Motorsport Formel 1
Twitteria spielt verrückt: Was ist wirklich Sache rund um Liam Lawson?
Liam Lawson wirkte geknickt, als er am Sonntagnachmittag nach dem Rennen in Shanghai am sogenannten "TV-Pen" seine Interviews gab. Er hatte den Grand Prix von China gerade als Zwölfter beendet, mit 1:21 Minuten Rückstand auf Sieger Lando Norris. Selbst auf seinen Teamkollegen Max Verstappen im gleichen Auto, dem Red-Bull-Honda RB21, verlor er mehr als eine Minute.
Lawson dämmerte schon, dass seine Performance am zweiten Wochenende der Formel-1-Saison wenig dazu beigetragen hatte, sein angekratztes Standing im Team zu festigen, und sagte Dinge wie: "Ich bin nicht naiv. Mir ist völlig klar, dass ich hier bin, um Leistung zu bringen. Wenn ich das nicht tue, bin ich bald weg."
Ungefähr zur gleichen Zeit erschien auf den Plattformen von Motorsport Network, darunter auch Motorsport-Total.com, das Ergebnis einer internationalen Recherche. Headline: "Tausch mit Lawson schon für Suzuka?" Inhalt: Red Bull zieht ernsthaft in Betracht, den Neuseeländer per sofort zu ersetzen - und Yuki Tsunoda von den Racing Bulls bei seinem Heimspiel im japanischen Suzuka am 6. April den RB21 fahren zu lassen.
Die Story schlug in den internationalen Medien Wellen und war im Paddock in Shanghai das Gesprächsthema Nummer 1. Red-Bull-Teamchef Christian Horner hatte eigentlich für 18 Uhr Ortszeit zu seiner üblichen Medienrunde geladen, um mit den vor Ort anwesenden Journalisten das Rennen zu analysieren und aktuelle Themen zu besprechen. Dann wurde das Pressebriefing kurzfristig auf 18:30 Uhr nach hinten verlegt.
"Wie lange könnt ihr euch das noch leisten?"
Eine der ersten Fragen, die ihm gestellt wurde, lautete: "Wie lange könnt ihr euch solche Leistungen noch leisten?" Spätestens da dürfte Horner klar geworden sein, dass das Lawson-Thema die nächste Viertelstunde seines Lebens bestimmen würde. Und er hätte es ganz einfach abwürgen können, mit der einfachen Klarstellung, dass die Story Unsinn sei und Lawson selbstverständlich in Suzuka noch im Auto sitzen werde.
Doch stattdessen lässt Horner die Gerüchte laufen, indem er Dinge sagt wie: "Im Fahrerlager wird es immer Spekulationen geben." Oder, auf die Frage, ob Tsunoda im Falle eines Fahrerwechsels der erste Kandidat wäre: "Dazu sage ich nichts. Sonst habt ihr gleich eure Schlagzeile."
Lawson hatte nach dem enttäuschenden Saisonauftakt in Melbourne in Shanghai ein weiteres schlechtes Wochenende abgeliefert: 20. und Letzter im Sprint-Qualifying, 14. im F1-Sprint, 20. und Letzter im Qualifying, Zwölfter im Rennen.
"Der Junge weiß ja nicht mehr, wo vorne und wo hinten ist", sagt Sky-Experte Ralf Schumacher in einem Interview auf dem YouTube-Kanal von Formel1.de. "Der versteht das ja gar nicht, weil das erste Mal in seinem Leben fährt er los und gibt alles - und guckt auf die Uhr, und ihm fehlt so viel." Selbst Horner stellt fest: "Ich habe großes Mitgefühl mit Liam. Man sieht ihm an, wie hart das alles gerade ist."
Schumacher war übrigens derjenige, der den Fahrertausch bei Red Bull kurz nach der Motorsport-Network-Story bei Sky als praktisch fix vermeldet hat. Eine Position, die er weiterhin vertritt: "Ich glaube, das Thema ist durch. [...] Nach meinen Informationen ist der Drops gelutscht und Tsunoda sitzt drin", sagt er in dem am Montag aufgezeichneten Video-Interview.
