Motorsport Formel 1
Verstappens irre Schweige-Show: Red Bull kritisiert "harsche" Abkürz-Strafe
Max Verstappen bedient sich altbewährter Mittel: Nicht nur mit einem extrem späten Bremsmanöver in Kurve eins beim Start zum Großen Preis von Saudi-Arabien, sondern auch danach in seinen Interviews und vor allem der Pressekonferenz, die er in Bezug auf den Aufreger des Tages in Dschidda mal wieder erfolgreich ad absurdum führt.
Doch der Reihe nach: Verstappen erwischt von der Pole aus den schlechteren Start als Oscar Piastri, der McLaren-Pilot zieht vor Kurve eins innen vorbei am Weltmeister, der jedoch außen dagegenhält. Während Piastri die Kurve bekommt, weicht Verstappen aus, kürzt durch die asphaltierte Auslaufzone ab und behauptet so seine Führung. Anschließend beginnen am Funk die üblichen Schuldzuweisungen der beiden Piloten...
Mit dem besseren Ausgang für Piastri, denn Verstappen bekommt von der Rennleitung eine Fünf-Sekunden-Strafe aufgebrummt, die er beim Boxenstopp auch absitzt - und damit die Führung und schließlich auch das Rennen an den Australier verliert.
Schon direkt nach dem Aussteigen ist dem Red-Bull-Piloten die Verstimmung über die Entscheidung anzumerken, was er gleich mal in die Top-3-Interviews mit David Coulthard demonstriert: "Ich werde es ziemlich kurz halten", gibt Verstappen nur ein paar Floskeln zum Publikum und dem Ergebnis zum Besten, während er klarmacht, dass er auf die Strafe nicht eingehen will: "Es ist wie es ist."
Verstappen will nichts sagen: "Zeitverschwendung"
An dieser Marschroute ändert sich auch in den folgenden TV-Interviews nichts: "Um ehrlich zu sein, ich denke, jedes Wort darüber ist einfach Zeitverschwendung für alle", unterstreicht der Niederländer bei Sky seine Meinung. Lediglich auf die Frage, wo seiner Meinung nach ein Unterschied zum Vorfall mit Lando Norris letztes Jahr in Austin bestehe, lässt sich der Weltmeister etwas aus der Reserve locken:
"Wir haben letztes Jahr viel darüber gesprochen, dieses Jahr gibt es andere Regeln, also ist das auch kein Problem. Ehrlich gesagt, es ist auch nicht mein Problem", sagt Verstappen, und fügt auf das Nachhaken, was sich denn nun konkret geändert habe, süffisant an: "Tja, dann holt doch die Unterlagen, ehrlich! Wie auch immer, es ist jetzt doch alles schriftlich festgehalten."
Auf die Frage, ob er und sein Team erwägen, Einspruch einzulegen, winkt der Weltmeister genervt ab: "Nein, nein, das interessiert mich nicht. Das Einzige, was mich gerade interessiert, ist, dass ich mich darauf freue, nach Hause zu fahren." Doch bevor Verstappen diesen Wunsch erfüllt bekommt, muss er bekanntlich noch eine Reihe an weiteren Interviews führen...
Im Gespräch mit dem ORF kann sich der Weltmeister dabei wenig später eine kleine Spitze gegen die FIA nicht verkneifen: "Ich habe natürlich meine eigene Meinung, aber das ist egal, wir dürfen da natürlich nicht drüber reden. Wir dürfen natürlich auch nicht negativ sein", spottet der Red-Bull-Pilot - und gibt damit schon mal einen Vorgeschmack darauf, wie es kurze Zeit später auf der offiziellen FIA-Pressekonferenz weitergeht.
Auf dieser findet sein selbst auferlegtes Schweigegelübde dann schließlich seinen naturgemäßen Höhepunkt: "Ja, der Start ist passiert, Kurve eins ist passiert - und plötzlich war es Runde 50. Es ging einfach alles superschnell", zieht Verstappen die Fragen von Moderator Tom Clarkson zur Strafe einmal mehr ins Lächerliche.
Der Weltmeister erklärt: "Das Problem ist, dass ich meine Meinung dazu nicht sagen kann, weil ich sonst vielleicht auch noch bestraft werde, weißt du - also ist es besser, nichts dazu zu sagen." Als Clarkson erneut in Bezug auf Kurve eins nachhakt, wiegelt Verstappen direkt ab: "Es ging alles sehr schnell, ja." Erneut begründet Verstappen seinen Quasi-Boykott der Pressekonferenz: "Ich denke, es ist besser, nicht darüber zu reden. Alles, was ich dazu sage oder versuche zu sagen, könnte mir Ärger einbringen."
Denn: Was er wirklich von der Strafe hält, das hatte Verstappen während des Rennens schon ganz unverblümt am Funk zu Protokoll gegeben, wo die Fahrer - anders als in der Pressekonferenz - noch nicht für ihre Sprache belangt werden können: "Na, das ist doch verfickt großartig!", schimpfte der Niederländer nach der Mitteilung durch seinen Renningenieur wie ein Rohrspatz.
