Motorsport Formel 1
Norbert Haug: Die echten Supertalente brauchen keine Eingewöhnung
So viele Rookies wie 2025 hat es in der Formel 1 seit 20 Jahren nicht mehr gegeben. Andrea Kimi Antonelli (Mercedes), Gabriel Bortoleto (Sauber) und Isack Hadjar (Racing Bulls) werden am 16. März den ersten Grand Prix ihrer Karriere bestreiten. Oliver Bearman (Haas), Jack Doohan (Alpine) und Liam Lawson (Red Bull) haben zwar schon Rennerfahrung in der Königsklasse, stehen aber vor ihrer ersten vollen Saison - und gehen somit als "halbe" Rookies durch.
Man muss in den Geschichtsbüchern der Formel 1 weit zurückblättern, um eine Saison mit sechs Neulingen zu finden. 2005 feierten Christijan Albers und Patrick Friesacher auf Minardi ihr Debüt. Später wurde Friesacher durch Christijan Albers ersetzt, einen weiteren Grand-Prix-Neuling. Jordan schickte Narain Karthikeyan und Tiago Monteiro an den Start. Und Red Bull fuhr mit Vitantonio Liuzzi, der sich zumindest am Saisonbeginn das Cockpit mit Stammpilot Christian Klien teilen durfte.
Vom 2005er-Jahrgang ist heute nur noch Fernando Alonso übrig; der fuhr seinen ersten Grand Prix aber schon 2001. Durchschlagenden Erfolg hatte keiner der Rookies von 2005. Der 2025er-Jahrgang gilt hingegen als vielversprechend: Antonelli bescheinigen viele das Talent eines kommenden Weltmeisters, Bortoleto gilt ebenfalls als extrem begnadet, und Bearman und Lawson haben schon bewiesen, dass sie das Zeug für eine Formel-1-Karriere haben.
Wie lang bleibt ein Rookie ein Zukunftstalent?
Doch die Sache mit den Rookies ist kompliziert. Als Mick Schumacher bei Haas nicht so recht auf Touren kam, forderten viele (überwiegend deutsche) Medien, man müsse ihm mehr Zeit geben. Oscar Piastri gilt immer noch als potenzielles Supertalent, obwohl er in sein drittes Jahr bei McLaren geht und seinem Teamkollegen Lando Norris noch nie über eine komplette Saison hinweg ebenbürtig war.
Von einem Rookie zu erwarten, einen gestandenen Teamkollegen gleich im ersten Jahr zu schlagen, mag viel verlangt sein. Aber der ehemalige Mercedes-Sportchef Norbert Haug, als Mitförderer von großen Champions wie Michael Schumacher oder Lewis Hamilton ein echter Kenner des Motorsports, ist davon überzeugt: "Wer kommt und wirklich gut ist, ist meistens sofort gut."
Haug weiß, wovon er spricht. Als Mercedes-Junior Michael Schumacher in Spa 1991 erstmals als Ersatzfahrer in den Jordan stieg, mischte er auf einer ihm unbekannten Strecke sofort die absolute Weltspitze auf und hatte seinen Teamkollegen Andrea de Cesaris im Griff. Und Lewis Hamilton fuhr 2007, in seiner ersten Saison auf McLaren-Mercedes, in seinen ersten neun Grands Prix immer aufs Podium, zwei Siege inklusive.
"Ich sage nur Hamilton, ich sage nur Verstappen", verweist Haug auch auf den amtierenden Formel-1-Weltmeister, der während der Saison 2016 von Toro Rosso zu Red Bull Racing befördert wurde und für sein heutiges Team gleich sein allererstes Rennen gewann. Zugegeben mit ein bisschen Glück und Unterstützung einer Mercedes-internen Kollision, aber dennoch: Selbst Daniel Ricciardo, damals so etwas wie das "next big Thing" in der Formel 1, hatte mit dem damals 18-Jährigen ordentlich zu kämpfen.
Klar: Verstappen habe "auch mal gecrasht", erinnert sich Haug als Co-Kommentator der Live-Übertragung der Wintertests bei Sky, aber er habe es von Anfang an verstanden, seine Reifen auf Temperatur zu bekommen, und man habe dabei gesehen, "wer sich was traut". Außerdem verweist Haug auf Verstappens kometenhaften Werdegang schon vor der Formel 1: "Er war ja ein direkter Aufsteiger aus der Formel 3."
Ist Antonelli so gut wie Hamilton oder Verstappen?
Heute sehen einige Beobachter in Antonelli ähnliches Shootingstar-Potenzial wie vor zehn Jahren in Verstappen. Haug hält das nicht für ausgeschlossen: "Keine Ahnung, ob ein Antonelli das auch schaffen kann. Aber ich traue Toto Wolff und seiner Truppe zu, dass sie sich das ganz genau überlegt haben. Und sollte der Junge ein Knaller sein wie Verstappen und Hamilton, sollte er das wirklich schaffen, dann ist richtig was los in der Formel 1."
"Fernando Alonso", erinnert sich Haug an die Saison 2007 zurück, "konnte nie begreifen, dass Hamilton von Anfang an so schnell fuhr wie er - oder sogar schneller. Er war zweimal hintereinander Weltmeister und hat sich gesagt: 'Das kann überhaupt nicht sein, dass der Neuling schneller ist als ich.' Aber so war es. Und das nicht, weil er benachteiligt wurde, wie das manchmal behauptet wurde."
Hamilton wäre in seiner Debütsaison um ein Haar direkt Weltmeister geworden. In der historischen Nachbetrachtung hat er den Titel 2007 wahrscheinlich im Kiesbett der Boxeneinfahrt in Schanghai versenkt. Ein Anfängerfehler, wie er vermutlich auch Antonelli in seiner ersten Mercedes-Saison passieren wird: "Da wird es schon den einen oder anderen Fehler geben", erwartet Haug. "Aber lassen wir uns überraschen. Es gibt auf jeden Fall eine Handvoll vielversprechende Talente in der Formel 1."