Wie es zu den Storys um das angebliche Lawson-Meeting kam
Dazu kommt: Helmut Marko, der Motorsportkonsulent von Red Bull, kündigte in einem Sky-Interview am Sonntag ein Meeting in Milton Keynes an, "wo besprochen wird, wann und wie wir diesen Rückstand, den wir zurzeit haben, beheben können. Und bis dahin geht es halt darum, so viele Punkte wie möglich mitzunehmen. Wir sind besorgt, aber es ist nicht so, dass wir die Flinte schon ins Korn werfen würden."
Aus dieser Aussage, die Marko nicht in Bezug auf Lawson getätigt hatte, wurde in der immer wilder spekulierenden Formel-1-Twitteria ein Krisenmeeting am Donnerstag, bei dem der Rauswurf von Lawson nur noch formell besiegelt werden muss. Klar ist: Ein Lawson-Rauswurf ist Red-Bull-intern eine Variante, die gedacht wird. Laut Informationen von Motorsport-Total.com ist die endgültige Entscheidung aber noch nicht gefallen.
Surer & Schumacher warnen Tsunoda: Geh nicht zu Red Bull!
"Tsunoda kann nur verlieren, wenn er sich bei seinem Heimrennen in den Red Bull setzt", warnt etwa Formel-1-Experte Marc Surer. Eine Einschätzung, die Ralf Schumacher teilt: "Wenn ich Tsunoda wäre, würde ich es nicht annehmen. Ich würde mich nicht neben Max Verstappen setzen, ohne Test, ohne alles. Ich glaube, da verbrennt man zwei Fahrer. Da hilft man keinem."
"Ich bin großer Fan von Red Bull, und auch von Dr. Marko. Aber ganz ehrlich: Wenn das dann alles so kommt, dann kommt mir das kopflos vor und ein bisschen panisch. Weil unter normalen Umständen, wenn man so viel Geld in die Hand nimmt und so strukturiert ist wie die ganze Organisation Red Bull das ist, darf man so nicht denken und nicht handeln."
Ist Lawson der Nächste auf der Abschussliste?
Seit Daniel Ricciardo sucht Red Bull nach einer Nummer 2, die Verstappen auch nur annähernd das Wasser reichen kann. Pierre Gasly und Alexander Albon sind daran kläglich gescheitert. Sergio Perez konnte zumindest phasenweise gut mithalten, wurde aber Ende 2024, nach einer weniger erfolgreichen Phase, ebenfalls rausgeschmissen. Trotz eines bestehenden Vertrags für 2025.
Lawson galt damals als frech und unbekümmert - und als einer, der den nötigen Speed haben könnte, um mit dem Red Bull zumindest akzeptable Ergebnisse einfahren zu können. Marko, so wird das zumindest hinter vorgehaltener Hand geflüstert, wollte für 2025 von Anfang an Tsunoda im Red Bull sehen. Dagegen soll aber Horner Stimmung gemacht haben.
Der sagte am Sonntagabend in Shanghai: "Liam hat auf jeden Fall Potenzial. Das sehen wir momentan nur nicht. Das Problem für ihn ist: Er hatte zwei sehr schwierige Wochenenden, steht im Fokus der Medien. Und der Druck steigt in diesem Geschäft ganz automatisch. Er ist ein junger Kerl. Wir haben die Verantwortung, ihn zu unterstützen. Und das werden wir auch bestmöglich tun. Liam ist nach wie vor ein sehr talentierter Fahrer. Das wissen wir. Aber aus irgendeinem Grund kann er das derzeit nicht abrufen."
Nach dem (erneuten) Fiasko im Qualifying entschied man bei Red Bull, Lawsons RB21 für den Rennsonntag komplett umzubauen und aus der Boxengasse zu starten. Gebracht hat das wenig: "Die Richtung, in die wir gegangen sind, sollte das Auto fahrbarer machen und das Handling verbessern", verrät Lawson. "Leider ging es in die komplett falsche Richtung. Das Auto wurde dadurch deutlich schwerer zu fahren und insgesamt auch langsamer."