Red-Bull-Motosportberater Helmut Marko kann den Frust seines Schützlings nach dem Rennen jedenfalls nachvollziehen: "Ja, natürlich, weil er das Rennen sonst gewonnen hätte, das ist klar", sagt der Österreicher im Gespräch mit Motorsport-Total.com. Auch Marko halt die Strafe für ungerechtfertigt: "Ich habe vorhin das Formel-2-Rennen geschaut, da ist die gleiche Situation drei- oder viermal passiert, und nur einmal hat es Verwarnung gegeben, eine Strafe hat überhaupt niemand bekommen."
Für den Red-Bull-Berater ist das Urteil deshalb "etwas harsch", fügt er doch hinzu: "Und hier war es auch noch in der ersten Runde, in der ersten Kurve nach dem Start, dann ist das einfach ein Rennunfall." In Bezug auf Verstappens Start übt Marko dann auch etwas Kritik: "Ich war enttäuscht, nicht überrascht. Der Start hat nicht so gut funktioniert, und es war die zweite Phase, in der er verloren hat. Aber dann hat er später gebremst und war wieder vorne."
Warum hat Red Bull die Position nicht zurückgegeben?
Bei Sky gibt Marko außerdem zu bedenken: "Wo hätte Max hinfahren sollen?" Was den Grazer zusätzlich ärgert, ist der Blick in die Vergangenheit und auf vergleichbare Präzedenzfälle: "Hamilton damals, ist in Abu Dhabi völlig geradeaus gefahren, hat dabei zwei Sekunden gewonnen, da hat es auch nichts gegeben, wenn wir schon über 2021 reden", erklärt Marko auf Nachfragen zu einer ähnlichen Situation beim legendären WM-Finale von Abu Dhabi in Verstappens erster WM-Saison.
Allein: Es bleibt die Frage, ob Red Bull die Strafe am Sonntag nicht auch im Nachhinein noch hätte vermeiden können, indem Verstappen die Position einfach an Piastri zurückgegeben hätte? Dazu sagt Marko: "Das haben wir in Erwägung gezogen, aber da waren für uns die Chancen größer, den Platz nicht herzugeben." Begründung: "Überholen ist so gut wie unmöglich, deshalb haben wir mehr Chancen mit dem Boxenstopp und dem Hineinfahren [Piastris] in den Verkehr gesehen."
Kritik an der Strafe gibt es auch von Red-Bull-Teamchef Christian Horner, der noch ein anderes Argument als Marko vorbringt: "Wir hatten genau über solche Dinge Diskussionen mit der Rennleitung - vor dem Rennen, in den Briefings und so weiter. Und ich meine, wir haben immer dieses Motto 'Lasst sie Rennen fahren'. Ich weiß ehrlich nicht, wo Max in dieser ersten Kurve hätte hinfahren sollen?", wundert sich Horner über die Begründung der Stewards.
Stella: Piastri "war am Scheitelpunkt genau vorne"
Bei McLaren hingegen geht mit man der Beurteilung der Szene durch die Rennleitung wenig überraschend konform: "Natürlich war es eng", sagt Teamchef Andrea Stella mit Blick auf Kurve eins, "aber ich würde sagen, das war extrem gut gemanagt von Oscar. Ein sehr gutes Manöver, denn er war am Scheitelpunkt genau vorne und hatte damit das Recht auf die Kurve - deswegen war das für uns ein relativ klarer Fall", erklärt der Italiener im ORF.
Für seinen Schützling gibt es wegen des Starts ein Extralob: "Er ist da gefahren wie ein Routinier", freut sich Stella, und fügt hinzu: "Ich denke, Oscar hat das Rennen wirklich am Start gewonnen - ein sehr guter Start von der Linie und dann eine sehr gute Kontrolle in Kurve eins. Und sobald er [nach Verstappens Strafe] in Führung war, konnte er das Rennen von dort aus kontrollieren."
Sieger Piastri selbst schildert das Duell mit dem Red-Bull-Piloten aus der Cockpitperspektive: "Ich hatte einen super Start und war dann neben ihm. Ab diesem Moment wusste ich, dass ich natürlich ziemlich spät bremsen musste - aber ich wusste auch, dass genug von meinem Auto neben ihm war, um die Kurve zu nehmen. Es war genug, um meinen Standpunkt klar zu machen", so der Australier: "Wir haben natürlich beide extrem spät gebremst, aber ich denke, ich habe so spät gebremst, wie es möglich war, ohne von der Strecke abzukommen."
Dass Verstappen indes durch die Auslaufzone fahren würde, sei für ihn ziemlich vorhersehbar gewesen: "Ich wusste, dass es ein harter Zweikampf werden würde, und ich wusste, dass ich konsequent bleiben musste - denn wenn die Rollen vertauscht gewesen wären, hätte es wahrscheinlich genauso ausgesehen, nur in die andere Richtung", erklärt der McLaren-Pilot, der mit Blick auf die Strafe für sein Gegenüber zustimmt: "Ich finde, so wie es abgelaufen ist, so hätte es auch gehandhabt werden sollen."