• Tennis
  • Alle Sportarten

Anzeige
Anzeige
Motorsport Formel 1

Paralleldrift inklusive: Piastris Mega-Manöver & Leclercs "Fehleinschätzung"

Article Image Media
© Motorsport Images
Anzeige

Ehrliche Worte von Charles Leclerc trotz einer bitteren Niederlage: "Du wirst sehen, sein Manöver war wirklich gut", sagt der geschlagene Ferrari-Star zum Drittplatzierten George Russell im Raum hinter dem Podium, während dort auf einem Monitor die Highlights des Rennens in Baku eingespielt werden, mit Oscar Piastris siegbringendem Mega-Manöver in Runde 20 als Höhepunkt.

Der Australier steht direkt daneben, und muss angesichts des Lobes seines Konkurrenten grinsen - stolz wie Oscar eben: "Es war eine 50/50-Chance, ob ich die Kurve kriege oder nicht", räumt der McLaren-Star ein, woraufhin Leclerc antwortet: "Ich habe einfach normal gebremst, ich habe dich innen gesehen, also war es keine wirkliche Überraschung ..."

Doch dann trifft Leclerc im Bruchteil der Sekunde eine folgenschwere Entscheidung: "Ich habe mir gedacht, ich lasse dich einfach durch, schnappe mir das DRS, und versuche wieder zu überholen. Doch das ist nie passiert." Stattdessen hetzt Leclerc dem Führenden für die letzten 31 Runden des Rennens hinterher, hängt dem McLaren viele Runden lang im Getriebe - einen Weg vorbei findet er aber nicht mehr.

Leclerc: McLaren zu schnell auf den Geraden

In der Pressekonferenz nach dem Rennen geht der Austausch der beiden Rivalen über ihr spannungsgeladenes Duell auf den Straßen am Kaspischen Meer weiter, erneut macht Leclerc dabei aus seinem Herzen keine Mördergrube: "Heute haben Oscar und McLaren einen besseren Job gemacht als ich und Ferrari, deswegen haben sie verdient gewonnen", sagt der Monegasse, der auch seine vierte Baku-Pole in Serie nicht in einen Sieg umwandeln kann.

Vor allem im zweiten Stint mit den harten Reifen habe die Konkurrenz einfach die Oberhand gehabt, so Leclerc: "Sobald ich mit den harten Reifen aus der Box kam, haben wir es einfach nicht geschafft, den Grip zu finden, den McLaren auf diesen Reifen hatte." Die Folge war der Führungsverlust in Runde 20 - für den Ferrari-Star aber erstmal kein Problem:

"Als Oscar mich überholt hat, war ich recht ruhig im Auto, habe mich einfach auf mein Reifenmanagement fokussiert. Und nach zehn bis fünfzehn Runden dachte ich auch, das alles zusammenkommt, und wir am Ende vielleicht in einer besseren Position sind", so Leclerc: "Aber mit der schmutzigen Luft, für 20 bis 25 Runden, waren meine Reifen einfach komplett durch, und sie waren auch einfach zu schnell auf den Geraden, um irgendwas zu versuchen."

Kalte Reifen: Leclerc "konnte nicht super aggressiv sein"

Mit Rückblick auf Piastris Manöver erklärt Leclerc: "Ich wusste schon, dass er da ist und es probieren könnte. Aber ich konnte nicht wirklich super aggressiv sein, denn ich hatte noch kalte Reifen, und hatte Probleme damit, Temperatur in sie reinzubringen." Aus der Not machte der Ferrari-Pilot deshalb eine Tugend, nahm erstmal die Rolle des Jägers an.

"Ich dachte, dass es keine große Sache sein würde, wenn er mich zu diesem Zeitpunkt des Rennens überholt, weil das Rennen noch lang war, und das DRS mir helfen würde, auf eine Sekunde an ihm dranzubleiben, sodass ich ihn wieder überholen könnte, sobald meine Reifen auf Temperatur wären. Aber das war wie gesagt eine Fehleinschätzung von meiner Seite." Eine "kleine", wie Leclerc betont, "aber eine mit großen Folgen".

Anschließend sei das Rennen für ihn "ziemlich frustrierend" geworden, denn Piastris Topspeed machte den McLaren-Star immun gegen Attacken. Leclerc ärgert sich: "Wir sind zwei verschiedene Konfigurationen gefahren, sie ein Paket mit weniger Downforce, wir mit mehr, was uns in der Sektion um die Burg rum recht flott gemacht hat. Aber auf den Geraden sind sie geflogen, und da habe ich wahrscheinlich das Rennen verloren, weil ich das falsch eingeschätzt habe."

Doch nur an daran will er die nächste Niederlage in Baku nicht festmachen. "Die zweite Sache ist: Wir haben erwartet, dass der Undercut sehr schwer wird, weil das Aufwärmen der harten Reifen einfach sehr schwer war." De facto schmolz Leclercs Vorsprung nach dem Stopp jedoch eklatant, von rund sechs Sekunden auf anderthalb, wodurch er mit den frischen Reifen direkt unter Druck geriet: "Das ist definitiv nicht, was wir erwartet haben, und war ein großer Zeitverlust", beklagt der Monegasse.