Lawson wäre nicht der erste Red-Bull-Junior, der im A-Team des Energydrink-Herstellers am eigenen Leib erfahren muss, wie gnadenlos die Formel 1 sein kann. Gasly wurde 2019 nach zwölf Rennen durch Albon ersetzt. Der bekam dann die Saison 2020, war an deren Ende aber schon wieder Geschichte.
Aber dass ein junger Fahrer schon nach nur zwei Grands Prix abgeschossen wird, das ist selbst für Red-Bull-Verhältnisse ungewöhnlich brutal. Vor allem, weil mit Suzuka jetzt eine Strecke kommt, die Lawson gut kennt. Aber das lässt Horner nicht als Argument gelten: "Diese Jungs gewöhnen sich ziemlich schnell an neue Strecken."
Plötzlich lobt Horner Tsunodas Performance
Gleichzeitig lobt Horner die Racing-Bulls-Fahrer Yuki Tsunoda und Isack Hadjar, die seiner Meinung nach bisher "einen sehr guten Job" machen: "Yuki ist inzwischen ein erfahrener Fahrer und fährt stark. Heute hatte er Pech mit der Strategie und einem Frontflügelschaden. Aber auch am vergangenen Wochenende war er stark unterwegs."
Nach Verstappens Andeutungen, dass der VCARB 02 momentan womöglich das einfacher zu fahrende Auto sein könnte als der RB21, unken manche, dass Lawson mit einem Red-Bull-internen Teamwechsel vielleicht sogar besser bedient wäre. Aber das juckt den Neuseeländer wenig: "Ich denke, das spielt keine Rolle. Ich muss mit diesem Auto schnell sein." Den Vorwurf, nach Ausreden zu suchen, kann man ihm jedenfalls nicht machen.
Ob im Falle eines Fahrerwechsels überhaupt Tsunoda derjenige wäre, der den RB21 übernehmen würde, steht indes auf einem anderen Blatt. In der Formel-1-Twitteria wird derzeit heiß über die Variante diskutiert, dass Red Bull auch Franco Colapinto von der Alpine-Reservebank loseisen könnte. Der sei laut Ralf Schumacher schon Ende 2024 "ein heißer Kandidat" gewesen.
Tatsächlich wurde Helmut Marko am Sonntagmorgen vor dem Grand Prix von China bei einem Besuch in der Alpine-Hospitality beobachtet. Auf Anfrage von Motorsport-Total.com, was dort besprochen wurde, antwortet der Österreicher: "Ich habe zu Oliver Oakes ein gutes Verhältnis. Dort ging es nicht um Franco Colapinto. Sondern um ein anderes Thema."
Sollte Red Bull wirklich die Entscheidung treffen, Lawson zumindest aus dem A-Team zu feuern, würde diese wahrscheinlich spätestens bis zum Wochenende fallen. Wer auch immer seinen Platz einnehmen würde, sollte schließlich im Idealfall beim Boarden des Jets in Richtung Tokio wissen, welches Auto er dann in Suzuka fahren wird oder auch nicht.
Marko: Priorität hat der fünfte Titel für Verstappen
Eins ist klar: Priorität hat für Helmut Marko & Co. das Ziel, mit Verstappen den fünften WM-Titel hintereinander zu gewinnen. Das hat Red Bull nicht einmal in der goldenen Vettel-Ära geschafft. Die Konstrukteurs-WM würde man als "nice to have" gern mitnehmen. "Die Konstrukteurs-WM ist natürlich ein harter Brocken", sagt Horner. "Aber in der Fahrer-WM liegen wir nur acht Punkte zurück."
Er weiß: "Wir müssen deutliche Fortschritte beim Auto machen, um überhaupt eine Chance zu haben. Und man braucht zwei Autos, die punkten. Das hat uns schon letztes Jahr geschadet. Selbst für die Fahrerwertung braucht man ein zweites Auto, das vorne mitfährt. Deshalb ist es entscheidend, beide Fahrer so weit vorne wie möglich zu haben." Andererseits habe McLaren 2024 gezeigt, "dass man auch nach einem schwachen Saisonstart noch konkurrenzfähig sein kann".