsächlich mürbe oder gar mundtot gemacht? Was steckt wirklich hinter seiner neuen Zurückhaltung? Diese Frage stellt sich aktuell ein Großteil der F1-Journaille im Fahrerlager...

Was ist eigentlich los mit Weltmeister Max Verstappen?

Ein paar niederländische Journalisten nahmen das Heft am Donnerstag deshalb in die Hand, hakten in kleinerer Runde nochmal direkt nach beim schweigsamen Weltmeister - in der Muttersprache und mit Landsleuten spricht es sich ja manchmal offener.

Und siehe da, dann, endlich, kam Verstappen doch noch ein bisschen aus der Deckung. Zunächst mal räumte er ein, dass er ja "nicht viel geredet" habe, an diesem Medientag in Melbourne. Aber warum? "Ehrlich gesagt ist mir das ziemlich egal. Wir haben getestet, und jetzt geht es los. Wir werden sehen, wo wir stehen. Ich habe nicht viel dazu zu sagen", begründet Verstappen.

Dass seine Antworten in den offiziellen Pressekonferenzen der FIA allerdings noch karger ausfallen als ohnehin schon, darüber sind sich alle Beobachter einig. Hat das also etwas mit den viel diskutierten Sanktionen der FIA für das Verwenden von Schimpfwörtern zu tun, die Verstappen letztes Jahr ja schon eine Strafe einbrachten und in seinem jetzt schon legendären Boykott der Pressekonferenz in Singapur mündeten?

"Natürlich muss man aufpassen, was man sagt. Aber andererseits gibt es auch nicht viel zu berichten. Und ich will nicht unnötig Zeit darauf verwenden. Lieber entspannt bleiben", versucht Verstappen das Thema zu umschiffen, bekräftigt aber auf weitere Nachfragen, ob er mit seinem Schweigen ein Zeichen setzen wolle: "Nein. Man kann natürlich dagegen ankämpfen, aber das bringt nicht immer viel. Ich habe keine Lust darauf."

Verstappen setzt Prioritäten: "Dann fahre ich nach Hause"

Sein Zugang sei indes ein anderer: "Ich mache mein Ding am Wochenende, dann fahre ich nach Hause und beschäftige mich mit anderen Dingen. Die Saison ist ohnehin schon stressig genug - auch abseits der Strecke", erklärt der Red-Bull-Pilot seinen Schlachtplan für die medialen Herausforderungen, die so ein Leben als Weltmeister nun mal mit sich bringen.

Dabei stellt der Niederländer mit Blick auf seine PR-Aktivitäten und die Gewichtung dessen, was relevant ist, klar: "Es geht mehr darum, was mir selbst Spaß macht. Ich mag ernsthafte, produktive Dinge. Aber nicht diesen Unsinn. Dafür habe ich keine Zeit."

Tatsächlich sei Verstappen, wie Autosport berichtet, als viermaliger Weltmeister mittlerweile vor allem an Interviews mit großen, übergreifenden Publikationen interessiert - ähnlich wie Superstar Lewis Hamilton, der schillernde Coverstories, wie zuletzt auf dem Time Magazine, dem immer gleichen und schnöden Alltag der F1-Berichterstattung im Fahrerlager logischerweise vorzieht.

Verstappen unterstreicht diese Einschätzung in gewisser Weise, fügt aber noch ein entscheidendes Element hinzu, indem er sagt: "Wenn es um sinnvolle Dinge geht, aus denen man vielleicht etwas lernen kann, dann bringe ich das gerne nach außen. Das macht mehr Spaß. Nicht dieses TikTok-Zeug."

Neue Welt: Journalisten durch Influencer abegelöst

Allein: Im Fahrerlager der Formel 1 hat Social Media als Vermarktungswerkzeug längst im großen Stile Einzug gehalten. Ein Trend, der kürzlich auch Ex-Weltmeister Jacques Villeneuve aufgefallen war: "Wir waren noch viel freier in unserer Redefreiheit", stellte der Kanadier gegenüber yaysweepstakes auch vor dem Hintergrund fest, dass mittlerweile an jeder Ecke ein Netflix-Mikro lauert.

Heutzutage hätten sich für die Fahrer einfach grundlegende Dinge gewandelt, findet Villeneuve: "Die Arbeitslast hat sich verändert, es ist anders. Wir sind Rennen gefahren, haben getestet, Rennen, Test, Rennen, Test", so Villeneuve, zu dessen Blütezeit Ende der 90er der Rennkalender eher 16 Rennen umfasste statt wie nun 24.

Doch noch gravierender ist für den Kanadier: "Es gab viel mehr Journalisten an den Rennwochenenden als jetzt. Viel mehr, weil es kein Social Media gab. Du hattest nicht diese Influencer." Der Weltmeister von 1997 rümpft die Nase: "Diese Influencer wollen Journalisten sein, und ihr Wort wird nun wahrscheinlich mehr gesehen als das der echten Journalisten, was falsch ist."

Für den Sport könne das "sehr schädlich sein", glaubt Villeneuve, wenngleich er resigniert: "So ist es eben. Es gibt nicht mehr viele davon, fast all die echten Journalisten sind weg."

"Mehr Platz und Zeit" für Netflix im Formel-1-Paddock

Zumindest in Sachen Überlastung dürften sich die aktuellen Fahrer also nicht beschweren, mahnt der Ex-Champion: "Damals gab es 200 Journalisten und es war echt nonstop, für jedes Land, für jede Zeitung, fürs Radio und so weiter. Das ist praktisch ausgestorben. Deshalb kannst du auch Netflix reinlassen ins Fahrerlager, weil es mehr Platz und Zeit dafür gibt", glaubt Villeneuve.

Allein: Verstappens Laune wird das kaum heben. Denn immerhin in dieser einen Sache zeigt der Niederländer am Donnerstag dann doch noch klare Kante: "Leider sieht man diese Dinge ja auf X aufpoppen, aber man muss sie dann einfach schnell ignorieren, damit sie nicht wieder in deinem Feed erscheinen", stellt der Weltmeister recht unmissverständlich klar, was er persönlich von der neusten Staffel "Drive to Survive" hält - und damit auch der neuen Richtung, die die Formel 1 eingeschlagen hat.

Er ist also doch noch irgendwo da draußen, der alte, laute Max Verstappen...

Anzeige
Anzeige