Volles Risiko und Mitleid für den eigenen Ingenieur

Ferrari werde diesbezüglich in die Analyse einsteigen, "aber wenn wir über den Verlust von so viel Zeit sprechen, wird es wahrscheinlich ziemlich geradlinig sein, und wir werden recht schnell sehen, ob sie einfach ein viel besseres Aufwärmen der harten Reifen hatten, oder ob wir es irgendwo anders verloren haben". Im Nachhinein hätte der Ferrari-Star aber in jedem Fall gerne "eine Runde früher gestoppt", so Leclerc, "um die Lücke zu Oscar zu halten, und besser aufgewärmte Reifen zu haben".

Stattdessen wurde er zur leichten Beute für den Australier. Doch einfach war das Überholmanöver in Kurve eins keinesfalls, wenn man Piastri nach dem Rennen lauscht: "Das hat mir den Sieg gebracht, aber mir tat es ein bisschen leid für meinen Ingenieur, denn ich habe es im ersten Stint schon einmal probiert, und dabei im Prinzip komplett meine Reifen gekocht. Also kam mein Ingenieur an den Funk und sagte: 'Lass uns das nicht nochmal machen.' Ich habe ihn komplett ignoriert, und die nächste Runde habe ich es innen probiert."

Piastri erklärt: "Ich hatte zu diesem Zeitpunkt einfach das Gefühl, hinten zu bleiben, und zu warten, dass Charles' Reifen abbauen, das würde einfach nie passieren. So hätten wir nur Platz zwei gesichert." Deshalb nahm der Australier im Vergleich zum vorherigen und gescheiterten Versuch "hier und da ein paar kleine Änderungen" vor. "Als die Chance nach dem Boxenstopp wieder kam, musste ich sie einfach nützen - sonst würde ich jetzt nicht hier sitzen."

Der 23-Jährige räumt im Anschluss an seinen zweiten Grand-Prix-Sieg nach Ungarn in diesem Jahr ein: "Es war ein hochriskantes, sehr verbindliches Manöver, aber ich brauchte es zum Sieg, ich war nicht wirklich scharf darauf, Zweiter zu werden." Doch auch für Leclerc hat er deshalb Lob: "Anerkennung an Charles, er war unglaublich fair. Er dachte wahrscheinlich, dass ich an ihm vorbei in die Auslaufzone segele, und ich war selbst überrascht, dass ich die Kurve tatsächlich bekommen habe."

Paistri strahlt: "Der beste Sieg meiner Karriere"

Die Freude darüber ist jedenfalls groß, beim stets so ruhig wirkenden McLaren-Piloten: "Ich denke, das war wahrscheinlich der beste Sieg meiner Karriere. Es war unglaublich hart, solange dem Druck standzuhalten in diesem Rennen", denn das Überholmanöver gegen Leclerc war schließlich erst der Anfang: "Ich wusste, in Führung zu gelangen war vielleicht 40 Prozent des Jobs, aber danach vorne zu bleiben die anderen 60 Prozent."

Vor allem hatte Piastri Bedenken: "Mir war bewusst, dass ich die Reifen ganz schön rangenommen habe, um vorzukommen. Und ich wusste, welche Auswirkungen das im ersten Stint gehabt hatte." Er habe deshalb auf den Effekt der freien Fahrt gehofft, "und der hat wahrscheinlich auch ein bisschen geholfen, aber zeitgleich verlierst du auch Zeit wegen dem DRS. Also Charles hinter mir zu halten, war einfach extrem stressig", so Piastri, der auf der Auslaufrunde am Funk bereits vom "stressigsten Nachmittags meines Lebens" spricht.

"Ich durfte keinen einzigen Fehler machen. Ich habe trotzdem einige gemacht, aber auf einer Strecke wie Baku ist es unmöglich Vollgas zu fahren, und ganz ohne zu bleiben. Zum Glück waren sie aber nicht groß genug, dass es mich gekostet hätte." Und auch Leclerc blieb seinerseits bei der wilden Jagd nicht fehlerfrei, wie vor allem eine Super-Slowmo der beiden Kontrahenten beim Paralleldrift zeigt ...

"Ich denke, wir beide sollten ein Foto davon kriegen, wie wir zusammen durch die letzte Kurve driften", lacht der McLaren-Star. "Ich habe mit Mark (Webber; Piastris Manager) gesprochen, und er sagte es ist wie in der Formel 1 der 1950er-Jahre. Also das war ein cooler Moment, um ihn sich nochmal anzuschauen. Aber ich bin mir sicher, in dem Augenblick hat es sich für uns beide nicht so spaßig angefühlt."

Dabei sei jene Kurve 15, und der davor liegende Mittelteil der Strecke, der entscheidende Part seiner Verteidigungsstrategie gewesen, wie Piastri verrät: "Dort habe ich wirklich versucht, es zum Funktionieren zu bringen." Um genügend Puffer für die lange Gerade am Ende von Sektor drei rauszuholen, "habe ich immer im Bereich der Burg ziemlich viel Risiko genommen", erklärt der Australier: "Dabei hatte ich einige knappe Momente. Also gut möglich, dass die Jungs mir hinten jetzt wieder eine neue Ecke ans Auto schrauben müssen", grinst der glückliche Sieger im Ziel.